Der Generationenkonflikt am Arbeitsmarkt
Die Zeiten der großen Sicherheit sind vorbei - und 1.200 € nicht mehr gut genug
Twitter is not real life, so lautet eine internationale Regel im Umgang mit dem Social Network. Und doch ist Twitter immer wieder auch real - auch, wenn sich in Österreich fast ausschließlich Politik- und Medienmenschen dort aufhalten.
Das aktuelle Beispiel kommt von Clemens Neuhold, Journalist beim PROFIL, der eine einfache Frage gestellt hat:
Für Twitter-Maßstäbe war die Diskussion dazu sogar recht konstruktiv. Bäcker:innen müssen in der Nacht anfangen, haben gerade für Familien eher herausfordernde Arbeitszeiten und generell ist das einfach nicht der Traumjob der meisten Leute. Neuhold bezieht sich auf einen Ö1-Beitrag einer Bäckerin, bei der das Nettogehalt nur 1.169 Euro netto beträgt. Da ist der Grund schnell gefunden, warum sich niemand bewirbt:
Da ist es natürlich die klassische Aufgabe des Journalismus, nachzufragen. (Auch, wenn gerade mancherorts vermutet wird, dass es eine “Kampagne” gibt, die Arbeitslose dazu drängen soll, jeden Job anzunehmen. Ich bin nicht ganz überzeugt.) Also hat Neuhold die Dame zum Interview eingeladen und nach den Gehältern gefragt:
profil: Wie viel verdient man bei der Bäckerei Szihn?
Alexandra Szihn: Im Verkauf zu Beginn 1570 Euro brutto im Monat. Plus 50 Prozent Zulage für die Zeit zwischen fünf und sechs Uhr Früh und 100 Prozent Zulage für Sonntagsarbeit. Langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen deutlich mehr - plus einige Goodies.
profil: Der Kollektivvertrag ist das Minimum. Warum zahlen Sie nicht von Beginn an mehr?
Szihn: Wenn jemand gut arbeitet, kann man über höhere Gehälter reden. Aber ich möchte im Probemonat zuerst sehen, wie zuverlässig jemand ist. Um das zu veranschaulichen: Ein Mädchen, das sich neulich beworben hat, war eine Woche da, davon einen Tag vier Stunden zu spät, dann ging sie in den Krankenstand. Ich will mir zuerst anschauen, ob das was wird mit neuem Personal.
Mit diesem Interview war die Debatte danach für viele abgeschlossen. Es gehe eh auch mehr Geld, sie würde eh gerne mehr zahlen, aber die Lohnnebenkosten sind eben hoch und viele wollen auch nichts hackeln. Dazu reihen sich zahlreiche weitere Berichte von Unternehmer:innen ein, die händeringend nach Personal suchen. Also sind sich die Arbeitslosen einfach zu fein für echte Arbeit und die Lohnnebenkosten zu hoch - nothing to see here!
Das große Thema hinter dieser Gehalts-Debatte haben wir aber übersehen. Auf Twitter wurde das eher als Diskussion zwischen links und rechts der Mitte gesehen - “die Linken” fordern immer höhere Gehälter, ohne Unternehmer:innen zu verstehen, und “die Rechten” stellen sich bedingungslos auf die Seite der bösen Ausbeuter:innen. Wenn ich mir die Antworten anschaue, wird aber auch ein anderes Muster deutlich, das sich wie ein Mantra durch viele meiner politischen Beobachtungen zieht:
Es ist ein Generationenthema.
Man kennt das ja schon seit Jahren und ja, es mag auch ein Klischee sein. Aber wie lange reden wir jetzt schon von den bösen Millennials, die sich zu schade für “echte” Arbeit sind und keine richtigen Jobs mehr machen wollen, sondern nur noch an Selbstverwirklichung denken?
Das definierende Thema der Nachkriegsgeneration - und damit auch weitergegeben an meine Eltern-Generation, die Gen X - war die Sicherheit. Solange man nicht hungern muss und ein Dach über dem Kopf hatte, war alles gut. Darum ist der österreichische Traum auch nicht “vom Tellerwäscher zum Millionär”, sondern mit 30 verbeamtet werden, 40 Jahre im selben Job arbeiten und dann in Frühpension gehen. Danke, Wiederschaun.
Heute ist das nicht mehr das Wichtigste. Turns out: Wenn man nicht mit dem Wissen aufwächst, dass Krieg und Armut jederzeit möglich sind, macht man sich Gedanken über andere Dinge. Zum Beispiel: Was will ich mit meinem Leben machen? Ist es eine gute Idee, etwas zu tun, das weder meine Rechnungen bezahlt, noch glücklich macht? Wie lange kann ich einen Job machen, bis ich jeden Tag unglücklich nach Hause komme und nur noch zähle, wie viele Tage ich bis zur Pension habe? Will ich das?
Und die Antwort ist selbstverständlich: Nein, will ich nicht. Arbeit muss meine Rechnungen bezahlen können. 1.200 Euro mag ein gewerkschaftlich ausverhandelter Mindestlohn sein - aber er ist ganz einfach zu wenig. Ich verstehe jedem, der sagt, dass man nicht 40 Stunden die Woche dafür opfern will. Und da trifft mal wieder: Der Markt regelt. Wer keine Löhne und Gehälter zahlen kann, die attraktiv genug sind, der muss eben zusperren.
Das ist natürlich auch ein Thema des sozialen Status: Nicht jeder kann es sich leisten, zu unterbezahlter Arbeit Nein zu sagen. Es mag also etwas scheinheilig wirken, wenn ich mit feinem PR-Berater-Gehalt erzähle, wie wichtig der Kampf gegen Hungerlöhne ist - aber an und für sich geht das Thema uns alle etwas an. Chefs, die dir weniger geben, als du verdienen solltest, sind in allen Branchen ein Phänomen. Wichtig ist, dass man nicht bequem vom Home-Office-Bürosessel neben der Klimaanlage aus sagt, dass die Arbeitslosen sich bitte zusammenreißen müssen, weil auch 1.200 € ein anständiges Gehalt ist.
Gleichzeitig muss man Unternehmer:innen auch zugestehen, dass sie meistens nicht irgendwelche Superschurken sind, die absichtlich ihre Arbeitnehmer:innen ausbeuten. Die Lohnnebenkosten sind riesig, und wenn das Kipferl keine 3 € kosten soll, kann es durchaus schwer sein, wettbewerbsfähige Löhne zu zahlen. Was ich aber oft festgestellt habe, ist eine Art Entitlement. Das, was man uns Millennials immer vorwirft.
Viele ältere Menschen können es sich nicht mehr vorstellen, dass jemand andere Ansichten zu Arbeit hat als sie selbst. Damals hat man einfach einen Beruf gelernt, gemacht und ihn weitergemacht, bis man in die Pension kam. (Was nicht so schwer war in einer Generation, in der so mancher Mann mit einem Vollzeitjob eine Familie ernähren und ein Haus bauen konnte.) Jetzt aber stehen sie mehr und mehr an der Seitenlinie und schreien junge Leute an, dass sie sich an dieses Wertesystem anpassen sollen. Und mein Beileid, wenn es finanziell schwer wird: Aber so wird das nichts.
Auf jeden Fall ist in jüngeren Generationen die Toleranzschwelle dafür, einen schlechten Job abzulehnen, wesentlich größer. Dazu kommt, dass wir gerade ein Jahr lang daheim waren und genug Zeit hatten, uns mit uns selbst zu beschäftigen und zu checken, dass das, was wir jeden Tag machen, uns massiv unglücklich macht.
Das ist übrigens nicht nur eine subjektive Feststellung. Vor allem in den USA, wo die Arbeitsmarkt-Situation noch schlechter aussieht als bei uns, wird gerade sehr oft der gleiche Trend festgestellt. Die NEW YORK TIMES spricht von der YOLO Economy. Die US-Ökonomin Betsey Stevenson sagt dazu in der aktuellen Ausgabe der Ezra Klein Show:
I mean, I remember in the 2008 recession. I would look at the quit data and be like, come on, people. Quit your job. Because quits equals optimism. And so actually, when we see the quits numbers being really high, that seems bad and in the short run it’s going to mean fewer jobs, but it’s actually really optimistic time.
And that’s part of what I think is happening right now. We keep telling people that there are plenty of jobs out there there’s going to be plenty of jobs we’re going to snap back employers are all over the place trying to hire you. So take your time. Quit your job, find something better. Look for the right thing for you.
And right now, people are looking ahead and they’re thinking that not only is there going to be the same amount of jobs next month as there is this month, but maybe even more jobs. Maybe there’ll be more jobs in September. So maybe now is a good time to quit, take some time with your family, take some time to process the pandemic, and then go back to work in a new job in September. The thing that motivates people is really thinking about how likely are they going to be— to stay long-term unemployed. And I think right now we’re telling people that it’s all plentiful jobs ahead.
Diese Ansicht kann man auch auf Österreich übertragen. Wir haben nicht nur zu viele offene Stellen - auch abseits des oft diskutierten Fachkräftemangels -, sondern gleichzeitig auch hohe Arbeitslosigkeit. Kombinieren wir das mit einem Sozialstaat, der uns nicht hungern lässt, und wir haben: Optionen. Die Möglichkeit, nicht irgendeinen Job um 1.200 € anzunehmen, mit dem wir unsere Kinder nicht mehr sehen und 1,5 Stunden anreisen müssen, um dann eh erst recht keine Freude an der Arbeit zu haben. Eventuell ergibt sich etwas. Im Juli gibt es vielleicht bessere Jobs. Das mag oft als “Faulheit” bezeichnet werden - aber es hat auch mit Optimismus zu tun.
Die große Herausforderung wird sein, dass sich ältere Chefitäten in diesem Land darauf einstellen müssen, dass vor allem, aber nicht nur junge Leute nicht mehr jeden Job annehmen, nur weil er Geld gibt. Nicht nur das Gehalt, sondern auch die Arbeitsbedingungen müssen passen. Das Problem ist, dass es viele gibt, die noch anders aufgewachsen sind und einfach nicht einsehen, dass sich die Standards für Arbeit geändert haben, und die nicht einsehen, dass sie mit der Zeit gehen müssen.
Und wenn man mit dem eigenen Angebot niemanden findet - dann regelt das eben der Markt.
Schönen Sonntag