In der letzten Woche des Nationalratswahlkampfs hab ich in vielen Gesprächen das immer gleiche Momentum mitbekommen: Dass sich dieser Wahlkampf-Endspurt nicht anfühlt wie ein Wahlkampf-Endspurt. Durch die viel zu große Fülle an TV-Debatten wurde längst alles gesagt, die politischen Botschaften waren durch gefühlt 20 Krisenjahre in Folge alle ausgetauscht. Kurz gesagt: Dieser Wahlkampf war einfach fad.
Gleich zur Klarstellung: Mir war überhaupt nicht fad. Alleine schon das Rausgehen, das „always on“, die elektrische Stimmung in einem Wahlkampf ist für mich immer super. Aber auch mir ist vorgekommen, dass dieses zündende Element für viele im Nationalratswahlkampf fehlt – was auch der Grund dafür sein könnte, dass das Ergebnis so ist, wie es ist.
Dafür gibt es viele Gründe, aber einer erklärt für mich besonders, warum diese Wahl, deren Ausgangslage eigentlich recht spannend war, für viele einfach nur fad zu beobachten war.
Die meisten Kampagnen waren Standard.
Für mich gibt es so etwas wie „Prototypen“ einer politischen Wahlkampagne: Eine Art der Erzählung und Inszenierung, die eine Partei einer gewissen Richtung wählt, mit der sie nie etwas falsch machen kann. Einerseits, weil sie eben super zum harten Markenkern passt, andererseits, weil sie bereits 100-mal erfolgreich ausprobiert wurde. Ein paar Beispiele:
Sozialdemokraten reden über soziale Gerechtigkeit und bekämpfen die Arbeitslosigkeit. War immer so, wird immer so sein – das ist ein Markenkern, der nur über viele Jahrzehnte verändert werden kann und der im kollektiven Gedächtnis einfach sitzt.
Liberale Parteien reden von Fortschritt: Sie wollen den Stillstand bekämpfen und Wachstum fördern. Sowohl gesellschaftlich – endlich darf man lieben, wen man will –, als auch wirtschaftlich – wir brauchen weniger Bürokratie und mehr Chancen.
Umgekehrt sprechen konservative Parteien von Stabilität und warnen davor, dass sich die Welt zu schnell ändern könnte. Unsere Lebensweise sei durch die Entwicklungen der modernen Zeit in Gefahr, und nur eine starke Politik könne dafür sorgen, dass unser Lebensstil erhalten bleibe.
Genau diese Art von „Default-Kampagnen“ könnte auch der Grund sein, warum sich dieser Wahlkampf so anders anfühlt als viele andere in der österreichischen Geschichte.
Es haben fast alle Wahlkämpfe gemacht, die „Parteien wie diese“ eben machen.
Und das ist anders als sonst! Denn normalerweise haben Wahlkämpfe in Österreich immer Ausreißer, die entweder besonders kreativ auffallen oder versuchen, ihr Wählerspektrum zu erweitern.
Man denke nur an den Christian-Kern-Wahlkampf „Hol dir, was dir zusteht“: Eine für die SPÖ viel zu liberale Aussage, die aber genau dazu gedacht war, eben die neuen Selbständigen und jene Erwerbstätigen anzuziehen, die sich nicht mehr als klassische Arbeiter fühlen. Ein sozialdemokratischer Default-Wahlkampf hätte eher proklamiert: „Ich hol dir, was dir zusteht“ – du selbst musst gar nichts tun, das Geld kommt vom Staat und wir haben genug. Aber das war eben nicht der Gedanke, Kern wollte gewinnen.
Default-Kampagnen dagegen sichern eher den harten Kern ab, was Parteien tendenziell nur machen, wenn sie Verluste reduzieren wollen und wissen, dass die Wahl hart für sie wird. Was – angesichts des FPÖ-Sieges – vermutlich gar nicht so falsch war.
Werfen wir also einen Blick auf die Default-Kampagnen der Wahlsaison 2024 und darauf, was sie zum „Default“ macht.
Die ÖVP geht zurück zu den Wurzeln
Eine konservative Regierungspartei ist sowas wie der Werkzustand europäischer Demokratien: Sie blockieren beim Klimaschutz, haben einen Markenkern aus dem letzten Jahrhundert und entdecken kurz vor dem Wahltag ihre christlich-sozialen Wurzeln, das Wirtschaftsthema und die Menschen am Land für sich.
Karl Nehammer ist nicht anders. Und er hatte auch keine andere Möglichkeit. Was will man denn groß erzählen als Partei, die seit 37 Jahren in der Regierung ist? Man hatte alle Zeit für Reformen und hat (bis auf NEOS) schon jede Koalitionsvariante durch. Neue Ansagen sind unglaubwürdig, für Reformen wird man nicht mehr gewählt. Da bleibt nur eins: Stabilität. Und das Ausmobilisieren des historisch harten Kerns.
Für dieses Playbook gibt es unzählige Referenzpunkte: Von Konrad Adenauers „Keine Experimente“ bis zu Theresa Mays „Strong and Stable“. Gerade die britischen Konservativen spielen dieses Spiel gerne: Sie warnen immer vor dem Chaos, das garantiert sei, wenn die Labour-Partei regiere.
Genau gleich warnt Nehammer vor dem Chaos einer Kickl-Koalition. Sein Ex-Koalitionspartner sei ein „Sicherheitsrisiko“, wie die ÖVP schon im Vorwahlkampf immer wieder betonte. Das Kalkül ist einfach: Wenn man nicht mit mit dieser FPÖ koalieren kann, dann eben mit einer anderen. Entweder man schafft es, dass Herbert Kickl als Parteichef geht, oder man macht es eben trotzdem mit ihm und findet schon eine Ausrede. Kennen wir aus Niederösterreich, kennen wir aus Salzburg. Bis dahin gilt vor dem Wahlkampf: Strong and Stable.
Die SPÖ versucht’s mit Respekt und Arbeiterklasse
Auch Andreas Babler war nicht einfallsreicher. Eine historische Arbeiterpartei stellt ein hemdsärmeliges Arbeiterkind, das normal – sprich: im Dialekt – über das redet, was die SPÖ immer noch glaubwürdig vertreten kann: Alle kriegen mehr Geld. Oder wie es die Bableristas gerne nennen: „Die soziale Frage.“
Damit komme ich auch schon zu dem einen Element, das ich an Bablers Kampagne gut gefunden habe: Die Betonung von Respekt gegenüber dem „normalen“ Volk, das hart arbeitet und wenig von der Politik hat. Ich glaube, dass das den Moment treffen kann, aber nicht mit dem Personal und der Programmatik, die eine SPÖ im Moment hat. Dass aber die alleinige Ansage des Respekts trotz aller Fadesse zum Wahlsieg reichen kann, hat aber schon ein anderer Sozialdemokrat gezeigt: Olaf Scholz.
Das Problem: Scholz hatte eine einfachere Ausgangslage. Karl Nehammer ist kein Armin Laschet, die Grünen sind kein großer Faktor mehr, die FPÖ dafür mehr als die AfD bei der letzten Bundestagswahl. In so einem Umfeld reicht es nicht, sich auf den harten Kern und eine Werteansage zu berufen.
Aber eine intern gespaltene Partei, die in den letzten Regierungen trotz Kanzlerschaft immer den kürzeren gezogen hat, wenn es um Inhalte ging, hat nur noch ihr wichtigstes Thema, um zu überzeugen: „Soziales“. Und im klassischen Slang von SPÖ-Wählern – 70+, Traditionswähler, erinnert sich an Bruno Kreisky – reduziert man dieses Thema auf seinen Kern: Du kriegst mehr Geld, zahlen wird's schon jemand.
Als Kampagne mag das in Ordnung sein, es ist nur das „Ich hol dir was dir zusteht“, das konsequent für eine Zielgruppe ist, die Aufstieg als Bringschuld des Staates sieht. Aber wesentliche Fragen werden da zu einzelnen – schlechten – Forderungen reduziert. Egal welches Problem es ist: Wir machen eine neue Steuer, und dann ist der Schas’ erledigt. Diese inhaltliche Ausdünnung wird der SPÖ auch langfristig noch zum Verhängnis werden.
Zurück zu den Single-Issue-Grünen
Auch die Grünen haben sich auf ihren Kern reduziert – und sind wieder eine Partei, die nur ein Thema kennt. Das ist verständlich: „Wen würde der Anstand wählen“ ist nach fünf Jahren mit der (möglicherweise zweit-)korruptesten ÖVP aller Zeiten für immer unglaubwürdig, auch im Bildungsbereich hat sich nichts getan. Die Grünen haben also nur noch ein Thema: Das Klima.
Dabei gab es auch eine Rückbesinnung zu eher klassischen Grünen-Werten. Das Freche „Wir sind halt so“, das ohne jede Entschuldigung vorgetragen wird, kam etwa von Sigi Maurer auf TikTok, die davor warnt, ihr als „deppertes Trampl von de Grün:innen“ eine Vorzugsstimme zu geben, weil sie „mit der ÖVP gepackelt“ habe. Eine Art, die man von frühen Medienauftritten der Grünen kennt und die an eine viel frühere Version der heute abgedrifteten Madeleine Petrovic erinnert.
Eine andere Stärke der Grünen war eine Mischung aus Policy-Erfolgen und Timing: Das Klimaticket ist ein Policy-Erfolg, den man anfassen kann, und jeder in Österreich weiß, dass man es Leonore Gewessler zu verdanken hat. Mit dem Streit über die Renaturierung wollte man spät Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren – und wurde durch das Hochwasser kurz vor der Wahl bestätigt. So paart sich die Präsentation der eigenen Erfolge (ein Positivwahlkampf) mit der Angst der Wähler (ein Negativwahlkampf): Und das Klimaschutz-Lager ist abgeholt.
Am Ende hat das alles aus mehreren Gründen nicht gereicht. In Österreich wird man nicht für Regieren belohnt, sondern für Zukunftsansagen (which is fine), und das Klimathema ist gerade auf der Agenda nicht mehr dort, wo es 2019 war. Die Grünen haben, anders als 2017, nicht alles falsch gemacht in ihrer Kampagne. Man will sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn man nicht auf Default umgeschalten hätte.
Reformen sind der liberale Default.
Bevor wir zu den Wahlsiegern kommen, wieder mal der übliche Disclaimer: Ich arbeite bei NEOS, trage Strategien nicht nach außen und glaube auch nicht, dass ich da einen großen unterhaltsamen Mehrwert bieten würde. Trotzdem kann ich nicht einfach eine Partei aussparen, daher eine Kurzfassung.
Dass eine liberale Partei den Stillstand zerschmettern will und Reformen fordert, ist auch Default und wenig überraschend. Es passt zu dem, was wir seit mittlerweile 14 Jahren fordern, hat altbekannte Forderungen („Flügel heben“) und große Richtungsansagen („100 % Transparenz“, „10 % mehr netto“) mit dem Argument kombiniert, für das man uns wählen soll: Die verbindende Kraft, die entscheidende Kraft.
Schon abwechslungsreicher war die offensive Regierungsansage und das staatstragende Element, nachdem wir bisher vor allem freche und aufrüttelnde Kampagnen gefahren hatten, die sich anders anfühlten. Aber genau das hat uns auch so oft ins Gespräch gebracht: Wenn man weiß, dass NEOS regieren kann, ist das eben etwas anderes, als nur die Aussicht auf eine kritisch-konstruktive Opposition zu haben. Das hilft in einer Wahl natürlich.
Beim Schreiben dieses Newsletters habe ich nachgedacht, mit welcher liberalen Partei ich diesen Wahlkampf am ehesten vergleichen würde. Die Ansage, als Reformkraft umzusetzen „Was gemeinsam geht“ erinnert an moderate Demokraten in den USA, die zeigen, dass sie auch Republikaner überzeugen können, die Inszenierung von Beate Meinl-Reisinger passt eher zu progressiven Kandidatinnen für Regierungsspitzen in Europa. Aber so richtig will es für mich noch nicht in mein Default-Modell passen. Wahrscheinlich bin ich einfach zu tief drin.
Zur FPÖ: Hat das Kreide fressen wirklich geholfen?
Die FPÖ war die einzige Partei, die bei dieser Wahl aus meiner Sicht ausgeschert ist und keine Default-Kampagne gemacht hat. Was eben auch damit zu tun hat, dass sie in der Situation war, ganz sicher zuzulegen und Wähler anzuziehen, die sie beim letzten Mal nicht hatte – ein Offensivwahlkampf mit neuen Messages, um neue Leute zu holen, ist da nur logisch.
Für Kickl gab es aber ein Dilemma, und ich schätze, das hat sich auch in der Marktforschung gezeigt: Nicht nur dass ihn die Leute nicht mögen, sondern dass sie Angst vor ihm haben.
Kein Wunder. Die letzten Jahre war Herbert Kickl einer, der gefühlt dreimal die Woche in Bierzelten gegen alle austeilte und das Rampenlicht genoss, wenn sich das ganze Land über seine Sager empörte. Er machte sich über sämtliche politische Gegner lustig, forderte „Fahndungslisten“, sprach von einer „Einheitspartei“ und übernahm mit dem „Volkskanzler“ einen Begriff von Adolf Hitler. Was in anderen Zeiten noch ein Problem für die FPÖ gewesen wäre, aber hey, es scheint schon wirklich alles wurscht zu sein.
Und nach dem aggressiven Messaging der letzten Jahre gab es eben nun die Herausforderung: Wie zeigen wir allen, dass der gefährlichste Politiker Österreichs nicht gefährlich ist?
Die Antwort: Auf seinen Plakaten sprach Kickl davon, ein „Werkzeug“ zu sein, über das die mobilisierte Masse der Regierung etwas ausrichten könne. Mit „Euer Wille geschehe“ nahm er Anleihen an der Bibel, was zwar nicht ganz off-brand ist, aber genauso gut von einer konservativen Partei kommen konnte. Das Framing war nicht mehr das übliche rechtspopulistische „Nur ich allein kann euch retten“, die Erzählung ging weg vom starken Mann.
Für mich war das vor allem in den TV-Diskussionen merkbar. Der Herbert Kickl, den man vom politischen Aschermittwoch der FPÖ, aber auch von hitzigen Diskussionen im Nationalrat kennt, ist ein brillanter Rhetoriker, der austeilen kann – wer mich vor einem Jahr gefragt hat, dem habe ich damals noch gesagt, dass kaum jemand eine Chance gegen ihn hat. Aber durch das Projekt, gemäßigter zu wirken, war viel von diesem Biss verschwunden. Am interessantesten fand ich das Duell zwischen Nehammer und Kickl, weil Nehammer es aus meiner Sicht wirklich überzeugend für sich entschied – das Stabilitäts-Framing saß, beim Thema Russland lockte er Kickl aus der Reserve.
Am Ende war der FPÖ-Wahlkampf also alles andere als das klassische „Burn down the system“, sondern ein gemäßigter Wahlkampf von einem, der es ja nur gut meint. Für mich ist extrem interessant, dass das gereicht hat. Denn eigentlich war der Wahlkampf gar nicht so gut – die Wähler waren einfach früh entschieden.
Das wird auch deutlich, wenn man sich ansieht, was diverse FPÖ-Propagandisten kurz vor dem Wahltag sagten. Als sich in Umfragen abzeichnete, dass es knapp werden könnte, sagten etwa Leute wie Peter Westenthaler, dass sie genau wüssten, wann sie sich für die FPÖ entschieden hätten: Während den Lockdowns etwa, oder als die Impfpflicht ausgerufen wurde, oder als man durch die hohe Inflation den Wohlstand Österreichs vernichtet hatte. Und das macht deutlich:
Auch die FPÖ hat am Ende nur mobilisiert, was möglich war. Auch, wenn das nicht die Strategie war.
Denn wenn man sich anschaut, welche Wähler sich wann entschieden haben, welche Partei sie wählen, sieht man ein interessantes Bild. Die letzten Tage und Wochen der Wahl haben vor allem NEOS geholfen (was super Feedback für einen Wahlkampf ist), die FPÖ dagegen hat über 80 % schon lange überzeugt.
Aus dieser Statistik können wir ableiten:
Die FPÖ wollte neue Zielgruppen erreichen und ihnen die Angst nehmen, um die Wahl zu gewinnen, hat aber mit dem Wahlkampf wenig bewegt. Die Strategie des Gemäßigten ist also trotz Wahlsieg nicht ganz aufgegangen.
NEOS dagegen hat durch den Wahlkampf viele überzeugt und die letzten Wochen des Wahlkampfs genutzt, um Menschen zu überzeugen, die sonst andere Parteien gewählt hätten.
Wenn sich die ÖVP für die „Aufholjagd“ auf die Schulter klopft, ist da wohl etwas dran. Nicht nur, weil sie in Umfragen aufgeholt hat, sondern auch, weil ihre Mobilisierung im Endspurt wohl besser war.
Und für die SPÖ, die ihr Ergebnis ungefähr gehalten hat, bedeutet das Ergebnis eigentlich nur, dass für Sozialdemokraten ohne eine neue Erzählung einfach nicht mehr drin ist. Unbefriedigend, aber nicht überraschend.
Es wäre spannend zu wissen, welches Ergebnis die FPÖ gemacht hätte, wenn sie auch auf einen Default-Wahlkampf gesetzt hätte. Die rechtspopulistische Variante davon wäre eine Mischung aus Eliten-Bashing, Ausländer-Raus-Rhetorik und aktuell wahrscheinlich noch einem Corona-Rachemotiv, was genau drei Plakate für eine Welle ergeben würde, die genau zu den letzten Jahren passen.
Hätte Kickl damit mehr Leute verstoßen, die er unter dem „gemäßigten“ Framing geholt hat? Oder hätte er den harten Kern der Partei noch mehr ausmobilisiert und das Drittel des Nationalrates erobert, das man für die Verfassungsmehrheiten braucht? Eine wahlstrategisch extrem interessante Frage – von der ich froh bin, dass wir sie nicht rausfinden mussten.
Insgesamt scheint der Default-Wahlkampf aber funktioniert zu haben. Auch, wenn er fad war.
Österreichs Parteien haben sich auf ihre Kernversprechen und ihren harten Kern reduziert, um in einer innenpolitisch schwierigen Situation zu mobilisieren. Das hat anscheinend funktioniert – denn der Wahlsieg der FPÖ wurde zwischen 2020 und 2023 errungen. Ohne das chaotische Pandemie-Management, die Impfpflicht, die hohe Inflation und die Gießkannen-Politik der Regierung, die im Streit auseinanderging, wäre es wohl gut möglich gewesen, ein anderes Ergebnis zu erzielen. Den Verlauf der Innenpolitik kann auch ein Default-Wahlkampf nicht mehr ändern.
Was ich übrigens nicht sagen will, ist, dass alles unkreativ und Default war. NEOS haben sich explizit an enttäuschte ÖVP-Wähler gewandt, die ÖVP dagegen versuchte, mit migrations- und sicherheitspolitischen Ansagen eine Alternative für FPÖ-Wähler zu sein. Andreas Babler ist es gelungen, die Grünen abzuräumen, was wahrscheinlich weniger kommunikatives Geschick als taktisches Glück war. Und Herbert Kickl betonte in Fernsehdiskussionen tatsächlich Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien. Es ist also nicht so, dass sich jeder mit weniger zufrieden gab, als möglich war.
Insofern war dieser Wahlkampf auch handwerklich extrem spannend. Die Abwägung, wann man in den Outreach geht und wann man sich auf den Kern zurückzieht, ist keine, die man mit 0 oder 100 % beantworten kann, und wie man sie trifft, ist eher eine der wichtigsten, die man in einem Wahlkampf treffen kann. Wie die Parteien sich einerseits auf bewährtes konzentriert haben, um andererseits anlassbezogen in strategischen Wähleraustausch zu gehen, war faszinierend zu beobachten.
Aber natürlich verstehe ich trotzdem, dass diese Wahl für viele fad war. Nach 100.000 Fernsehdiskussionen, in denen zwischen Anfang August und Ende September nicht viel Neues kommt, ist der Wahlkampf für viele durchgespielt, bevor er begonnen hat. Und meine anekdotische Evidenz aus den Wahlkampfgesprächen zeigt mir, dass das taktische Element – „Was muss ich wählen, um Herbert Kickl zu verhindern?“ – am Ende die Frage war, die viele interessiert hat, als Positionen längst austauschbar waren.
Ob das wirklich gelungen ist, wird sich erst zeigen. Bis dahin ist es aber interessant, sich Gedanken zu machen, was man aus diesem Wahlkampf lernen kann.
Noch mehr Lesestoff
🤭 Whoops, doch ein Schuldenproblem! Nachdem ÖVP und SPÖ im Wahlkampf jeden Tag klargestellt haben, dass es kein Sparpaket braucht, kommt jetzt zufällig nach der Wahl auf: Die Schulden sind um 30 Milliarden höher als gedacht. Und jetzt? Wir müssen wohl über Reformen reden, das WIFO plädiert für eine Pensionsreform. Wenn es doch nur eine Partei gegeben hätte, die genau das schon im Wahlkampf gewusst hat.
👀 Wie man in Deutschland auf den FPÖ-Wahlsieg schaut: Indem man sich darauf vorbereitet, nicht mehr mit uns zusammenzuarbeiten. Denn im Ausland weiß man: Wenn die FPÖ in der Regierung ist, liest Russland immer mit. Ich würde ja die Zusammenarbeit von Geheimdiensten als ein wichtiges Thema sehen, aber muss jeder selber wissen.