Letzte Woche war ich wieder im U-Ausschuss. Was cool ist, weil man dessen Gespräche normalerweise nur über Live-Ticker nachvollziehen kann – die ÖVP hat ja erneut eine Live-Übertragung verhindert. Was schade ist: Denn was sich da zuletzt abgespielt hat, hätte der FPÖ sicher geschadet.
Aber darum soll es heute nicht gehen. Viel mehr will ich euch Einblicke in das Rabbit Hole geben, in das ich mich die letzten Wochen begeben habe. Ein Rabbit Hole über Jan Marsalek, Egisto Ott, die BVT-Affäre, russische Spionage und irgendwie auch über die österreichische Seele an sich.
Denn mehr und mehr fühle ich mich wieder wie in meiner alten Zeit als Verschwörungstheoretiker.
Eine Zeit, die ich übrigens in der Materie aufgearbeitet habe – Transparenz und so.
Ich sehe überall Zusammenhänge zwischen random Korruptionsvorfällen, die theoretisch ganz eigene Geschichten sind. Ibiza, die BVT-Affäre, Thomas Schmids Chatprotokolle, die russische Spionage gegen Österreich: You name it.
All diese Geschichten zusammen ergeben eine Verschwörungstheorie. Nur, dass sie diesmal eben stimmt. Und ja, ich weiß, das liest sich gerade wie komplette Selbstradikalisierung, und das mag auch gar nicht nur falsch sein.
Die ganzen Zusammenhänge, auf die ich mittlerweile draufgekommen bin, wären zu lange – das ginge schon in Richtung Buch. Und wenn ich sage „ich bin draufgekommen“, meine ich im Wesentlichen, dass andere draufgekommen sind und ich mich genug eingelesen hab, um auch halbwegs mitzukommen. Das ist zum ganz großen Teil medienöffentliches Wissen, gepaart mit ein bisschen Polit-Gossip, der es noch nicht in die großen Zeitungen des Landes geschafft hat. Also gebe ich heute mal einen sehr überblicksartigen und zugegebenermaßen schludrigen Überblick in das, was mich gerade beschäftigt.
Machen wir einen kurzen historischen Rückblick.
Österreich war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Staat, der von zwei Parteien in strukturell korrupter Weise aufgeteilt wurde: Rote und schwarze Partei bedeutete auch rote und schwarze Bünde, roter und schwarzer Automobilclub, roter und schwarzer Wanderverein – und auch rote und schwarze Städte und Länder.
Diese politische Kultur wirkt bis heute nach. Was sich SPÖ und ÖVP weiterhin groß auf die Fahnen schreiben, ist, dass sie im konkreten Fall helfen können – aber nicht über Policy, die für alle gilt, sondern über Connections und über perfekte Kenntnis der Wirrungen des Systems. Moderne Politik will Gesetze schaffen, die für alle faire Rahmenbedingungen schaffen, um ihre Ziele zu erreichen. Rot-Schwarz will den Staat verwalten, um die eigenen Leute an die richtigen Stellen zu verweisen, wo die eigenen Leute sitzen.
Wer in dieses System hineinwächst und eine ernsthafte politische Vision hat, der hatte lange Zeit keine Partei. Aber wer hineinwächst und nichts will außer „Politiker sein“ oder „Geld verdienen“ – Menschen wie Sebastian Kurz –, wird hauptsächlich darauf schauen, wie man das System weiter gamen kann. Wie man noch besser Posten besetzen kann, wie man die Strukturen noch dreister umbauen kann, um noch mehr Steuergeld für die eigene Parteipropaganda zu nutzen.
So erklären sich viele Korruptionsgeschichten der letzten Jahre:
Herbert Kickl wollte das BVT nicht aus Interesse an einem guten Staatsschutz zerschlagen, sondern weil er dahinter eine Waffe gegen die FPÖ vermutete. Aus gutem Grund – immerhin landet man sowohl bei Spionage über Russen als auch im Bereich Rechtsextremismus ohne große Umwege bei den Blauen. Dann lieber einen kaputten Geheimdienst.
Thomas Schmid war ein Karrierist, der einfach gerne ÖBAG-Chef war, weil es eine gut bezahlte Stelle war, die er erreichen konnte. Immerhin hat er sich durch Connections so weit hochgeschleimt, dass er sich die eigene Ausschreibung selbst formulieren durfte. Und wenn das bedeutet, die dadurch erlangte Macht permanent zu missbrauchen: So be it.
Sebastian Kurz profitierte davon durch Schmids Arbeit daran, Steuergeld für ÖVP-Parteiarbeit auszugeben: Gefälschte Umfragen und das „Ankurbeln positiver Berichterstattung“ durch Inseratenkorruption haben der Volkspartei einen derart strukturellen Vorteil gegeben, dass die Wahlen 2017 und 2019 unfair verzerrt wurden.
Heinz-Christian Strache wiederum träumte im Ibiza-Video auch genau davon: Wenn die Oligarchin die „Krone“ kauft – und dann im Sinne der FPÖ berichtet – kriegt sie alle öffentlichen Aufträge der Strabag, deren Chef ein FPÖ-Gegner ist. Auch hier wieder: Modernes Gutsherrentum. Das System ist nur für die Freunde der herrschenden Partei da.
All das sind sehr österreichische Geschichten: Schleimige Charaktere ohne politische Anliegen, die das System gut genug kennen, um es auszunutzen, aber nichts dafür tun, es zu verändern. Und dass Herbert Kickl der erste mit einer politischen Vision sein könnte, macht es nicht unbedingt besser: Diese schwankt zwischen Orbánisierung im Best Case – und dem anderen „F“, für das die FPÖ mittlerweile steht, im Worst Case.
Wenn strukturelle Korruption in den drei größten Parteien des Landes einfach nur eine liebe österreichische Eigenheit wäre, die uns regelmäßig Geld kostet und Reformen verschlafen lässt, könnte man ja meinen: Halb so wild. Die echten Veränderungen kommen ohnehin durch Wirtschaft, Gesellschaft und durch die EU-Mitgliedschaft. Aber genau Letztere macht uns so attraktiv für die Autoritären – und die sehen das auch.
Denn Österreich ist nicht nur eine korrupte Republik: Sie ist eine Republik ohne Interessen.
Unsere nationale Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2013 sieht Russland nach wie vor als „Partner“, die neue hätte schon lange vorliegen sollen, verstaubt aber gerade in irgendeiner Schublade. Anders als andere Staaten, die schon längst ausformuliert haben, was „die eigenen Interessen“ sind, hat Österreich eben gar keine: „Wir sind neutral“, heißt bei uns mehr oder weniger „Wird schon passen.“
Aber auf internationaler Ebene ist „wird schon passen“ keine Lösung. Es wird nicht passen, wenn Russland die Ukraine vernichtet – denn dann wird weitergezogen, und dann liegt nur noch ein Staat zwischen uns und Putin. Es wird nicht passen, wenn die USA sich unter Trump II von der Weltbühne verabschieden, denn dann gibt es kein starkes Korrektiv gegen Russland mehr in Europa. Es wird auch nicht passen, wenn wir kritische Infrastruktur an chinesische Staatsunternehmen vergeben: Denn dass autoritäre Staaten im Krisenfall zur Erpressung neigen, haben wir auch schon bei unserer Gasversorgung gemerkt.
Normale Staaten haben das am Schirm. Und mit „normale“ meine ich nicht mal die best geführten Staaten der Welt. Sondern schlicht und einfach Staaten, die eine ihrer wesentlichsten Kernaufgaben nicht komplett leugnen, nämlich die Außen- und Sicherheitspolitik. Darum haben Schweden und Finnland, zwei historisch neutrale Staaten, ihre Neutralität auch schnell aufgegeben: Weil sie einen politischen Diskurs haben, der zulässt, dass die Welt sich verändern kann. Österreich dagegen führt weiterhin stur einen Krieg gegen die Realität. Wenn ich Putin nicht sehe, sieht Putin mich auch nicht.
Das liegt auch daran, dass die SPÖ ein derart verzerrtes historisches Bild von der Neutralität hat, dass sie gar nicht aus diesem Weltbild ausbrechen kann – immerhin ist der Gründungsmythos der Republik dadurch mit ihr verbunden. Die ÖVP wiederum hat nicht nur geschäftlich gute Beziehungen nach Russland, sondern ist auch über wirtschaftliche Nähe damit verbunden, etwa durch die Raiffeisen. Und die FPÖ hat ohnehin immer noch einen aktiven Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei „Einiges Russland“. Wenn die drei großen Parteien des Landes eindeutig Russland-Freunde sind: Wie sollen wir dann eine Mehrheit dafür haben, unsere eigenen Interessen zu definieren?
Dazu kommt, dass die guten Beziehungen zu Russland in allen drei großen Parteien auch praktisch auf EU-Ebene sind: Ein Land, in dem sich Politiker nicht auszusprechen trauen, dass wir einen Krieg in Europa haben – und dass der Aggressor dafür extrem leicht zu benennen wäre –, wird ambitionierte Russland-Sanktionen gut verhindern können. Dass sich die FPÖ zusammen mit den anderen Pro-Putin-Rechten im EU-Parlament austoben darf, ist ein Türöffner für russische Propaganda und Einflussnahme. Und auch für Spionage. Es wäre nicht der erste Fall im EU-Parlament.
Übrigens auch nicht bei uns: Wer in Österreich gegen den Westen spioniert, begeht kein strafrechtlich relevantes Delikt: Denn Spionage ist nur „gegen Österreich“ strafbar. Und da Österreich keine Meinung dazu hat, was „gegen Österreich“ sein könnte, ist alles erlaubt. Was dazu führt, dass Beamte des österreichischen Staatsschutzes im russischen Auftrag Investigativjournalisten in Wien ausspähen können – wodurch bei denen dann eingebrochen wird.
Und ja, ich weiß, mittlerweile werdet ihr das mit diesem Vibe lesen:
Aber es ist nun mal so, dass vieles von dem, was wir für einzelne Geschichten halten, zusammenhängt. Ein strukturell korrupter Staat trifft auf autoritäre Staaten, die in einem globalen Ringen um Einfluss ein Einfallstor in die EU suchen. Kein Wunder, dass jeder vierte russische Spion in Europa in Wien sitzen soll.
Und darum hängen diese ganzen Geschichten eben zusammen.
Die BVT-Affäre ist eben nicht nur Herbert Kickls Privatfeldzug gegen alle, die Rechte untersuchen: Sondern auch der Fall des österreichischen Staatsschutzes gegen einen Kreis von Personen, die aktiv für Russland und gegen Österreich spioniert haben. Dass das in einem Ministerium passieren kann, das ewig von der ÖVP parteipolitisch besetzt und dann von der russland-freundlichsten Partei FPÖ übernommen wurde, ist kein Zufall. Da hat eine fremde Macht ganz klar unsere Fehler im System ausgenutzt.
Der Wirecard-Skandal ist eben nicht nur ein True-Crime-Podcast über Bilanzfälschung, sondern auch eine Geschichte über ein kriminelles Mastermind, das durch gute Kontakte in die Politik in England mit der Nowitschok-Formel angeben konnte. Jan Marsalek soll nicht nur Wirecard-, sondern auch Russland-Gegner durch seine Freunde im BVT ausspioniert haben. Zur selben Zeit, als er mit seinen russischen Freunden in Syrien war. Jetzt lebt er unter der Identität eines Priesters in Russland und meldet sich nur, wenn das Putin-System kurz vor dem Kollaps steht. Die Vermutung liegt nahe, dass er das Verbindungsglied zwischen Österreichs Spionen in fremdem Auftrag, der FPÖ und Russland ist.
Und auch die blaue Medienwelt, mit ihren 88 rechten Propagandaschleudern, die Österreichs Facebook-Feeds seit Jahren dominieren, sind sicher kein Zufall. Da geht es nicht „nur“ darum, dass die FPÖ bei jeder Gelegenheit Steuergeld in ihre Richtung schickt: Sondern auch darum, dass ihre Berichterstattung im russischen Interesse ist. Wer an der Destabilisierung Österreichs arbeitet, spaltet Europa – und erfüllt die Interessen Putins. Es würde mich nicht wundern, wenn wir schon bald mehr über die Finanzierung rechter Propaganda durch Russland erfahren würden.
Das alles klingt furchtbar, und das ist es auch. Aber wenn man einen optimistischen Zugang dazu haben will, ist jetzt der perfekte Zeitpunkt, um etwas zu ändern. Die Russland-Connections im Staatsschutz sind offengelegt, die Spionagegeschichten im permanenten medialen Fokus. Gleichzeitig müssten die betroffenen Parteien gerade im Wahlkampf großes Interesse zeigen – oder zumindest heucheln –, dass diese Geschichte aufgeklärt wird. Dass ein neues Spionagegesetz kommen soll, ist ein (maximal verspäteter) Schritt in die richtige Richtung.
Für mich zeigt sich jedenfalls recht klar, worum es in den letzten Jahren quer durch alle Geschichten über Korruption und Spionage in Österreich geht: Wir sind ein wehrunfähiges Land ohne Interessen und ohne nennenswerte Außenpolitik, das viel zu attraktiv für Einflussnahme von außen ist. Wir müssten schleunigst etwas daran ändern, um unser Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Die EU-Wahl ist die nächste Chance dazu. Und die Russland-Freunde gehen sicher wählen. Du auch?
Noch mehr Lesestoff
🇳🇴 Die norwegische Mentalität. Beim Titel „Teilzeit ist nicht die Antwort“ hab ich mich reflexartig erstmal geärgert. Aber dieses Interview mit dem Philosophen Anders Indset ist richtig gut geworden. Es geht unter anderem um einen Mentalitätsunterschied zwischen Norwegen und Österreich, der dafür sorgt, dass Norweger öfter Spitzenleistung erbringen - und auch um den Begriff der „Leistung“ in der Politik.
Wenn Norwegen gegen Österreich im Fußball gewinnt, gibt es einen Endstand und die österreichischen Fans gehen traurig nach Hause. Jemand gewinnt, jemand verliert. So ist es auch in der Politik. Politiker sind gut im Gewinnen von Stimmen. Die eigentliche Herausforderung ist aber nicht das endliche Spiel, das einen Sieger und einen Verlierer hervorbringt, sondern das unendliche Spiel: das Regieren. Im unendlichen Spiel geht es darum, den Weg für eine gute langfristige Entwicklung zu ebnen. Dieses unendliche Spiel ist in den entwickelten Demokratien völlig in den Hintergrund geraten, weil auch in der Politik den Führungskräften dieses Selbstvertrauen, für etwas zu stehen, fehlt.
🦁 Wie liberal ist … König der Löwen? Kollegin Lucia Marjanovic hat einen der nischigsten Artikel geschrieben, die bisher in der Materie erschienen sind. Aber er ist wirklich, wirklich super, nicht nur weil sie sehr gut schreiben kann. Vor allem ihre nüchterne Zusammenfassung des Films am Anfang ist extrem unterhaltsam.
Stuff aus dem Internet
Republikaner damals vs. heute
Vor ein paar Jahren hätte ich mir nicht gedacht, dass Ronald Reagan mal ein dermaßen gutes Positivbeispiel für die Republikaner sein wird - aber here we are.
Kennt ihr schon unsere Plakate?
Yep, Eigenwerbung, take it or leave it. Wir haben unsere erste Welle an Sujets für die EU-Wahl präsentiert, und das hier gefällt mir ganz besonders. Vor allem, weil es Harald Vilimsky ärgert – und was Harald Vilimsky ärgert, ist ganz prinzipiell positiv.