Der Sieg der Meinungsroboter
Wenn Journalisten sich nicht mehr frei äußern dürfen, haben wir ein Problem
Wenn man die meisten Menschen fragt, wie Journalisten sein sollten, kommt wahrscheinlich zuerst die Antwort “objektiv”. Und alles andere kommt danach. Was ich verstehe - ich war auch Journalist und finde das wichtig, und ich will auch weiterhin objektive Nachrichten haben. Aber heißt objektiv, dass man keine eigene Meinung mehr hat oder diese nicht äußern kann?
Ich halte diese Ansicht für falsch. Natürlich sollten Journalisten Meinungen haben - aber in ihrer Berichterstattung nur in Form von Kommentaren äußern. Und es gibt da auch keine zwei Meinungen: Journalisten haben Meinungen, da sie sich mit Abstand am meisten mit dem beschäftigen, worüber sie berichten. Warum sollte ich also nicht erwarten, dass ich eine Einschätzung bekomme? Wer, wenn nicht Journalisten, kann mir Orientierung bieten?
Debatten darüber, was Journalisten sagen dürfen und was nicht, die spielen sich meistens auf Twitter ab. Und damit interessieren sie in Österreich schon mal den Großteil der Gesellschaft nicht. Aber auch ein gut geführter Twitter-Account kann gute Werbung für Journalismus sein - er spricht für die eigene Expertise und die Qualität der Berichterstattung. Und nicht nur in Österreich braucht es das, um gerade junge Menschen wieder für Medien zu begeistern - denn Print werden die nicht mehr abonnieren.
Warum schreibe ich das gerade jetzt? Weil die BBC, der öffentlich-rechtliche Sender des Vereinigten Königreichs, sich selbst neue Social-Media-Guidelines gegeben hat. Diese schreiben vor, wie sich ihre Mitarbeiter im Internet verhalten müssen. Das klingt vielleicht zuerst nach einem langweiligen Nischenthema, aber ich sehe darin einige problematische Trends, die in Richtung “Meinungsroboter” gehen. Und das ist ein Trend, der sogar die Demokratie gefährden könnte. Aber der Reihe nach.
Was steht denn da drin?
First things first: Natürlich ist es sinnvoll, sich selbst Regeln zu geben. Gerade die österreichische Journalistenbubble tut ihren Medien nicht immer einen Gefallen mit ihren Twitter-Accounts. Nicht nur, weil die Streitereien oft wegen lächerlichen Lapalien geführt werden und sich im Wahlkampf alle gegenseitig vorwerfen, parteiisch zu sein - auch dieser Trend, den Bildschirm mit dem Handy abzufotografieren, statt einem Screenshot zu machen! Peinlich!
In der neuen Social-Media-Guideline der BBC sind jedenfalls auch gute Punkte vorhanden. Zum Beispiel:
Do always treat others with respect, even in the face of abuse. People who work for the BBC should set an example for civilised public debate.
If you know you’ve got something wrong, do correct it quickly and openly.
If you are “live tweeting” a story, do clearly indicate it is developing and your posts are not a final or settled view.
Never use your BBC status to seek personal gain or pursue personal campaigns.
Do not reveal how you vote or express support for any political party.
Das sind alles nachvollziehbare journalistische Standards. Die erste Regel ist gleich die wichtigste und könnte salopp mit “Don’t be a jerk” übersetzt werden. Aber einige Regeln schränken die Arbeit von BBC-Journalisten ganz klar ein und machen nicht nur ihre Social-Media-Auftritte schlechter. Und der wichtigste Punkt dafür findet sich gleich am Anfang des Dokumentes unter Punkt b:
Do assume anything you say or post will be viewed critically.
Die Institution der BBC steht quasi synonym für Public Value und öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sender wie der ORF messen sich weltweit an diesen Standards. Und damit wird die BBC auch zum Lieblings-Feindbild der Tabloids, also der britischen Boulevard-Presse. Wir kennen das auch in Österreich: Die Tweets eines ORF-Moderators stehen gerne mal in HEUTE oder OE24 und werden manchmal mit zynischen Kommentaren versehen.
Das ist kein Zufall: Für die erfolgreichsten Privatmedien sind öffentlich-rechtliche Sender die letzte Bastion, die ihrer Marktdominanz im Weg steht. Viele würden die BBC am liebsten privatisieren oder abschaffen. In Österreich sorgen die Zeitungen direkt dafür, dass der ORF ihnen zum Beispiel auf Social Media keine Konkurrenz machen darf - bis heute darf er seine Beiträge nicht auf YouTube stellen, nach sieben Tagen landen alle Beiträge in einem nicht-öffentlichen Archiv.
Und das muss so bleiben, wenn es nach dem Boulevard geht. Also schießen sie gegen öffentlich-rechtliche Journalisten. Sowohl Politiker, die zu kritisch gefragt werden - meistens, weil sie verdient haben -, als auch Konkurrenten haben Interesse daran, die Legitimation dieser Sender in Frage zu stellen. Und daher kommt diese Zeile. “Bau keinen Scheiß - der Telegraph liest mit.”
Do not express a view on any policy which is a matter of current political debate or on a matter of public policy, political or industrial controversy, or any other ‘controversial subject’.
Mit dieser Regel sagt die BBC ihren Journalisten, dass sie sich mit dem, worüber sie berichten, nicht öffentlich befassen soll. In ihrem Idealbild beschäftigen sich ihre Mitarbeiter also den ganzen Tag mit Politik, um dann ihre höflich-distanzierten Beiträge abzugeben und nach Hause zu gehen. Nicht nur, dass sie im Rahmen ihrer BBC-Tätigkeit nicht ihre Meinung äußern können - was in Ordnung sein kann, da die BBC strenge Objektivitätsstandard hat, die nicht nur schlecht sind. Sie will auch noch, dass man privat nicht darüber spricht. Das wird nämlich in der nächsten Regel definiert:
c) Even if you are posting in what appears to be a ‘private’ group, or you have locked down your privacy settings on your accounts, do apply the same standards as if you were posting publicly.
d) Do be aware that there is no difference between how a personal and an ‘official’ account is perceived on social media: disclaimers do not offer protection.
Diese Teile finde ich am fatalsten. BBC-Journalisten sollen also nicht nur ihre öffentlichen Tweets als BBC-Tweets sehen, weil Disclaimer mit “Privatmeinung” nicht helfen, sondern sie sollen sich auch in ihrer privaten Kommunikation einschränken. Der Sinn ist klar - es soll kein Screenshot nach außen dringen, in dem ein BBC-Journalist sich prononciert gegen einen Politiker äußert. Aber de facto ist es ein Maulkorb. Wenn du bei der BBC arbeitest, bist du einer von hunderten BBC-Pressesprechern und darfst nichts von dir geben, was nicht genau so stellvertretend für alle deine Kollegen gelten könnte.
Welcher Journalist sollte das unbedingt lesen? Sorge gleich dafür, dass das passiert. 😉
Warum Meinungsroboter problematisch sind
Mit diesen Social-Media-Guidelines setzt sich im Vereinigten Königreich endgültig die Ansicht durch, dass Journalisten nur “Meinungsroboter” zu sein hätten, die objektiv und distanziert über die Wirklichkeit berichten sollen. Und für manche von euch klingt das vielleicht gar nicht so schlecht, aber das ist es.
Jeder, der im Journalismus arbeitet, hat Meinungen. Es gibt keine Journalisten, die sich selbst aus der Gleichung nehmen können und emotionslos berichten können. Und das kann auch nicht das Ziel sein. “The best obtainable version of the truth” ist keine meinungslose Wiedergabe von Fakten, sondern eine Einordnung. Die persönliche Meinung des Journalisten soll diese Fakten nicht ersetzen oder verwischen. Aber man soll auch nicht so tun, als würde sie nicht existieren.
Ich wünsche mir Journalisten, die mir Einordnung geben. Denn es sind nie alle Politiker gleich schlecht. Es ist nicht so, dass man alles mit dem gleichen Abstand sehen könnte. Wenn ein Bürgerkrieg wütet, ist das ein emotionaleres Ereignis als ein neu eröffneter Kreisverkehr - und man muss die Emotion in jede Kriegsberichterstattung einbringen, weil sonst etwas Wesentliches verloren geht. Auch wichtig ist, dass man uns zeigt, was nicht normal ist - zum Beispiel die Tabubrüche eines Donald Trump und wie sie im wahrsten Sinne des Wortes zu Toten führen können. Auch das ist eine journalistische Leistung.
Und dafür sollen Journalisten auch schreiben dürfen, was sie wollen. Ein gut geführter Twitter-Account schadet niemandem. Eine künstliche apolitische Haltung, laut der man allen Dingen indifferent gegenübersteht, schon. Denn nichts ist politischer, als “nicht politisch” zu sein.
Im Jahr 2020, in dem organisierte Desinformation Tausende Leben kostet, meldet sich die BBC vom Schlachtfeld ab, weil Tweets nicht jedem gefallen können. Das ist eine Entscheidung, die nicht nur schlecht für die eigenen Journalisten ist, sondern für den Journalismus an sich. Einordnung ist eine der wichtigsten Funktionen, die Medien zu erfüllen haben. Und ich hoffe, dass dieses Modell nicht Schule macht.
Falls du mir noch nicht überall folgst - auf Facebook, Twitter, Instagram oder LinkedIn gibt’s mehr Medien-Rants. Und falls du das erste Mal hier auf Substack bist: Du kannst Schetts Update hier kostenlos als Newsletter abonnieren.