Nichts kann sich schneller drehen als politisches Momentum.
Vor einem Monat dachten wir noch, es wäre vorbei. Nach der katastrophalsten Performance in der Geschichte politischer Debatten war Joe Biden erledigt: Ein alter, seniler Mann, der über seine eigenen Worte stolpert und sich offensichtlich schwer tut, dem Gesprächsverlauf zu folgen. Und dann auch noch das Schussattentat auf Donald Trump, das unabsichtlich zu einem der besten Kampagnenbilder aller Zeiten führte.
Seitdem ist einiges passiert. Trumps Gegner heißt nicht mehr Joe Biden, sondern Kamala Harris. Das hat dazu geführt, dass Demokraten sich das erste Mal seit Monaten, möglicherweise seit Jahren wieder einigermaßen auf die Idee einlassen, jemand herzeigbaren in die Wahl zu schicken. Und einige von ihnen – vor allem junge Menschen, die am ehesten nicht wählen gehen – machen Memes. Positive Memes, die Harris sympathisch und lustig wirken lassen.
Und dann kommt noch Chaos dazu, das die Vizepräsidentschaft der Republikaner betrifft. Nur kurz nachdem JD Vance angekündigt wurde, erschienen Schlagzeilen, die man sich nicht unbedingt wünscht.
Yup: Vance hatte angeblich Sex mit einer Couch. Er sucht laut Berichten nach pornographischen Inhalten, die Delfine betreffen. Klar, nebenbei hat er eine politische Agenda, um das MAGA-Movement auch nach Donald Trump zum dominierenden Teil der republikanischen Partei aufzubauen, wirtschaftlicher Nationalismus und außenpolitische Isolation inklusive. Aber das ist nicht so interessant wie die Tatsache, dass er einfach extrem viele merkwürdige Eigenschaften hat, die so gut zu Klischee-Republikanern passen.
Ja, Donald Trump und J.D. Vance sind furchtbare Autokraten, die mit Ankündigung daran arbeiten, die Demokratie in den USA grundlegend zu verändern. Sie stehen für landesweite Abtreibungsverbote, wollen die Ukraine im Kampf gegen Russland fallen lassen, würden die NATO de facto aufgeben und stehen für Chaos, wohin man schaut.
Aber ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung ist für diese Wahrheit nicht empfänglich. Also entscheidet sich das demokratische Kampagnenteam um Kamala Harris, die Strategie zu ändern.
Zeit, die Weirdos beim Namen zu nennen.
Statt dem Kampf um die Demokratie geht es jetzt um die Tatsache, dass die Republikaner weird sind. Merkwürdige Leute. Provokante Meinungen, schlecht durchdacht, garniert mit einem edgy Charakter, dem man nicht wirklich trauen kann. Ihre privaten Geschichten sind Red Flags, die nahelegen, dass sie auch politisch unglaubwürdig sind und Gefahr bedeuten. Das ist die neue Message von Kamala Harris – und sie verbreitet sich rasant.
Um zu verdeutlichen, wie das aussieht, vergleichen wir doch die Shareables der beiden demokratischen Kampagnen hintereinander.
Auf der einen Seite steht Joe Bidens Warnung davor, dass die USA ihre Freiheit und ihre Demokratie verlieren könnten.
Und hier zum Vergleich ein Statement der Kampagne von Kamala Harris.
Diese Aussendung beschäftigt mich. „JD Vance ist weird, die Wähler wissen es“ ist einfach so genial kurz, beleidigend, aber auch richtig, dass mir vorkommt, dass die Demokraten hier einen Punkt machen. Obwohl ich rational nicht sicher bin, ob das eine gute Entscheidung ist.
Denn eigentlich war Wählerbeschimpfung noch nie schlau.
Wer sich zwischen Donald Trump und Kamala Harris entscheiden muss, wird wohl eher nicht zu Harris wechseln, wenn sie gerade die Republikaner als weird bezeichnet. Noch dazu für Dinge, die mit Policy zu tun haben. Männer, die anderen Frauen sagen wollen, was sie mit ihrem Körper zu tun haben, sind weird, aber gehen eben auch genau dafür zur Wahl. Mit ihnen verscherzt man es sich, wenn man das Weird-Narrativ verfolgt.
Aber gerade Personenwahlen in einem Zweiparteiensystem leben von Mobilisierung und Demobilisierung. Ja, alle kämpfen zwar um die Swing Voter, die sich jedes Mal neu zwischen Demokraten und Republikanern entscheiden müssen, aber eigentlich willst du vor allem dafür sorgen, dass die Wähler deines Gegners nicht zur Wahl gehen. Und da kann es helfen, wenn die anderen weird sind. Vor allem, wenn die Swing Voter das auch so sehen.
So zumindest erkläre ich mir den plötzlichen Kurswechsel bei den Demokraten. Moralisch gesehen könnte man jetzt ewig darüber streiten, ob das potenzielle Ende der Demokratie in den USA nicht etwas wichtiger ist als JD Vance’s Couchgeschichten. Und ja, das ist es – aber wenn man die Weirdness thematisieren muss, um das Ende der Demokratie zu verhindern, dann eben so.
Und „they are weird“ sitzt.
Das merkt man daran, dass die Republikaner es aufnehmen. Genauer gesagt, dass sie sich gegen das Narrativ wehren. Und daran merkt man, dass man es mit einem schlechten Gegner zu tun hat: Er zeigt dir genau, was trifft und was nicht.
Ob diese Strategie jetzt die Trendwende einläutet? Das traue ich mich nicht zu sagen – aber immerhin fühlt es sich wieder so an, als wäre es möglich. Und das ist nach der Sicherheit, mit der wir alle auf Bidens Niederlage geschaut haben, schon mal genug Optimismus. Und so oder so: Es ist einfach verdammt lustig, dass Kamala Harris die UNO-Reverse-Card für die Präsidentschaftswahl ist.
Die Fraktion, die jahrelang „Lock Her Up“ geschrien hat und politischen Gegnern von Politjustiz bis politischer Gewalt alles angedroht hat, ist plötzlich ganz betroffen, wenn es um die ausartende Rhetorik der Demokraten geht, weil diese zum Schuss auf Trump geführt habe. Die Fraktion, die immer wieder sagt, dass Worte keine Gewalt sind, verlangt plötzlich eine Entschuldigung für gemeine Worte. Und die Fraktion, die seit Monaten schreit, dass man zu alt für das Amt sein kann, muss jetzt panisch Tweets löschen, um ihren 78-jährigen Kandidaten zu verteidigen. Ob positiv oder nicht – unterhaltsam ist diese Entwicklung allemal.
Zum Abschluss noch ein optimistischer Ausblick. In einem lesenswerten Interview mit drei US-Kampagnenexperten, die bereits Erfahrung mit Präsidentschaftswahlen haben, gibt es zumindest einen Hinweis darauf, dass „They are weird“ vergangen könnte.
Denn kulturell sind die Republikaner – genau wie die Rechten in Europa – absolut unterlegen. Sie befinden sich im permanenten Abwehrkampf gegen die Realität. Sie wollen neue Technologien nicht übernehmen (wobei das mehr ein europäisches Phänomen ist), leugnen große Herausforderungen der Zukunft wie den Klimawandel und wollen den Status Quo ihrer Jugend herstellen, der gefühlt in den 1850er Jahren war. Das merkt man.
Und: Sie wollen nicht darüber reden, was „okay“ ist und was nicht: Wie man sich fühlen darf, wie man jemanden nennen soll, wie man redet. Diese Debatten finden statt, ob sie wollen oder nicht. Aber alleine, dass sie sich diesem Diskurs verweigern und mit Denkverboten und Regulierung reagieren, zeigt, dass sie längst verloren haben. Das ist meine langfristige Hoffnung gegen das MAGA Movement.
Vielleicht sollten wir auch anfangen, die Weirdos in Österreich als solche zu benennen. Was meint ihr?
Noch mehr Lesestoff
🇺🇸 Mehr Kontext zu JD Vance. POLITICO hat einen lesenswerten Long Read über seine Ideologie. Wobei „Ideologie“ ein großes Wort ist: Vielmehr ist es Wut, Zerstörungswut gegen „das System“. Und dieses System war eine der wenigen Stärken der US-Zweiparteiensystems: Demokraten und Republikaner waren sich bei wesentlichen Themen einig, etwa liberaler Marktwirtschaft. Genau das will Vance ändern. He’s weird. And Voters Know It.
Sehr spannender Text!