Ich hätte nicht gedacht, dass dieses “Alles wird teurer” irgendwann über eine Plattitüde von Schilling-Nostalgiker:innen hinauswächst. Aber man spürt es. Und das sage ich nicht nur als Floskel. Ich muss normalerweise nicht wirklich auf Preise schauen, wenn ich einkaufe - aber bei 12 € für das Bio-Hendl vom Billa musste ich schon schlucken. Und ich weiß, dass ich da relativ privilegiert bin. Also will ich mir gar nicht vorstellen, was das für die Menschen bedeutet, die schon davor auf Preise schauen mussten.
Kurz: Aus der weltpolitischen Situation - Corona, Krieg, Energie-Krise - wird ein Riesenproblem, das längst nicht nur mehr Menschen am Existenzminimum spüren.
Leider habe ich nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung diesen Entwicklungen gewachsen ist. Vielmehr kommt mir vor, dass unser aktuelles politisches Personal wirklich nicht dafür gemacht ist, komplexe Krisen zu behandeln. Gehen wir’s durch.
Checking in on the ÖVP-Meltdown
Eigentlich müsste die stärkste Partei die sein, die am besten auf Krisen wie diese vorbereitet ist. Aber leider sind Wahlergebnisse nicht immer rational. So kommt es, dass die ÖVP gerade keine Kapazitäten hat, sich mit der Teuerung und dem Krieg in der Ukraine ernsthaft zu befassen, weil sie ganz andere Probleme hat.
Und ja, bla bla ÖVP schlecht, ich wiederhole mich. Aber es ist wichtig. Erstens, weil wir von unserer Regierung erwarten sollten, dass sie sich unseren Problemen annimmt. Und zweitens, weil es alleine in den letzten Wochen wieder einige gute Gründe gab, die Volkspartei endlich abzuwählen. Nur zwei zur Auswahl:
Im U-Ausschuss kommen neue Umfragen auf, die man nur als merkwürdig bezeichnen kann. So fragt z. B. das Landwirtschaftsministerium - mit Steuergeld, das nicht parteipolitisch ausgegeben werden darf -, was die Befragten an der grünen Klubobfrau Sigi Maurer stört. Der Verdacht ist, dass die ÖVP die von ihr besetzten Ministerien dazu nutzt, Parteipolitik zu machen. Das wäre nach den Geschehnissen der letzten Jahre das Gegenteil einer Überraschung. Aber es gilt ja die Unschuldsvermutung.
Gleichzeitig entsteht der Verdacht einer Kickback-Zahlung. Nachdem die Volkspartei beim Bauernbund mit 30.000 Euro verschuldet war, schaltete das (ÖVP-geführte) Finanzministerium zwei Inserate in der Bauernzeitung - angeblich für ein Service, das der eigenen Klientel gar nicht zur Verfügung steht. Vermittelt haben soll diese Inserate der neue Landwirtschafts-Minister Norbert Totschnig, auch in den Chats mit Thomas Schmid finden sich Hinweise auf koordinierte Inseratenschaltung. Hat die Partei über das Ministerium ihre Schulden bezahlt? Aber eh, Unschuldsvermutung.
Wer den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen muss, kann sich nicht um eine komplexe Wirtschaftskrise kümmern. Vor allem, wenn die eigene Truppe ein Personalproblem hat - und das ist ein Fakt, den wir seit Aschbacher und Schramböck wirklich nicht mehr diskutieren müssen. Eine Partei, die so dermaßen im Korruptions- äh, Ermittlungs-Sumpf versinkt, kann sich nicht ernsthaft um die wichtigsten Probleme des Landes kümmern.
Und die Grünen?
Sie versuchen es zumindest - aber auch sie struggeln. Denn sie müssen, wie die Leitartikler so gerne schreiben, “in der Realität ankommen”. Heißt konkret: Fossile Brennstoffe zulassen, weil es sehr wahrscheinlich ein kalter Winter wird.
Man kann jetzt natürlich darauf verweisen, dass die Grünen für die Energiewende gewählt wurden und die noch immer nicht passiert ist. Aber es ist auch ihr historisches Pech, genau in einer Energiekrise das Problem zu erben, an dem die drei Großparteien jahrzehntelang gearbeitet haben: Die Abhängigkeit von Russland und von fossilen Brennstoffen, die unseren Planeten zerstören.
Aber trotzdem muss man festhalten, dass da mehr ginge. Der einzige Weg aus den beiden größten Krisen, die wir gerade haben - Klima langfristig, Energie kurzfristig - besteht aus Maßnahmen, die von den Grünen jahrelang gefordert wurden:
Ausbau der erneuerbaren Energieträger, um nicht mehr auf Kohle, Gas und Öl angewiesen zu sein
Ausbau des öffentlichen Verkehrs, damit auch die Bürger:innen nicht mehr strukturell auf klimaschädliches Verhalten angewiesen sind
Reformen im Bereich Raumplanung und Flächennutzung, damit auch mehr Wege nicht nur mit Öffis, sondern auch mit dem Rad oder zu Fuß möglich sind - und man nicht für den Weg in die nächste zersiedelte Kleinstgemeinde schon ins Auto steigen muss
Rasche Elektrifizierung der Autos - und damit Ausbau der entsprechenden E-Lade-Infrastruktur
Den Grünen jetzt zu unterstellen, dass ihnen diese Themen nicht mehr wichtig sind, wäre unseriös. Aber gerade im Öffi-Bereich beschleicht mich der Verdacht, dass da mehr ginge. Sie scheinen einfach mit anderen Themen beschäftigt zu sein - um nicht zu sagen: überfordert.
Das größte Problem der Grünen sind aber ihre eigenen Wähler:innen. Viele in meinem Umfeld sehen, dass die Partei an den Herausforderungen wächst, der ÖVP in der Koalition ordentlich zusetzt, im U-Ausschuss hart bleibt und ideologische Ausnahmen macht, wenn es drängt. Aber weiß das auch die grüne Basis? Oder ist die einfach enttäuscht, wenn ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen wird, und sieht darin einen Dealbreaker, völlig ohne Rücksicht auf die aktuelle Situation? Ich vermute Letzteres.
Und versteht mich nicht falsch: Ich finde es auch furchtbar, dass wir von Gas abhängig sind. Ich will keine Kohle, kein Öl, kein Gas. Mittelfristig kann das nur bedeuten, die Energiewende zu beschleunigen und das Land mit Wind-, Solar- und Wasserkraft zuzupflastern, inklusive beschleunigter Verfahren und ein Drüberfahren über die NIMBYs.
Aber zumindest kurzfristig - für diesen Winter - wäre die einzige Alternative, dass Tausende monatelang frieren. Und das kann niemand ernsthaft wollen.
Innenpolitik in der Sackgasse
Kurz: Die Regierungsparteien sind nicht gerade gut aufgestellt, um eine Energiekrise zu lösen. Die Konstellation, die uns das letzte Wahlergebnis eingebrockt hat, wirkte 2019 vielversprechend, scheitert aber an mittlerweile mehreren Krisen. Und es wird immer schwerer, zuzuschauen - aber auch immer schwerer, da wieder rauszukommen. Denn vor einem Neustart scheißen sich alle an. Dafür spricht zu viel dagegen:
Die ÖVP und die Grünen können auf keinen Fall in eine Neuwahl wollen, sie kämen gemeinsam nur noch auf ein Drittel der Stimmen. Bei den Schwarzen kommt noch dazu, dass sie einige Landtagswahlen zu schlagen haben, die ihnen schon genug Sorgen bereiten - eine endgültig zerbröselnde Bundesregierung würde ihnen zusätzlich in Tirol, Niederösterreich, Kärnten und Salzburg schaden.
Die SPÖ könnte davon profitieren, aber schielt nach wie vor auf die Große Koalition. Sie hat schon davor nichts weitergebracht, sie lebt vom Streit, sie ist zurecht unbeliebt und sie ist alleine schon moralisch fragwürdig, wenn man sich die aktuellen Korruptionsprobleme der ÖVP ansieht. Aber trotzdem scheint das eine ungelöste Frage zu sein - und die Sozialdemokrat:innen spekulieren darauf, einfach noch weiter zu wachsen und abzuwarten.
Die FPÖ geht in der aktuellen Nachrichtenlage unter. Es könnte sein, dass permanentes Dagegen-Sein, Corona-Leugnung und Ausländer-Bashing nicht exakt das ist, was sich Bürger:innen in einer Phase der Teuerung erwarten. Aber man darf sie sachpolitische Kompetenz der Partei wirklich nicht übersehen - zum Beispiel diese parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Gerald Hauser, den die MFG nicht dümmer hätte schreiben können:
Und dann wäre da noch die große Unbekannte: Die MFG. Die Partei für Impfgegnertum, Verschwörungstheorien und alles, was sonst noch keinen Sinn ergibt, könnte bei den nächsten Wahlen ins Parlament einziehen - und man scheint sich noch nicht sicher zu sein, wem das am meisten schaden würde. (Obwohl die Wählerstromanalysen aus Oberösterreich zumindest nahelegen, dass die ÖVP, FPÖ und Grüne am meisten verlieren würden. Bei den Grünen wird wahrscheinlich das Homöopathie-Lager daran schuld sein.)
Und so werden wir weiter von einer ÖVP regiert, die sich zum Großteil ausgetauscht hat und mit sich selbst beschäftigt ist. Und mit Grünen, die für eine komplett andere Situation gewählt wurden.
Ich habe jedenfalls kein gutes Gefühl für die nächsten Monate. Und wem die steigenden Preise, die drohende Energieknappheit und der nächste Corona-Winter - ja, da war noch was - nicht genug ist, der darf sich auf die drohenden 40 Grad in wenigen Wochen freuen.
Insofern: Besorgte Grüße,
Noch mehr Lesestoff
🇺🇸 Democrats vs. Republicans. Die Democrats machen es den Republicans viel zu leicht: Mit radikalen Forderungen einer Minderheit geben sie ihnen Munition, während sie in den wirklich wichtigen Bereichen einfach nicht liefern. Das ist zumindest die These von Thomas B. Edsall, der in diesem Artikel einen guten Überblick liefert, wieso es für die Vereinigten Staaten echt schlecht aussieht. Zur Erinnerung: Im November stehen die Midterms an, bei denen die Republikanische Partei wahrscheinlich gewinnen wird. Die Partei, die das Wahlrecht beschneiden will und so tut, als hätte Trump 2020 gewonnen. Wir schauen der Demokratie beim Sterben zu - wer wissen will, warum, sei dieser Text nahegelegt.
🇪🇺 EU vs. Ungarn. Im Streit zwischen der EU-Kommission und Ungarn wird die Forderung laut, Zahlungen an Ungarn einzustellen. Das mag drastisch klingen - aber wir sollten uns wirklich überlegen, wie wir die angebliche “Wertegemeinschaft” der Europäischen Union in Richtung Demokratie bewegen. Bei rechtsstaatlichen Verletzungen auch auf Sanktionen zu setzen, scheint mir eine gute Lösung zu sein. Auch, wenn man immer im Kopf behalten sollte, wer diese Standards definiert. (Der Spiegel)
💸 Steuergeld vs. Klima. Fünf Milliarden Euro pro Jahr fließen in Österreich in Bereiche, die das Klima schädigen. Darunter fallen die (ja, die, nicht das) Pendlerpauschale und das Dieselprivileg. Ich verstehe nicht, wie man im Jahr 2022, in dem es demnächst in Mitteleuropa über 40 Grad haben wird und in dem die Grünen in der Regierung sind, nach wie vor diese Subventionen geben kann. Man hätte diese Regelungen schon viel früher abschaffen müssen - denn jetzt, mitten in einer Energiekrise, wird das unrealistisch. (Der Standard)