Seit ich politisch denken kann, wird in Leitartikeln betont, dass die Parteienlandschaft volatiler geworden ist: Menschen wählen nicht mehr ihr Leben lang nur eine Partei.
Jo eh, denk ich mir dann immer. Als Jahrgang 1993, dessen erste Wahl Heinz Fischer gegen Barbara Rosenkranz war, war das für mich nie anders. Natürlich verdient keine Partei für immer meine Stimme – man muss sie sich verdienen. (Vor allem, weil es bei meiner ersten Wahl noch gar keine Partei gab, die mich ganz generell anspricht.)
Fast forward 14 Jahre, und tada! Journalisten stellen immer noch erstaunt fest, dass auf Stammwähler kein Verlass ist. Was für eine Erkenntnis.
Jüngstes Beispiel dafür ist die Salzburg-Wahl.
Ich habe mir meine traditionellen „Schnellen Takes“ zur Wahl als Artikel gespart. Nicht, weil ich keine habe, sondern weil sie einfach ziemlich befangen sind und das wahrscheinlich nicht ist, wofür ihr diesen Blog irgendwann zwischen 2011 und 2023 zu lesen begonnen habt. Und am Ende bestimmt ja auch das „Wer“, wie man die Inhalte liest: Wenn ich etwas zum schlechten ÖVP-Ergebnis schreibe, bin ich nicht nur ein politischer Schreiberling, sondern ein beleidigter NEOS-Propagandist.
Anyways: Wir reden trotzdem drüber, aber aus anderen Gründen. Für alle, die nicht wie ich die letzten Wochen in den Tiefen der Lokalpolitik engagiert waren, es geht um dieses Ergebnis der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg:
Diese Grafik ist besonders schön, weil sie nicht nur das aktuelle Ergebnis zeigt – sondern auch die der früheren Wahlen. Und das ermöglicht uns, zwei verschiedene Schlüsse aus diesem Ergebnis zu ziehen:
Die SPÖ ist stimmenstärkste Partei.
Die SPÖ hat ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten gemacht.
Je nachdem, ob man das in Betracht zieht oder nicht, entscheidet sich auch, wie man die Performance der SPÖ im Wahlkampf bewertet. Und ich glaube, dass Auinger (der SPÖ-Kandidat) nicht nur lügt, wenn er sagt, dass er damit zufrieden ist.
Weil Salzburg jetzt in der Normalität ankommt.
Das neue Normal, das mich seit meiner ersten Wahl so unfassbar nervt, ist der simple Fakt, dass Tradition nicht mehr genug ist, um sich die Stimme zu verdienen. Was auch damit zu tun haben mag, dass es 1) mehr als zwei starke Parteien gibt, die 2) nicht mehr Jobs, Wohnungen und sonst alles im Leben bieten können, damit du sie wählst.
Aber dieser Trend hat sich nicht überall in Österreich gleichzeitig offenbart. In Niederösterreich hatten wir bis vor Kurzem noch eine absolute Mehrheit für die ÖVP, in Kärnten hatte die SPÖ noch im Jahr 2018 starke 47 Prozent. Der Gedanke, dass nur eine Partei die Geschicke lenkt – oder sich nur mit sehr, sehr schwachen Partnern auf Kompromisse einlassen muss – wirkt absurd, aber ist nicht lange her.
Auch in Salzburg nicht. Dort war der Name Heinz Schaden quasi synonym für die Stadtpolitik: Ein „ewiger Bürgermeister“, von 1999 bis 2017. Dazu kam noch die rote Landeshauptfrau Gabi Burgstaller. Dass zu Beginn des Jahres sowohl Stadt als auch Land von der ÖVP geführt wurden, war eher dem Fakt zu verdanken, dass sowohl Landeshauptmann Haslauer als auch Bürgermeister Preuner lange genug „da waren“, während die SPÖ die Geschicke leitete. Als diese dann über den Finanzskandal stolperte, musste sie nur noch abstauben.
Das hat auch mit Hypes zu tun.
Weil ungefähr jede ÖVP in ganz Österreich zwischen 2017 und 2020 gewonnen hat. Einfach, weil Sebastian Kurz existiert hat und einen großen Teil der Bevölkerung die absurde Idee eingeredet hat, die Volkspartei würde für Erneuerung stehen.
Und was den Siegeszug der ÖVP quer durch die Länder besonders einfach gemacht hat: Davor hatten wir einen Strache-Hype. 2013 bis 2015 gewann die FPÖ quasi jede Wahl, Berichterstattung rund um einen „Erdrutschsieg“ der Blauen gehörten selbstverständlich zur Tagesordnung. So selbstverständlich, wie wir heute darüber reden, dass Herbert Kickl wohl im Herbst gewinnen wird – der Hype wird zur Prophezeiung.
Nach diesem Kickl-Hype ist dann auch wieder vorprogrammiert, was die Berichterstattung dominieren wird: Nach FPÖ-Rekordgewinnen kommen FPÖ-Rekordverluste, und wenn es jemand schafft, einen neuen Hype auszulösen, wird diese Partei entsprechend abstauben.
Und jetzt gibt es eben zwei neue Hypes: Den der One-Man-Show Bierpartei (was mir absolut nicht zugänglich ist) und den der KPÖ+ (bei der mir zumindest die Erklärung eines starken Spitzenkandidaten eine Erklärung liefert). Beide werden in Umfragen abgefragt, ob Wlazny wirklich kandidiert, wissen wir noch nicht. Jedenfalls genießen beide gute Werte – die auch wieder nur kurzfristig sein werden. Die Liste an kurzfristigen Protestalternativen ist lang, zuletzt waren es das Team Stronach und die Liste Jetzt.
Diese Hypes haben einige Zeit darüber hinweggetäuscht, dass wir es mit einer Normalisierung des Parteiensystems zu tun haben.
Kurz und Strache waren nur Ausreißer nach oben in einem allgemeinen Trend, der meist zulasten der früheren Großparteien geht. SPÖ und ÖVP verlieren Wähler, und das ist ein quasi unaufhaltsamer Trend.
Das hat natürlich auch rationale Gründe. Einerseits, weil in beiden Parteien immer noch viele Leute in Machtpositionen sitzen, die Politik der „alten Schule“ kennen. Man erkennt sie daran, dass sie nur auf die jeweils andere Partei gehen: SPÖ schimpft ÖVP, ÖVP schimpft SPÖ. Dass die Freiheitlichen davonziehen oder andere Parteien legitime Punkte bringen, das interessiert sie nicht. Sie sind gefühlt immer noch im Bürgerkrieg.
Andererseits liegt das natürlich auch am demographischen Wandel. Es gibt sie noch, die Menschen wie meine Oma, die nur deswegen SPÖ wählt, weil mein Opa einen „roten“ Beruf hatte. Aber meine Oma ist 84. Und die Generation, die einer Partei loyal war wie Manchester-United-Fans, wird Rot und Schwarz in den nächsten Jahren weiter wegsterben. Was auch heißt, dass sich die Strategie der früheren „Volksparteien“ ändern muss.
Und zumindest für die Demokratie ist das kein schlechter Trend.
Demokratie bedeutet, dass sich Parteien ihre Stimme verdienen müssen. Die Macht, die man durch Wahlen verliehen bekommt, sollte etwas sein, das permanent erkämpft werden muss. Für etwas zu sein ist zu wenig – man muss es auch durchkriegen. Ob das bedeutet, in Opposition die Regierung zu kontrollieren oder Agenda Setting zu betreiben (wie NEOS bei der Kinderbetreuung oder der Kalten Progression) oder in der Regierung in den Bereichen, wo man es versprochen hat.
Zwar sind wir gerade wieder in der Mitte eines Hypes, der es so aussehen lässt, als würden alle Stricke reißen. Aber das ist ein Ausreißer. Eigentlich geht der Trend weiter wie immer: Regierungsparteien müssen sich für ihre Performance rechtfertigen, und SPÖ und ÖVP verlieren an Zuspruch. Kickl ist nur der Hauptbegünstigte. Aber auch das ändert sich wieder.
Insgesamt ist eine politische Landschaft, in der sich mehr Parteien mehr bemühen müssen, um gewählt zu werden, sicher eher ein Gewinn als ein Verlust. Dass die momentanen Umfragen in eine inhaltlich schlechte Richtung gehen, sollte uns nicht dazu führen, diesen Trend insgesamt schlecht zu reden.
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