Das wahre Dilemma der SPÖ
Wollen sie den Richtigen für die Partei? Oder den Richtigen für Österreich?
Babler, der wahlweise nur auf Twitter relevant oder der neue Star der Linken ist.
Doskozil, der die SPÖ entweder wieder zur Partei der einfachen Leute macht oder einfach nur ein unnötiger Mobber ist.
Und Rendi-Wagner, die man als zähe Kämpferin mit Verwurzelung bei den Parteigranden oder als am Versuch gescheitert sehen kann.
Die Ergebnisse der SPÖ-Mitgliederbefragung sind da, und es ist das Most SPÖ Ergebnis Ever.
Die Partei wollte ein Stimmungsbild – und hat eins bekommen.
Die österreichische Sozialdemokratie hat sich also zerdrittelt. Von den 24 %, auf die sie in Umfragen kommt, entfällt ein Drittel auf die „echte Linke“ von Andi Babler, eines auf die „Partei der einfachen Leute“ von Dosko und das letzte auf das, was die SPÖ da die letzten Jahre aufgeführt hat. Das Grundproblem der SPÖ ist aber ein anderes. Und zwar, dass dieser ganze Prozess offensichtlich planlos improvisiert war.
Das ist auch irgendwo logisch. Die Sozialdemokraten waren es lange gewohnt, Kanzler zu sein oder zumindest zu regieren. Die PRESSE führt das Dilemma der Partei darauf zurück, dass sie 2000 trotz Wahlsieg den Kanzler verloren hat – erst das habe überhaupt zur Grüppchenbildung geführt. Wer die SPÖ führen soll, das haben selbstbewusste Kader einer staatsmännischen Partei entschieden, und zwar so, wie sie das immer getan haben. Auf Zeiten inhaltlicher Beliebigkeit und strategischer Unfähigkeit in Opposition war niemand vorbereitet.
Bei NEOS wäre diese Frage nicht mal eine Diskussion. Es gibt einen offenen Vorwahlprozess, in dem Mitglieder, Vorstand und Bürger zu jeweils einem Drittel entscheiden. Das Ergebnis ist ein ausgewogener Mix aus dem, was das will, was man in der SPÖ „Parteikader“ nennen würde, den Präferenzen der Mitglieder, die vielleicht keine lautstarke Lobby oder wichtige Parteijobs haben, und das der Bürger, die am Ende ja auch die electability prüfen sollen.
Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, das alles dauert noch ein Monat länger und dafür hat man einen Prozess, mit dem man arbeiten kann. Aber das scheitert an einer Grundsatzfrage: Wer soll denn entscheiden, wie man entscheidet, wer Entscheidungen trifft? Und wie treffen wir diese Entscheidung?
Und ja, das alles ist peinlich und hat der SPÖ jetzt monatelang wehgetan. Aber ich meine, das größte Dilemma steht beim Parteitag erst bevor. Denn jetzt, wo zumindest mal fix ist, dass Rendi-Wagner nicht mehr im Rennen ist, muss die Partei eine schwierige Entscheidung treffen. Zumindest habe ich ein Hot Take dazu.
Babler ist der Richtige für die SPÖ – aber Dosko für das Land.
Und nein, das heißt nicht, dass ich Andreas Babler für „eh besser, aber nicht wählbar“ halte. Ich habe schon an anderer Stelle darüber geschrieben, dass ich Hans Peter Doskozil für die beste Option halte, die in der SPÖ momentan etwas werden will. Das hat mehrere Gründe:
Ich kaufe ihm ehrlich ab, dass er keine Lust darauf hat, im Bund mit der ÖVP zusammenzuarbeiten.
Er würde am ehesten die Mehrheit dafür liefern, Schwarz-Blau zu verhindern und in eine Ampelkoalition zu gehen.
Zwischendurch hat er auch Ansagen, die ich gut finde, weil er sich mit Etablierten anlegt: ÖVP, Gewerkschaft, Ärztekammer.
Heißt das, dass ich Dosko megageil finde? Nein. Aber wer Schwarz-Blau verhindert und mir die beste realistisch mögliche Regierungskoalition ermöglicht, ist mein Freund, und da sehe ich in ihm nun mal die beste Chance.
Was aber nicht heißt, dass Doskozil der beste Kandidat für die SPÖ wäre – das glaube ich nämlich wirklich nicht. Denn auch, wenn Österreich mit einer Ampelkoalition besser dastehen würde, verstehe ich, dass die Sozialdemokraten auf ihre eigenen Interessen schauen. Darauf, wer was wird, wofür ihre Partei steht, wie sie nach außen dasteht und auf welche Wählergruppen sie schielt.
Und ich fürchte, die Antwort ist nicht Hans Peter Doskozil. Denn all die Dinge, die für mich genau für ihn sprechen – er holt sich seine Stimmen eben nicht von den Grünen, die es für eine Ampel braucht, sondern von ÖVP und FPÖ – finden manche in der SPÖ gar nicht gut. (Was jetzt nicht nur aus den Medien entnommen ist, sondern sich fast unisono durch meine persönlichen Kontakte zu SPÖlern bestätigt.)
Als Parteimitglied denkt man nun mal anders als „normale Bürger“. Wenn NEOS eine Kampfabstimmung hätte, würde ich wohl auch danach gehen, in welche Richtung sich die Partei entwickeln soll – und wenn da jemand steht, der weniger meine Werte vertritt, wird mich keine Umfrage davon abhalten. Ich glaube, so geht es vielen auch in der SPÖ.
Dazu kommt, dass sich viele das jahrelange Mobbing gegen Rendi-Wagner merken werden. Ich höre auch von vielen, dass Christian Kern sich unbeliebt gemacht hat, weil er jetzt auf einmal doch Dosko unterstützt – trotz der komplizierten Vorgeschichte, die ich hier zusammengefasst habe. Nimmt man das Image des „rechten SPÖ-Randes“, gepaart mit Mobbing-Vorwürfen und harten Angriffen aus dem internen Wahlkampf, werden sich wohl viele in der SPÖ für Andi Babler entscheiden. Auch, wenn der die Ampelkoalition verunmöglicht.
Es schauen aber nicht alle aus Ampel-Sicht auf die SPÖ.
Und darum fürchte ich, dass es Babler wird. „Fürchten“ deswegen, weil ich ihn nicht für fähig halte, die Partei zu führen, und weil ich Leute, die sich 2023 stolz als Marxisten bezeichnen, für nicht regierungsfähig halte. Vor allem, wenn sie im Interview sofort zurückrudern, sobald ausgesprochen wird, was Marxismus bedeutet.
Für mich ist dieser ganze Prozess jedenfalls leicht einzuordnen: Mit Doskozil gibt es die Option auf Rot-Pink-Grün, mit Babler höchstwahrscheinlich nicht. Darum bin ich dafür, dass es Dosko wird – aber da ich weiß, dass die SPÖ nicht die gleichen Interessen hat wie ich, bin ich skeptisch, ob das wirklich passiert.
Schwer würde diese Koalition übrigens mit beiden. Auch, wenn ich Doskozil besser fände: Wirtschaftspolitisch trennt ihn von Babler vor allem die Rhetorik, das Burgenland könnte man genauso als „Staatsmonopolkapitalismus“ branden, wenn er nur wollte. In wichtigen Fragen wie dem Pensionssystem wäre es wohl mit beiden schwer, etwas in die richtige Richtung zu verändern. Und dann gibt es unabhängig vom Parteichef noch einen starken russland-freundlichen Flügel der SPÖ, der vom Außenministerium weit fern bleiben sollte.
So gern oder ungern wir die SPÖ auch haben wollen, wir brauchen sie wohl rein wahlarithmetisch, um Blau-Schwarz zu verhindern.
Und es sieht für mich nicht so aus, als würde sie das in nächster Zeit hinbekommen – wenn es Dosko wird, dann sollten sie langsam aufhören, ihn wie Norbert Hofer zu behandeln, und wenn es Babler wird, dann wird es Babler. Was zur Hölle eigentlich.
Trotzdem habe ich noch etwas Resthoffnung, dass der Prozess, so furchtbar er ist, langfristig auch etwas bringen kann. Wir haben in letzter Zeit viel über sozialdemokratische Politik diskutiert, obwohl, ja sogar weil die entsprechende Partei so am Sand ist. Wenn sich die SPÖ irgendwann nochmal findet – und dieses Wenn wird immer größer –, dann kann das auch eine gute Nachricht für sie sein. Immerhin sind da jetzt neue Mitglieder, es gibt eine hohe Wahlbeteiligung und ihre Ideen finden auch in der Bevölkerung mehr Gehör.
Was mir als Liberalem jetzt eigentlich wurscht sein könnte. Ich will das Pensionssystem und Klimaschutz diskutieren, was (glaube ich) allen drei Kandidaten wurscht ist oder wo sie nie meinen Standpunkt vertreten würden. Aber rein aus educational interest ist es interessant, zuzuschauen, wie sich eine Partei derart chaotisch erneuern muss.
Und noch ein Punkt, der mir in der öffentlichen Debatte völlig fehlt: Die SPÖ ist nicht die einzige Altpartei, die dieses Problem hat. Meine Wette wäre, dass das eines fernen Tages, wenn die ÖVP nach vermutlich 300 Jahren wirklich in Opposition muss, auch ein merkwürdiger Blueprint für die Volkspartei werden kann. Und wenn sie daraus nur lernt, wie man es nicht macht und wie sie es besser machen sollte. Auch sie wird mal den Neuanfang brauchen.
Noch mehr Lesestoff
🇫🇷 Eine Debatte aus Paris, die wir auch führen sollten: Wie passen wir uns an die Folgen des Klimawandels an? Ich weiß, wir sollten uns hauptsächlich darauf konzentrieren, das Ausmaß möglichst niedrig zu halten. Trotzdem werden wir uns nicht aussuchen können, dass die Welt heißer wird – dafür haben wir den Klimaschutz zu sehr verschlafen. Frankreich plant jetzt Maßnahmen, um mit den antizipierbaren Folgen umzugehen. Das sollten wir in Österreich auch machen, denn in Betonwüsten ohne Schatten und hochwasseranfälligen Gebieten wird es schon bald sehr ungemütlich.
📊 Eine Umfrage zur öffentlichen Meinung über das Pensionssystem: This is fine. 🔥
Interessant daran finde ich, dass auch abgefragt wurde, ob das Pensionsantrittsalter erhöht gehört – und da sagt die Altersgruppe 50+ am ehesten Ja. Sind die etwas Älteren bereit, Abstriche zu machen, um die Pension ihrer Kinder und Enkel zu sichern?
Übrigens: Sogar unter dezidierten Optimisten dominiert eine negative Einstellung zum Pensionssystem. Auch völlig zurecht, wie ich schon mal in der MATERIE erklärt hab.
Stuff aus dem Internet
Sternstunde des Parlamentarismus.
Klick auf den Screenshot = Video auf Twitter.
Wer beim SPÖ-Parteitag stimmberechtigt ist.
Unter anderem die „Red Biker“, eine sozialdemokratische Motorradgang, und die „Arbeiterfischer“. Gotta love historisch gewachsene Strukturen.