27 EU-Staaten, jeder setzt sich durch: So funktioniert's
Warum Politiker nicht verlieren können
Verhandlungen in der EU sind ein bisschen so wie Wahlen - am Ende ist jeder der große Gewinner. Und so, wie die SPÖ nach der Nationalratswahl noch verzweifelt gesagt hat, dass “die Richtung stimmt”, so aufgesetzt ist auch jetzt die Freude der Bundesregierung über das “gute Ergebnis” bei den Verhandlungen. Sebastian Kurz hat sich zum Ziel gesetzt, die “Schuldenunion” zu verhindern - und ist mit vergemeinschafteten Schulden nach Hause gekommen.
(Nichts gegen die Schuldenunion übrigens. Das klingt mit dem Framing zwar ziemlich schlimm, ist aber nichts anderes als die Möglichkeit, auch als Europäische Union Kredite aufzunehmen. Das könnte sich noch als praktisch erweisen und es ist gut, dass die Mitgliedstaaten sich zumindest darauf geeinigt haben, das jetzt im Notfall mal zu probieren.)
Warum Politiker nicht verlieren können
Dass Politiker nicht verlieren können, wenn sie aus Brüssel nach Hause kommen, ist auch eine gute Erklärung dafür, warum die Europäische Union so schwierig ist, warum Verhandlungen so lange dauern und warum sie bei den vielzitierten “großen Fragen” nicht handlungsfähig genug ist.
Politiker müssen gewinnen. Denn wenn nicht, kommt daheim sofort die Frage auf, warum man dann überhaupt in der Europäischen Union ist, wenn man denn nicht von ihr profitiert. Dass wir alleine wirtschaftlich unglaublich von ihr profitieren, wissen viele durchschnittliche Staatsbürger nicht - die meisten interessieren sich für die EU maximal, wenn ein großer Gipfel war und viel Geld ausgegeben wurde. “Für uns”, versteht sich.
Wenn man dann zugibt, dass man sich in den Verhandlungen nicht durchgesetzt hat, ist das ein aufgelegter Elfmeter für die Opposition. Würde sich Kurz nicht hinstellen und sagen, dass der Macron nur grantig war und eigentlich eh alles in seinem Sinne passiert ist, müsste er sich anhören lassen, warum er nicht für “Österreichs Interessen” gekämpft habe.
Dieses Problem hat übrigens jede nationale Regierung. Denn die meisten haben entweder eine Anti-Establishment-Partei in der Opposition, die sich meist so um Platz 3 herum bewegt und nur auf Fehler der Regierung wartet … oder sie sind selbst die Anti-Establishment-Partei, die es diesmal eben geschafft hat und erst recht beweisen muss, regieren zu können. Und da muss man eben hart verhandeln. Und da muss man eben manchmal so tun, als hätte man gewonnen.
Und das ist eben das Grundproblem: EU-Politik ist nun mal verdammt schwierig. Es ist auch gut, dass jetzt enorm viel Geld in die Hand genommen wird, um vor allem die am stärksten getroffenen EU-Staaten in der Coronakrise zu stärken - aber das versteht wieder keiner.
“Österreich zahlt für Italien” klingt beim ersten Mal schon so schlecht für Bürger, dass man gar nicht weiter nachdenkt und einfach annimmt, dass die depperten Politiker schon wieder Steuergeld ausgeben, das bei einem selbst nicht ankommt.
Nicht nur in Österreich, es ist überall das gleiche Spiel: Marine Le Pen, Geert Wilders oder die AfD stehen schon in den Startlöchern, um Untergangsszenarien an die Wand zu malen und das Ende der EU vorauszusagen, wenn ihr Land nicht zu den absoluten Gewinnern der Verhandlungen zählt. Dass Österreichs Wirtschaft unvorstellbaren Schaden nimmt, wenn Italiens Wirtschaft nicht schnell wieder wachsen kann? Daran denkt niemand. Und die FPÖ steht dann an der Seitenlinie und fordert wieder einmal durch die Blume den Öxit.
Man muss gewinnen - solange, bis wir uns ändern
Die Alternative dazu ist, dass Sebastian Kurz die Geschichte anders erzählt. Dass der Gipfel ein großer Triumph für das kleine Österreich war, das sich gegen den “grantigen” Herrn Macron und die große Angela Merkel durchgesetzt hat. In einer Abwandlung werden sie es alle so erzählen, obwohl gleichzeitig alle EU-Auskenner schreiben, dass mit diesem Deal niemand wirklich gewonnen hat.
Die Alternative wäre, dass wir als Bürger ein europäisches Bewusstsein entwickeln. Dass wir wissen, dass es in unserem Interesse ist, die Wirtschaft in Italien, Bulgarien oder Estland anzukurbeln. Dass wir das Konzept einer Union verstehen und die Entscheidungsprozesse überhaupt nachvollziehen können. Bis es so weit ist, wird es noch dauern - das ist mindestens ein Generationenprojekt. (Ich glaube, meine Generation kennt die Vorzüge der EU, weil wir mit ihr aufgewachsen sind.) Bis dahin müssen wir alle Gewinner bleiben.
Dass gerade bei Forschung und Klimaschutz weniger investiert wird als möglich gewesen wäre, das sparen wir aus. Dass gemeinsam Schulden aufgenommen werden, das verschweigen wir auch. Wir dürfen Europa nicht an die Anti-Europäer verlieren, nur weil EU-Politik manchmal schwierig ist. Es ist ein großer Triumph für Österreich - so muss es auch sein. Und so wird es noch lange sein.
Bild: Andrew Gustar, Flickr, CC-BY-ND 2.0
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