Für meine Verhältnisse hab ich relativ lang nichts mehr geschrieben. Das hat zwei Gründe: Nachdem ich beruflich einiges um die Ohren hatte, bin ich jetzt endlich im Lernurlaub, um mich auf die letzte Prüfung meines akademischen Lebens vorzubereiten. Da bleibt gerade nicht viel Zeit für irgendwas anderes übrig.
Aber ein Thema, das mir sowohl im aktuellen politischen Tagesgeschehen als auch im Lernen für den Master in Politikwissenschaft auffällt, sollte ich wahrscheinlich doch kurz niederschreiben. Es ist eine generelle Beobachtung von mir, die in den letzten Jahren - in diesem ganzen Chaos aus Journalismus, Einstieg in die PR, Politikwissenschaft und generellen Medienkonsum in einer chaotischen Welt - immer klarer geworden ist. Nämlich, dass Politik weitgehend dazu geworden ist, so zu tun, als wäre der Status Quo kontroverser, als er ist.
Ich könnte jetzt vieles als Beispiel dafür nehmen. Zum Beispiel, dass der Finanzminister der Republik sich nicht an die Existenz eines Laptops erinnern kann, mit dem die Frau im Park spazieren geht. Oder dass in den USA gerade ein sehr populäres Stimulus-Paket gekommen ist, das die Republikaner nicht mal mehr bekämpfen, weil sie lieber über Cancel Culture und Charlie Naseweis aus Toy Story reden. (Seriously.) Es gibt viele absurde Anlässe, aber einer hat mich in den letzten Tagen ganz besonders geärgert: Ein Boomer-Bild auf Facebook.
Das „Argument“ hinter diesem Greenwashing-Propagandawerk ist, dass man auf Elektroautos verzichten kann, weil die auch Strom brauchen. Die Alternative zu E-Autos sind bekanntlich fossile Brennstoffe. Was dieser Comic also schon mal ausklammert ist, dass in beiden Fällen die Umwelt verpestet wird. Was verschwiegen wird, ist eine Tatsache, die eigentlich jedem Kleinkind einleuchten muss: Dass Strom nicht unbedingt aus fossilen Brennstoffen kommen muss.
Trotzdem wird es schon einige Leute geben, die das auf WhatsApp geschickt bekommen und die dann lustig vor sich hinkichern, weil sie sich mit ihrem Benziner in ihrer Lebensart bestätigt fühlen. Dass Elektroautos auch zu 100 % aus grünem Strom betrieben werden können, wird von der Grafik ausgeklammert - sie muss also nur Menschen erreichen, die den kleinen intellektuellen Sprung zu diesem Fakt nicht schaffen. Dass wir in Österreich auch sehr gut dabei sind, was Ökostrom angeht, und wirklich nicht darauf angewiesen sind, die Welt anzuzünden, könnte man auch noch dazuschreiben, falls es hierzulande jemand sieht.
Flood The Zone With Shit
Aber zurück zum generellen Trend. Mein Eindruck ist, dass sowas System hat. Dieser Comic kommt nicht von irgendeinem Scherzbold, der sich einfach über Nachhaltigkeit lustig macht - sondern von jemandem, der ganz tief im Hintern von Republikanern, Ölkonzernen und anderen Klima-Sündern steckt. Und weil man im Jahr 2021 eben nicht mehr mit echten Fakten und seriösen Argumenten arbeiten muss, macht man es eben so: Einfach die dümmsten Scheinargumente bringen, verbreiten und der Rest ergibt sich schon “bottom-up”.
Der Gedanke ist leicht: Wenn die Dümmsten in der Gesellschaft dieses Bild sehen, liken und vielleicht sogar teilen, erzeugt das zumindest den Eindruck, dass irgendjemand die Message unterstützt. Da wir leider besonders viele dumme Menschen haben, die sehr leicht eine Stimme finden können (und gezielt mit Greenwashing getargetet werden, aber das Thema heb ich mir noch auf), wirkt das schnell wie eine “Bewegung”. Rund um diese Menschen werden wahrscheinlich hauptsächlich Leute sein, die zumindest halbwegs in der Realität verankert sind und schon checken, dass Strom nicht nur Kohle sein muss - aber man will dann eben doch nicht mit Verwandten streiten, die man jetzt schon wieder zu selten gesehen hat, und man will ja die Feiertage nicht versauen.
Und ganz ehrlich: Ich würd’s auch so machen. Und es ist vielleicht sogar nötig, dass auch “die Guten” so damit arbeiten. SPÖ und ÖVP haben jetzt Parteimedien, weil die FPÖ schon 88 andere Propagandamedien aufgebaut hat. Umweltschutzorganisationen verarbeiten deine persönlichen Daten und sind auf datenschutzrechtlich nicht ganz einwandfreien Plattformen unterwegs, weil sie sonst einen Wettbewerbsnachteil in ihrer Kommunikation haben. Flood the zone with shit, der berüchtigte Satz aus dem Trump-Playbook, ist längst zum Mainstream der politischen Kommunikation geworden.
Einen Umgang mit Bullshit entwickeln
Warum mich gerade dieser Boomer-Comic so wütend macht? Wahrscheinlich auch, weil ich noch jung genug bin, um den Klimawandel wirklich zu bemerken. Für die Zeichner solcher Comics ist der Klimawandel “dieses Jahr wieder ein heißer Sommer”, für mich könnte er irgendwann bedeuten, dass die Ozeane ausgestorben sind. Darum finde ich es gerade bei diesem Thema besonders zynisch, sich komplett von der Realität zu verabschieden, um einen kurzfristigen politischen Win zu erreichen.
Und ja, vielleicht reg ich mich auch zu sehr über ein richtig schlechtes Boomer-Meme auf. Aber ihr habt diesen Newsletter abonniert, um mich beim Overthinken zu beobachten, also selber Schuld. Mein Appell lautet auf jeden Fall, auch den lächerlichsten Bullshit nicht einfach so stehen zu lassen. Oft wissen wir alle, wie die Realität wirklich aussieht, aber lassen “bad actors” damit davonkommen, wenn sie einen lächerlichen Spin draufsetzen wollen. Egal ob österreichische Innenpolitik oder Klimawandel-Leugner auf Facebook - wir sollten zumindest ab und zu zeigen, dass wir diesen Bullshit nicht fressen.
Diesen Rant hab ich kurz gebraucht, jetzt zurück zur Prüfungsliteratur.