8 von 9 Bundesländern wollen den nächsten Lockdown
Impfungen und PCR-Tests verhindern die nächste Welle - aber Letztere interessieren nur Wien
Ich hab schon lange nichts mehr über Corona geschrieben. Weil wir es ja jetzt eigentlich überstanden haben dürften. Mein Ziel war immer nur, mich bis zur Impfung zu retten, damit mir das Thema danach wurscht sein kann. Impfgegner:innen tun mir nicht leid, alle wichtigen Menschen in meinem Leben sind geimpft - also warum sollte ich mir noch über Corona Sorgen machen? Vor allem bei diesen Zahlen?
Und ich bin wirklich bereit dafür, dass das so bleibt. Ich habe es auch satt, immer wieder an das nächste schlimme Szenario zu denken. Aber auf Basis aktueller Beobachtungen von Wissenschaftler:innen lässt sich relativ leicht feststellen, dass Österreich - mal wieder! - auf eine Wand zurast: Wir werden im Herbst wohl wieder einen Lockdown haben, weil wir jetzt keinen Plan haben.
Die Delta-Variante
Der Grund dafür ist die sogenannte Delta-Variante, vormals bekannt als “indische Variante”. Diese Virusvariante ist nicht nur bis zu 60 % ansteckender als die Alpha-Variante (“britische Variante”), sondern dürfte auch Leute infizieren, die nur teilgeimpft sind, also nur die erste Impfung erhalten haben. Das NEW YORK MAGAZINE hat einen guten Überblick dazu, was wir über die Variante wissen:
Recent research by the U.K. government has found that full vaccination is still largely effective against the Delta strain but may slightly be less effective than against other variants, and even less so after only one dose. The research found that two doses of a COVID vaccine provided 81 percent protection against the B.1.617.2 variant (compared with 87 percent protection against the B.1.1.7 variant). One dose only provided 33 percent protection against symptomatic infection from B.1.617.2 (compared with 51 percent protection against B.1.1.7). That means, according to a Financial Times analysis, that a single dose is 35 percent less effective against B.1.617.2 than it is against B.1.1.7.
If that is accurate, it means that B.1.617.2 may be the variant that currently poses the biggest threat to partially vaccinated populations worldwide.
Das ist übrigens nichts Neues. Seit Anfang 2020 haben Wissenschaftler:innen betont, dass Viren mutieren können und dass es durchaus sein kann, dass sich im Verlauf der Pandemie auch das Coronavirus ändern kann. Wichtig ist: Das Virus wird ansteckender, aber in der Regel nicht im gleichen Maße tödlicher. Herdenimmunität bzw. eine Durchimpfung großer Gruppen der Bevölkerung - aktuell spricht man von ca. 80 % bis zum Herbst - wird dadurch noch wichtiger als vorher.
Die Lösung kommt aus Wien
Die gute Nachricht ist aber, dass es eine Lösung gibt. Genauer gesagt mehrere: Ja, die Impfungen wirken immer noch, allerdings wirkt vor allem die erste Teilimpfung weniger gut. Das heißt nicht, dass wir aufhören sollten, zu impfen - wir müssen eher das Tempo hochfahren.
Eine andere Lösung gibt es aber schon länger als die Impfungen: Und zwar Alles gurgelt, die kostenlosen Gurgeltests, die es in Wien schon seit Monaten gibt.
Als Wiener erklärt man dem Rest der Familie oft wie aus einer anderen Welt, wie leicht es ist, sich zu testen: Ich hol mir ein Packerl ab, gurgle mit einer Salzflüssigkeit, gebe die Flüssigkeit in das Röhrchen und gebe es beim nächsten REWE-Geschäft ab. 24 Stunden später habe ich ein PCR-Ergebnis - und das ist das Schlüsselwort, das es für den Kampf gegen die Delta-Variante braucht. DER STANDARD schreibt dazu:
Man findet damit Infizierte ohne Symptome mit einer viel höheren Treffsicherheit. Aktuelle Wiener Zahlen zeigen, dass das immerhin auf rund 45 Prozent der positiv Getesteten zutrifft. Ist ein PCR-Test positiv, wird zudem das Genom automatisch sequenziert. Dadurch könnte man wesentlich schneller feststellen, ob die Delta-Variante auf dem Vormarsch ist – und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Mit der Initiative "Alles gurgelt" gibt es in Wien eine einfache, niederschwellige, sichere und günstige Methode dafür. Tatsächlich günstig. Ein Gurgeltest kostet das System alles in allem rund fünf Euro. Für einen Antigen-Test in der Apotheke werden dagegen 25 Euro fällig.
Diese Aktion sollte es längst in ganz Österreich geben, organisatorisch wäre das kein Problem. In der Bundeshauptstadt werden die Tests einfach in einer Filiale der Rewe-Gruppe in eine Box geworfen. Das Argument, dass das im ländlichen Raum zu viel Logistik erfordere, zählt nicht. Diese Kooperation mit dem Handel könnte man sicher unkompliziert auf ganz Österreich ausweiten.
PCR-Tests sind also nicht nur sicherer als Antigen-Schnelltests. Sie sind auch noch günstiger und bieten den entscheidenden Vorteil, dass man im Falle eines positiven Ergebnisses schnell “sequenzieren” kann. Das mag für den einzelnen Angesteckten nicht die wichtigste Information sein, aber diese Daten ermöglichen es, einen Überblick in der Pandemie zu haben - und ein sinnvoller Umgang mit Daten gehörte auch im letzten Jahr schon nicht zu Österreichs Stärken.
Wo bleibt Alles Gurgelt für die Länder?
Das alles wäre jetzt noch kein großes Problem, könnte man meinen. Dann sollten wir eben mehr PCR-testen. In der Zwischenzeit fahren aber acht von neun Bundesländern ihre PCR-Testkapazitäten runter!
Zusammengefasst: Obwohl die offensichtlichste und einfachste Lösung für den Kampf gegen die Delta-Variante aus Wien kommt, wird sie nur in Wien benutzt. Der Rest Österreichs scheint das Thema … einfach nicht am Schirm zu haben?
Mittlerweile betont der SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im Interview mit dem KURIER, dass man diese Tests durchaus österreichweit verwenden kann - und sollte.
Können Sie beziffern, was „Alles gurgelt“ der Stadt kosten wird?
Am Ende des Tages nichts, weil der Bund die Kosten trägt. Klar ist jedenfalls, dass dieser Test der billigste von allen ist.
Können Sie garantieren, dass diese Aktion länger bestehen bleibt?
Ganz fix, ja. Es gibt auch viel Interesse aus den Bundesländern, sie zu übernehmen. Den Wiener Umlandgemeinden können wir auch anbieten, unsere Infrastruktur mitzunutzen.
Dass es Interesse aus dem Wiener Umland gibt, ist nachvollziehbar. Nicht nur, dass Wien die mit Abstand beste Infrastruktur bei Testungen hat - es gibt auch noch mehr Fälle in Wien und Umgebung. Also warum sollte man da nicht zusammenarbeiten?
Fest steht: PCR-Tests zurückzufahren ist ungefähr das Dümmste, was man aktuell machen kann. Wir brauchen österreichweit einfache, leicht zugängliche und für den Anwender kostenlose PCR-Tests. So können wir nicht nur sehen, wo sich die Delta-Variante ausbreitet und entsprechend reagieren - ganz nebenbei profitieren wir auch davon, wenn Impfgegner:innen durch die 3G-Regel sichere Tests verwenden. Besonders an Schulen wird dieses Thema noch relevant werden. Denn für Kinder gibt es aktuell noch keine Impfung, und das nächste Online-Semester wollen wir sicher verhindern.
Schon im letzten Sommer wurde früh gelockert und dann so getan, als gäbe es kein absehbares Problem für den Herbst. Was das gebracht hat, können wir an diesem Chart ablesen.
Also, liebe Bundesländer. Her mit den Gurgeltests.