5 Gründe gegen die Klarnamen-Pflicht
Wie eine furchtbare Idee die alte Medienlogik am Leben halten soll
Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form schon auf meinem alten Blog erschienen. Da die Diskussion um eine “Klarnamen-Pflicht” - also eine Verpflichtung, Internet-Postings nur unter echtem Namen abzugeben - nach wie vor eine populäre und fatale Idee ist und der Artikel lange her ist, hier eine neue, aktualisierte Version: 5 Gründe gegen die Klarnamen-Pflicht.
1. Klarnamen helfen nicht gegen Beleidigungen
Das beste Beispiel dafür, dass Klarnamen nicht automatisch für einen gesitteten Diskurs sorgen, ist das größte Social Network der Welt: Facebook. Wenn Wolfgang Fellner sich daran stört, was Menschen anonym auf oe24 schreiben, sollte er die Kommentare lesen, die auf der Facebook-Seite seines Mediums aufscheinen. Mit Name, Wohnort und Bild versehen finden sich dort regelmäßig rassistische Äußerungen, Beschimpfungen, Aufrufe zur Gewalt und alles, was man im Internet nun mal zwangsläufig vorfindet.
Ob Fellner jeden dieser User anschreibt oder anzeigt? Oder ob oe24 moderiert wird? Ich will keinen Community-Manager anschwärzen - denn die Seite funktioniert auf Facebook sehr gut und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, alles im Blick zu behalten und Entscheidungen zu treffen, die umstritten sein können. Mein Punkt ist: Es passiert unabhängig von Klarnamen. Und ich würde nicht argumentieren, dass Fellner daran schuld ist, was andere unter seiner Seite schreiben. Doch dazu später.
2. Manche können sich keine Klarnamen leisten
Für so manchen Chefredakteur in Österreich, der gerne die gute alte "Ich erkläre, du liest nur mit"-Zeit zurück hätte, mag das unverständlich sein, aber: Es gibt auch Menschen, die nicht in der schönen Situation sind, sich jede Meinung öffentlich erlauben zu können.
Ich kenne Leute, die aufgrund ihrer Meinungen im Internet von politischen Gegnern bedroht werden und auf neue Profile mit erfundenen Namen umgestiegen sind. Oder Leute, die in Bereichen arbeiten, in denen sie ihre ehrliche Meinung ihren Job kosten kann, wenn sie öffentlich geäußert wird. Wer öffentlich sagt, was er denkt, setzt sich Kritik aus, die auch ernsthafte Konsequenzen haben kann - und wer nicht in der schönen Situation ist, als renommierter Journalist über ein gewisses Standing zu verfügen, kann manchmal nur verlieren. Auch Dissidenten in anderen Ländern posten unter Fake-Namen - und sind damit denen, die sie still halten wollen, ein Dorn im Auge.
3. Du bist nicht verantwortlich dafür, was andere Leute sagen
Das ist der Punkt, der mich in dieser Debatte am meisten stört: Man tut so, als sei die Plattform, die jemandem zur Verfügung gestellt wird, verantwortlich dafür, was auf dieser gesagt wird. Die Begründung wirkt zuerst einleuchtend - "bei Zeitungen ist das doch genauso!"
Aber eine offensichtliche Erkenntnis hat sich noch nicht durchgesetzt: Soziale Medien sind keine Zeitungen.
Eine Zeitung hat die Aufgabe, Menschen zu informieren. Ein soziales Netzwerk hat die Aufgabe, Menschen eine Plattform zu geben. Anders als die "Presse" hat Instagram keinen Chefredakteur, der jedes Bild absegnen muss, bevor es in die Welt gesetzt wird. Und der "Standard" ist auch nicht schuld daran, wenn jemand auf seiner Website eine "schlechte Meinung" hat.
4. Es geht letztlich um Zensur
Der Einwand, der darauf folgt, ist immer, dass Facebook und Co. ja auch Medien sind - und damit gelten auch etliche Bestimmungen für sie. Das ist zwar streng genommen richtig, aber den Charakter und die Standards eines veralteten Mediums aus dem vorletzten Jahrhundert auf alles danach zu übertragen, führt zu keinen sinnvollen Lösungen.
Wer die Zensurfantasien zu Ende denkt, die zu Facebook geäußert werden - und letzten Endes geht es immer um "Jemand hat etwas geschrieben, das mir nicht gefällt" -, müsste man einen "Chefredakteur" pro Social Network/Land/Ressort haben, der dafür sorgt, dass alles, was im Internet passiert, approved oder declined wird. Dass das dem Charakter des Internets entgegensteht, wird dabei oft übersehen - nicht umsonst kommen die Zensurfantasien meist von Leuten, die das Internet erst lernen mussten und nicht mit ihm aufgewachsen sind.
5. Community Management wirkt
Leider ist die Gruppe derer, die das Internet nicht verstehen und so regulieren wollen, dass es genauso langweilig und vorhersehbar wie traditionelle Medien wird, sehr laut und einflussreich. Es gibt aber einen Weg, mit dem man die Probleme - die es auf Social Media auch wirklich gibt - lösen kann: Community Management.
Das Forum auf derStandard.at wird von 13 Leuten moderiert. Jede professionelle Facebook-Seite hat jemanden, der Kommentare liest und wenn nötig auch löscht. Jedes große Medium macht sich Gedanken darüber, wie man mit Online-Kommentaren umgeht. Ein Stück weit wird der Zensur nachgegeben - nämlich dort, wo sie verständlich ist. Es schadet der Marke, wenn in den Kommentaren einer Facebook-Seite Hitler verehrt wird. Die Leute wollen, dass man auf ihrer Seite diskutieren kann. Einen Umgang damit zu finden, der für möglichst alle akzeptabel ist, ist im aktiven Interesse jeder Firma - das gehört auch zu den Aufgaben, die ich in der PR übernehme.
Fazit: Nicht mal gut gemeint
Wir haben also Plattformen, auf denen Menschen ihre Gedanken frei äußern können und die dafür da ist - und es schauen schon extra Menschen drüber, ob diese Meinungen okay sind. Und das ist nicht genug?
Lets face it: Den Kritikern des anonymen Internets geht es nur darum, dass sie ihre Ruhe vor etwas haben wollen, das ihnen unangenehm ist. Früher konnte man sich als Journalist zurücklehnen, auf seinem Status ausruhen und seine Meinung in die Welt setzen - ohne Widerworte. Dass heute Menschen mit grauem Profilbild widersprechen, mag wirklich lästig sein, ist aber ein verschmerzbarer Nachteil für die Freiheiten, die das Internet bietet.
Wer Klarnamen fordert, fordert effektiv unnötige Zensur des Internets, um aus egoistischen Motiven eine veraltete Medienlogik künstlich am Leben zu halten. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis durchsetzt, bevor die Politik das Internet weiter ruiniert.
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