Der neue blaue Schmäh der „Einheitspartei“
Kickls neues Lieblingswort ist extrem einfach zu widerlegen
Es ist mal wieder Zeit, über depperte Framings vom extremen Rand zu sprechen.
In seiner Rede bei der Sondersitzung des Nationalrats am Freitag packte Kickl seinen neuen Lieblingsschmäh aus: Den, dass Politiker von NEOS, ÖVP, Grünen und SPÖ alle Teil einer „Einheitspartei“ wären.
Das macht Kickl mittlerweile öfter. Er tut so, als würden sich alle Parteien außer die FPÖ nicht voneinander unterscheiden, und fängt seine Aussagen gerne mit „wir sind die einzige Partei, die …“ an.
Man könnte diesen Satz auch korrekt fortschreiben: „Wir, die FPÖ, sind die einzige Partei, die …“
ein offensichtliches Rechtsextremismus-Problem hat
den Klimawandel leugnet
in der Pandemie Entwurmungsmittel empfohlen hat
Verschwörungstheoretiker ansprechen will
immer dann, wenn sie im Bund auf der Regierungsbank war, kurz danach auf der Anklagebank endete
Dann wäre der Satz ja komplett in Ordnung, unkontrovers und nachprüfbar. Aber Kickl meint etwas anderes und tut so, als wäre die „Bitte, lieber Putin, lass uns Freunde sein“-Partei die „einzige Partei, die für Frieden und Neutralität einsteht“. Die Ansagen gehen also eher in Richtung Fantasie.
Jeder, der diesen Newsletter liest, wird wissen, warum das billig ist. Aber nicht alle wissen das – und weil nächstes Jahr ein „Super-Wahljahr“ ist, werden wir bis Herbst 2024 noch oft davon hören. Es kommt mir also angemessen vor, diesen Schmäh kurz zu widerlegen, was ja nicht wahnsinnig schwer ist: Wir können das Experiment doch ganz einfach durchgehen.
Worin sind sich denn SPÖ, ÖVP, die Grünen und die NEOS denn großartig einig?
In der Wirtschaftspolitik gibt es klare Unterschiede. Die SPÖ fordert Preisdeckel (die in anderen Ländern zu Mangelwirtschaft geführt haben), die ÖVP ist dagegen. Auch in der Koalition gibt es Dissens: Etwa zur Frage, ob es eine Millionärssteuer geben soll, wie es die Grünen fordern und die Schwarzen ablehnen. Und nicht mal auf einen Modus kann sich die angebliche „Einheitspartei“ einigen: NEOS fordert Strukturreformen, ÖVP und Grüne arbeiten am liebsten mit der Gießkanne, und die Forderungen der SPÖ gehen tendenziell schon in Richtung zentrale Preissteuerung.
Probieren wirs in der Klimapolitik. Die ÖVP bezeichnet Österreich als „das Autoland schlechthin“, die Grünen wollen noch schneller raus aus dem Verbrenner – laut einem Entwurf, der PROFIL vorliegt, sogar schon 2027 statt 2035. NEOS wiederum unterstützt das Verbrenner-Verbot auf EU-Ebene mit 2035, verweist aber als Position zwischen den Standpunkten der anderen auch darauf, dass der Ausbau bis dahin noch deutlich flotter gehen muss. Und die Sozialdemokraten können sich da nicht mal intern einigen: Die Jüngeren verstehen die Notwendigkeit von Klimaschutz, die Alten halten den Verbrenner (nämlich nicht das Auto an sich, wirklich das Umweltschädliche) für ein Symbol der Freiheit und tun so, als wäre der Wohlstand damit erreicht, dass man Brumm Brumm machen darf. Den Widerspruch fasst auch Sigi Maurer in einem Interview gut zusammen:
Es ist lieb, wenn SPÖ-Nationalrätin Julia Herr irgendwelche Klimaschutz-Taferln in die Kameras hält, aber dann trotzdem jedes Mal mitstimmt, wenn versucht wird, die CO2-Bepreisung wieder abzuschaffen oder fossile Subventionen zu erhöhen.
Im Bildungsbereich kämpfen die SPÖ und ÖVP seit Jahrzehnten einen Kleinkrieg zwischen Gesamtschule und Gymnasium, der echte Reformen traditionell blockiert hat. Die Grünen und Sozialdemokraten sind gegen Studiengebühren, die Volkspartei ist manchmal dafür, manchmal dagegen, die JUNOS Studierenden wollen Beiträge, die man nach dem Studium mit Akademikergehalt abzahlen kann.
Wohnpolitik? Mietpreisbremse vs. sozialer Wohnbau vs. Eigentum fördern vs. Bauen und Anreize für mehr Wohnraum schaffen.
Medienpolitik? Parteipolitische Kontrolle des ORF vs. Entpolitisierung, Abschaffung vs. Rettung der WIENER ZEITUNG, Qualitätsförderung neu vs. Gießkanne für verstaubte Print-Medien mit neuer Verpackung.
Sicherheitspolitik? Feiger Verweis auf die Neutralität vs. wie auch immer geartete „aktive Neutralitätspolitik“ vs. EU-Armee.
Man sieht: Dafür, dass es sich angeblich um eine „Einheitspartei“ handelt, ist sie sich bei erstaunlich viel Themen uneinig. Nämlich bei ausnahmslos allen.
Aber das interessiert FPÖ-Wähler nicht.
Kickl weiß, dass sich der durchschnittliche Bürger an sich, und der durchschnittliche FPÖ-Wähler im Speziellen, sehr wenig mit Politik beschäftigt. Es ist das gleiche Kalkül, das auch hinter populistischen Forderungen der SPÖ steckt, die einen Reality Check nur wenige Wochen überlegen würden. Wenn die Preise hoch sind, soll die Regierung sie eben senken – was kümmert mich, die so ein Preis eigentlich zustande kommt.
Damit einher geht auch das Bedürfnis nach einem „starken Mann“, der sich nicht um Kompromisse kümmern muss: Wenn alles wie eine extrem einfache Ja/Nein-Entscheidung ausschaut, dann wissen wir ja, was wir zu tun haben. Kickl verspricht niedrige Preise, weniger Ausländer und dass er der angeblichen Einheitspartei so richtig eine auflegen wird. Wir wissen zwar alle nicht, was das in der Praxis bedeutet, aber wird schon stimmen, oder?
Es wird also sicher der ein oder andere, der nichts von Politik versteht, darauf reinfallen, wenn Herbert Kickl etwas von der „Einheitspartei“ erzählt. Aber das ist nicht weiter schlimm, weil man es ja richtig schön entkräften kann: Hier, es gibt sehr viele Unterschiede zwischen den Parteien. Und man kann den Schmäh auch umgekehren, denn:
Die FPÖ unterscheidet sich doch selbst nicht immer von anderen Parteien.
Mit der SPÖ etwa haben die Freiheitlichen viel gemein. Sie beide tun so, als könnte die Regierung Preise nach unten schrauben, und würden Politik mit „Deckeln“ machen. Das meint Herbert Kickl auch mit „Machen wir es wie der Orbán“ – das bedeutet die höchste Inflation Europas, weil Preisdeckel zu hohen Preissteigerungen anderswo und Mangelwirtschaft führen. Passiert, wenn Leute, die Wirtschaft nur von Hörensagen kennen Politik machen wollen.
Und auch wenn es um den Kuschelkurs mit Russland geht, hat die FPÖ viel mit der SPÖ gemein – eine rot-blaue Koalition wäre das beste, was Wladimir Putin auf Österreich bezogen passieren könnte.
Es trifft aber nicht nur die SPÖ – auch wenn man den Vergleich mit der Volkspartei sucht, fragt man sich, warum man überhaupt FPÖ wählen muss. In ihrer Rhetorik klingen ÖVP-Politiker oft exakt gleich. Wenn eine gut integrierte Familie abgeschoben wird, die Deutsch spricht und in Mangelberufen arbeitet, sehen das die Schwarzen mittlerweile als Triumph. Sie haben längst erkannt, dass der christlich-soziale Flügel tot und seit Sebastian Kurz der Weg zurück verbaut ist. Ihre einzige Strategie ist, die Freiheitlichen bei ihren Themen rechts zu überholen.
Und auch um die Asylpolitik müsste man sich als FPÖ-Wähler eigentlich keine Sorgen machen. Sowohl SPÖ als auch ÖVP haben „fremdenrechtliche Kracher“ gebracht, schon unter Rot-Schwarz gab es regelmäßige Verschärfungen im Asylrecht, um nur ja nicht gegen Strache zu verlieren. Als Innenminister hat Kickl daran nichts verändert – er hat lediglich eine Unterbringung in „Ausreisezentrum“ umbenannt. Nettes Meme für den rechten Rand, aber keine reale Konsequenz. Und dass abgeschoben werden kann, ist mittlerweile politischer Konsens.
Die neue Phrase von Kickl ist also, wer hätte es gedacht: Blödsinn.
Kickls Schmäh von der „Einheitspartei“ ist also eine schöne Floskel, die in Reden gut klingt und das extreme Lager in seiner Ablehnung anderer Parteien mobilisieren soll. Dahinter steckt aber keine Verschwörung oder ernsthafte Einigung – sondern eine klare Ablehnung von Ideen, die dumm, rechtsextrem oder beides sind.
Wie immer gilt: Lasst euch nicht verarschen.
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