2020 erleben wir etwas Interessantes. Die Wissenschaft arbeitet in nie dagewesenem Tempo daran, eine Pandemie unter Kontrolle zu bringen, und veröffentlicht in Rekordgeschwindigkeit neue Studien und Erkenntnisse, mit denen die Menschheit eine gefährliche Krankheit sehr schnell in den Griff kriegen könnte. Das Problem ist aber, dass viele Menschen zu dumm sind und absichtlich andere gefährden, weil sie es nicht verstehen wollen.
Wisst ihr, wer das kennt? Klimaforscher.
Viel wurde bereits darüber geschrieben, dass der Klimawandel und die Corona-Krise zwei existentielle Bedrohungen für die Menschheit sind. Und in der Tat haben sie viel gemeinsam: In beiden Fällen gibt es einen überragenden wissenschaftlichen Konsens über Tatsachen, die Menschenleben kosten. Und in beiden Fällen gibt es Menschen, die keine Ahnung davon haben, aber einfach mal dagegen argumentieren.
Wie geht man als Gesellschaft damit um? Ich glaube, dass wir erst einmal verstehen müssen, warum das wichtig ist und wie diese Leute “arbeiten” - oder eben während der eigentlichen Arbeitszeit ihrem Arbeitgeber im Internet einen Imageschaden zufügen, indem sie Desinformation betreiben. Wenn wir verstehen, wie die Argumente aufgebaut sind, können wir erstens leichter erkennen, mit wem wir es zu tun haben, und zweitens sind wir vorbereitet. Im nächsten Newsletter werde ich darauf eingehen, wie man mit diesen Leuten diskutiert - aber hier soll es erstmal um den Aufbau ihrer Argumente gehen.
Das Playbook der Krisenleugner
Egal ob Klimawandel- oder Corona-Leugner: Spinner im Internet haben im Wesentlichen dieselben Taktiken, mit denen sie Diskussionen führen. Diese sind intellektuell auf ganz niedrigem Niveau, aber sie zielen auch selten darauf ab, deine Meinung zu ändern. Sie können die Meinung von Mitlesenden ändern, die weniger wissen als du - und sie zeigen dir, dass deine “Meinung” (die auf Fakten basiert) eben nicht unumstritten ist.
Es ist eine Mischung aus Einschüchterung und Augenzwinkern an die Beeinflussbaren - Menschen, die keine Medien konsumieren und mit Verschwörungstheorien rumpöbeln, führen im Wesentlichen Selbstgespräche. Und zwar so:
Sie streiten das Problem ab. Wir alle haben vermutlich in den Monaten mehrmals in Facebook- oder Instagram-Kommentaren jemanden gesehen, der die Prämisse eines Artikels über Corona einfach verneint und sagt “Gibt’s gar nicht, das ist ein Fake-Virus”. Meist werden die leeren Worthülsen davon 1-zu-1 von rechten Politikern wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Kandidaten auf der Liste von Heinz-Christian Strache übernommen. Quellen dafür werden gar nicht erst vorgetäuscht - es zu leugnen, reicht aus, weil man hat eh recht und braucht keine Beweise.
Der Vorwurf des “Alarmismus”. Ein sehr beliebter Vorgang ist, einen simplen Hinweis auf die Krise als hysterisch umzudeuten. Nur noch zum Mitschreiben: Alle seriösen Wissenschaftler sind sich einig, dass der Klimawandel menschengemacht und ein Problem ist. Corona ist unbestreitbar schlimmer als eine Grippe und sorgt gerade weltweit für hunderttausende Todesopfer. Aber alleine der Hinweis darauf, dass das überhaupt stattfindet, wird schon als problematisch bezeichnet. Genau die Tatsache, dass du das sagst, zeigt doch nur, dass du ein Alarmist bist und nicht wirklich hinterfragst. Nochmal: Das sind die gleichen Leute, die keine Quellen nennen und dir auf Nachfrage ein YouTube-Video eines Verschwörungsideologen schicken. Und Fun Fact: Studien zeigen, dass Klimaforscher eher konservativ sind und die Folgen des Klimawandels tendenziell unterschätzen.
Angriff auf Autoritätspersonen. Wenn ich mich im Internet als Klimaschützer zeige, bekomme ich im Wesentlichen zwei Arten von negativem Feedback: “Das stimmt einfach nicht” oder “Warum geht Greta nicht in die Schule?”. Angriffe auf prominente Vertreter eines sachlich richtigen Argumentes werden oft als eine Art Sippenhaftung benutzt. Du bist Klimaschützer? Findest du also okay, dass ein Mädchen in Schweden nicht in die Schule geht? Ja, finde ich, und ja, sie hat Recht, und du wechselst das Thema, Pascal. Das gleiche passiert gerade mit Anthony Fauci in den USA - statt den Fakt zu diskutieren, dass das Coronavirus vor allem US-Bürger dahinrafft, wird über die Person Fauci diskutiert. Davon hat niemand was.
Hinterfragen der Motive. “CUI BONO” fragen sie gern, weil sich Latein irgendwie so anfühlt, als wäre man intellektuell. Wer profitiert davon, dass du denkst (= weißt), dass der Klimawandel real und Corona ein Problem ist? Die echte Antwort ist natürlich: Alle, weil jeder davon profitiert, wenn du nicht aktiv gegen die Gesellschaft arbeitest. Aber in ihrer Version sind es alle möglichen Bedrohungen. Die Illuminaten. Bill Gates. Bilderberg! Soros! Das Finanzkapital, die Eliten und die Echsenmenschen - sie alle profitieren davon, dass du glaubst, was du empirisch nachvollziehen kannst.
Und ich weiß, was ihr jetzt denkt:
Warum ist das alles wichtig?
Weil Spinner es schon mal geschafft haben, die öffentliche Debatte an sich zu reißen. Und das kann dramatische Folgen haben. Wenn die FPÖ-Trolle nicht seit 2009 online unter jeden Beitrag schreiben, dass Migranten furchtbare Menschen sind, gibt es keinen Vizekanzler Strache. Wenn ausländerfeindliche Rhetorik nicht unter allen großen Medienauftritten stehen bleibt, werden die Freiheitlichen nie so stark.
Der einzelne Kommentar mag kaum eine Wirkung haben - aber wenn man als durchschnittlicher Medienkonsument hauptsächlich Kommentare liest und dort immer wieder Meinungen stehen, die ernsthafte negative Konsequenzen haben können, macht das einen Unterschied. Diese Art von Agenda Setting sorgt dafür, dass 60 % der Österreicher sich unsicher sind, ob es sich bei all diesen Aussagen um Falschmeldungen handelt:
Identifikation von Desinformation (Anmerkungen: Feldzeit: 03.-08. April 2020, N=1.559 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.) - Quelle: Austrian Corona Panel Project der Uni Wien
Was die Hegemonie der Verschwörungstheoretiker mit einer Gesellschaft machen kann, sehen wir auch in den USA, wo der Präsident und seine Partei aktiv Politik gegen die Gesundheit der eigenen Bevölkerung machen können. Gleichzeitig kommt es in Deutschland zu Demonstrationen gegen das Virus (!), die zu mehr Ansteckungen führen können. Und irgendwann werden wir auch einsehen, dass die Klimawandel-Leugnung ein großes Verbrechen an zukünftigen Generationen ist.
Darum sollte man Bullshit bekämpfen, wo immer man ihn sieht. Ich weiß, pick your battles, und ich weiß, man kann nicht jeden retten. Aber wenn jeder ab und zu seinen Teil tut, um gegen Desinformation vorzugehen, kann die Gesellschaft viel gewinnen. Dafür müssen wir aber wissen, wie man das tut - dazu mehr im nächsten Update.
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