Kennt ihr es auch noch, das Meme des russischen Trolls?
Wer die letzten Jahre internationale Politik verfolgt hat, weiß vermutlich, dass nicht nur bei der US-Wahl immer irgendwo die Russen involviert waren. Ob beim Brexit-Referendum, bei der französischen Präsidentschaftswahl oder bei der wichtigsten Abstimmung in den USA: Irgendwo steckte immer Vladimir Putin, der mit seinen berühmten “Trollfabriken” Stimmung für die Kandidat:innen machte, die am meisten Chaos bedeuteten.
Nachdem jeder zum 100. Mal von den russischen Trollen gehört hatte - es gibt mittlerweile sogar einen eigenen Wikipedia-Artikel dazu - wurde das irgendwann zum Meme. Genau die Politiker:innen, die sich in Europa von Putin zahlen ließen, genossen es, einfach laut auszusprechen, wie es ist. Aber dabei so zu tun, als sei es ein Witz.
Jetzt werdet ihr euch vielleicht fragen: Warum schon wieder ein Artikel über russische Trollfabriken, ich hab doch eben erst geschrieben, dass Desinformation out ist. Warum also über Internet-Kommentare reden, während in der Ukraine mit echten Waffen gekämpft wird?
Ich habe in letzter Zeit einiges von schlaueren Leuten gelesen, die über die politische Kultur Russlands und das Verhältnis dieser Gesellschaft zur Wahrheit schreiben. Und meine These ist folgende:
Trolling ist die große russische Strategie.
Das ist jetzt bewusst wie ein Hot Take, aber hear me out. Schauen wir uns kurz die Definition von Trolling im Internet an. Back to Wikipedia:
In internet slang, a troll is a person who posts inflammatory, insincere, digressive, extraneous, or off-topic messages in an online community (such as social media (Twitter, Facebook, Instagram, etc.), a newsgroup, forum, chat room, online video game, or blog), with the intent of provoking readers into displaying emotional responses, or manipulating others' perception. This is typically for the troll's amusement, or to achieve a specific result such as disrupting a rival's online activities or manipulating a political process. Even so, Internet trolling can also be defined as purposefully causing confusion or harm to other users online, for no reason at all.
Kurz: Trolle trollen herum, um zu provozieren und Chaos zu verursachen. Das kann entweder aus Spaß an der Freude passieren, wie jeder weiß, der schon mal jemanden auf Twitter kalt erwischt hat. Aber eben auch, um ein Ziel zu erreichen, say, Destabilisierung Europas.
Dass diese Strategie funktioniert, können wir zum Beispiel daran sehen, dass Putins Freunde in Österreich an die Macht gekommen sind - in eine Regierung, die nach kurzer Zeit gescheitert ist und die nach wie vor die Justiz beschäftigt. (Wie schon die FPÖ-Regierung davor, aber ich schweife ab.)
Diese Strategie, die sich im Internet mit einem Block im Wesentlichen erledigt hat, hat auf weltpolitischer Ebene riesige Auswirkungen. Ich glaube nicht, dass Strache 2017 Vizekanzler wird, wenn er nicht die Unterstützung Russlands hat und das Playbook “flood the zone with shit” durch zahlreiche rechte Medien seit Jahren praktiziert. Und dieser Trend mag seinen Peak bereits erreicht haben - aber mit Marine Le Pen könnte trotzdem eine Putin-Freundin in den Elyseé-Palast einziehen.
Aber das politische Trolling ist nicht nur eine außenpolitische Strategie, die sich Putin als early adopter überlegt hat.
Es hat sogar seinen Platz in der russischen Geschichte. In Nothing Is True And Everything Is Possible schreibt der ukrainisch-stämmige Autor Peter Pomerantsev (lange vor dem Ukraine-Krieg) ausführlich darüber, wie Russland das Konzept “Wahrheit” verlernt hat. Der sowjetische Doublespeak und das gelernte Verhalten, Lügen zu erkennen, aber nichts gegen sie zu sagen, sitzt immer noch tief - und Russland hat keine demokratische Tradition, mit der sich das so leicht ändern ließe.
Das gilt auch für Vladimir Putin. Er hat noch aus Sowjet-Zeiten gelernt, dass Menschen mehrere Dinge gleichzeitig glauben können: Das, was sie wirklich glauben und das, was sie glauben sollen, um keine Probleme zu bekommen. In einem Staat, in dem nicht zählt, was du willst und was du kannst, sondern wen du kennst und wie nahe du an der Macht bist, ist das der gewohnte Modus der Menschen. Und wenn sich jeder daran gewöhnt, dass die Wahrheit und das, wovon alle so tun, als sei es die Wahrheit, nebenbei existieren können? Dann gibt es auch keinen Anreiz mehr, sich an der Realität zu orientieren.
Damit kann man auch erklären, warum die Militärmacht Russland sich mit der kleinen Ukraine so schwer tut: Putin hat sich mit Ja-Sagern umgeben, deren Job es seit Jahrzehnten ist, die offizielle Version der Geschichte zu glauben. Das mag in Friedenszeiten angenehm sein - aber es hilft eben nicht dabei, eine Armee aufzustellen.
Auf der einen Seite sind also die Realitätsverweigerer, die gelernt haben, schönzureden und zu glauben. Und auf der anderen Seite?
Da ist der Westen mit seinen liberalen Systemen, die am allerbesten für Krisen ausgestattet sind - weil sie sich verändern können.
Und das heißt auch, dass wir aus Fehlern gelernt haben - während nach der Krim im Wesentlichen geschwiegen wurde, treffen die heutigen Sanktionen Russland hart. (Bin es nur ich, oder ist Twitter ruhiger geworden, seit die russischen Trolle in Europa nicht mehr bezahlt werden?)
Und darin liegt für mich die Schadenfreude in diesem Moment: Russland ist die zweitgrößte Militärmacht der Welt und scheitert an den Schwächen seines eigenen Systems. Wenn nur noch zählt, wie gut du die offizielle Geschichte verkaufen kannst und wer dem Anführer am öftesten recht gibt, verliert man schnell den Überblick über das, was real ist - und damit über die Schwächen der eigenen Armee, die Kampfbereitschaft des ukrainischen Volkes und die Entschlossenheit des Westens. Und jetzt sieht man, wie sich das auf den Krieg auswirkt:
Während Putins Wirtschaft leidet und für das russische Volk immer offensichtlicher wird, dass es sich um einen illegitimen Angriffskrieg handelt, sind die westlichen Volkswirtschaften einigermaßen intakt. Auch wir kämpfen mit der Teuerung - aber bei uns gibt es noch keine Schlägereien um Zucker. Putin hat wohl geglaubt, wir würden nichts tun.
Die Ukraine kämpft einen David-gegen-Goliath-Kampf und überrascht Russland immer wieder. Die Truppen wurden in wenigen Jahren gut ausgebildet, sind im Kampf um ihre Heimat motivierter als eingezogene Russen und sind dezentraler aufgestellt. Viel wird darüber berichtet, dass die russische Kommandokette völlig außer Kontrolle ist - wenn ein Anführer stirbt, herrscht Chaos oder das Recht der Stärkeren. (Wie viel davon Propaganda ist, darf natürlich hinterfragt werden.) Putin hat wohl geglaubt, er wäre überlegen.
Russlands Best-Case-Szenario ist momentan mehr Einfluss in der Ostukraine und ein gesichtswahrender Status als kleiner Bruder Chinas. Obwohl es das größte Land der Welt ist, ist es durch die Vetternwirtschaft und ein illiberales System wirtschaftlich nicht gewichtig genug, um auf Augenhöhe mit China zu sein. Autokraten bleiben sich gegenseitig treu - aber der Westen und Putin werden wohl keine Freunde mehr, to say the least.
Wie immer gilt: Natürlich kann niemand vorhersagen, was passieren wird. Aber für den Moment sieht es danach aus, als wären sich die offensichtlichen Systemschwächen von Putins Russland nicht gerade förderlich in einem Krieg. Und auch die Forderung, endlich aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu kommen, nimmt langsam Fahrt auf.
Für mich zeigt der bisherige Verlauf dieses Krieges - sowohl in der Ukraine, als auch der propaganda war -, dass Systeme keine Zukunft haben, wenn sie nur darauf basieren, alle anderen schwächer zu machen. Putin mag immer wieder anderswo destabilisiert haben. Aber am Ende ersetzt Trolling keine Politik. Und ist immer gut zu sehen, wenn Trolle aufs Maul fallen.
Damit einen schönen Start ins Oster-Wochenende
Noch mehr Lesestoff
🖕 Russian Warship, go fuck yourself. Ein Essay, der mich zu diesem Artikel inspiriert hat, kommt von Constantin Seibt in der Republik. Er schreibt sehr viel ausführlicher über die Schwächen des russischen Systems, über den Kampf zwischen autoritären und liberalen Staaten, über die lange Vorgeschichte dieses Krieges und darüber, dass der Faschismus zurück ist. (Republik)
Es ist Zeit, ein paar eigene Meinungen über Bord zu werfen, zuzuhören, Bündnisse zu schliessen und schnell zu lernen. Denn der Faschismus ist zurück. Und er will eine Revanche. Noch weiss niemand, ob der kommende Krieg heiss oder kalt wird. Klar ist nur: Wir gewinnen, weil sonst nichts bleibt, was das Leben lebenswert macht. Oder eleganter gesagt: Russisches Kriegsschiff, fick dich!
📅 Die nächsten Wochen werden entscheidend sein. Nein, kein Rudi-Anschober-Zitat, sondern die Journalistin Anne Applebaum, die sich mit Diktaturen beschäftigt. In ihrem Artikel beschreibt sie die Fehler der russischen Armee in der Ukraine und deutet an, dass auch eine irrationale Offensive starten könnte. Was bedeutet, dass Russland endgültig verloren hätte. Es sei unser Job, das zu garantieren. (The Atlantic)