Die Mär der kriegslustigen Gesellschaft
Wieso man nicht "pro Krieg" ist, wenn man der Ukraine helfen will
Und, habt ihr euch schon an den Krieg gewöhnt?
Wenn wir uns ehrlich sind: Wahrscheinlich Ja. Wie mit jedem Thema sind Menschen schnell darin, sich mit dem Ausnahmezustand abzufinden.
Ich jedenfalls verfolge nicht mehr so eifrig wie in den ersten Tagen, in welcher Stadt sich welche Kriegspartei durchsetzt. Die Twitter-Threads, die ich am Anfang noch durchstudiert habe, um die Militärstrategien Russlands zu verstehen, überspringe ich immer öfter, man widmet sich schnell einfacheren und belangloseren Dingen. Wie zum Beispiel der heimischen Innenpolitik und ihrem unwürdigen Umgang mit der Ukraine-Krise.
Damit sei vorausgeschickt, dass ich mich nicht zu den Kriegsexpert:innen zähle, sondern auch nur über Medienwissen verfüge. Und aus eben diesen Medien entnehme ich auch immer wieder, dass der Pazifismus angeblich tot sei.
Für mich wird viel zu oft der Eindruck vermittelt, als wären wir kriegswütig geworden. Alle würden nur noch Waffen liefern wollen, ein Aufruf zur Vernunft und ein Bekenntnis zur allgemeinen Abrüstung würde einen ins gesellschaftliche Aus bugsieren und überhaupt, es ist alles sehr schlimm in unserer Kriegstreiber-Gesellschaft. Heute will ich kurz erklären, warum ich das für falsch halte.
Ist hier eigentlich irgendjemand PRO Krieg?
Ich glaube nämlich eigentlich nicht. Es ist nämlich nicht so, dass ein Teil der Gesellschaft unbedingt Krieg führen möchte und der noble pazifistische lieber nicht. Jeder Mensch, der mitbekommt, was in der Ukraine abgeht, will, dass das so schnell wie möglich aufhört. Niemand - außer vielleicht Vladimir Putin - findet Kriegsverbrechen gut. Aber wir müssen darüber reden, wie wir es hinbekommen, dass der Krieg schnell endet.
Da gibt es eben die angeblichen “Kriegstreiber”, die fordern, dass man Waffen in die Ukraine liefern muss. Der Gedanke ist nicht, dass wir alle ganz große Waffen-Fans sind. Es ist die weltpolitisch sehr bequeme Situation, dass die Ukraine unseren Krieg kämpft: Endlich legt sich jemand mit Russland an, kämpft in einer ausweglosen Situation und braucht dafür nicht mal unsere offizielle Unterstützung. Realistisch gesehen ist es auch unser Krieg - uns wer glaubt, dass wir ihn gewinnen können, will der Ukraine helfen.
Alles, was sie brauchen, sind Waffen, um sich zu verteidigen. Und dieses Wort möchte ich betonen: Verteidigen. Ein autokratisches System hat ein Nachbarland unprovoziert angegriffen - zumindest moralisch gibt es hier keine zwei Seiten. Ich halte es für angebracht, der Ukraine dabei zu helfen, diesen David-gegen-Goliath-Krieg weiterzuführen, weil es durchaus sein kann, dass sie sich erfolgreich verteidigt und Russland zurückhält.
Aber es gibt auch die Gegenseite. Lasst uns dies in zwei Seiten einteilen, um Strohmänner zu vermeiden:
1. Das Kumbaya-Lager
Klingt wirklich despektierlicher, als ich es meine, aber im Wesentlichen läuft es darauf hinaus. Das sind nämlich die Pazifist:innen, die Krieg und Gewalt in jeder Form ablehnen und daher prinzipiell gegen Waffenlieferungen sind. Das verstehe ich, ich finde Krieg auch schlecht und ich mag Prinzipien.
Aber diese Prinzipien halten der Realität nicht stand, weil sie nur gelten, wenn alle daran glauben. Solange es einen weltpolitischen Player gibt, der die größte Waffe in der Hand hat und sie auch einsetzt, bringt ein theoretischer Rückzug auf den allgemeinen Frieden nichts. Momentan ist es einfach Glückssache, dass es die Ukraine getroffen hat und nicht uns. Wir sollten uns nicht hinter einer völlig theoretischen Zukunft vor der Realität verstecken, sondern an Lösungen arbeiten.
2. Das “Stirb leise, Zelensky”-Lager
Das ist die zynischere Version. Die basiert darauf, dass es gut ist, wenn der Ukraine-Krieg schnell endet - und das wäre durch eine Aufgabe der Ukraine, jedenfalls aber dadurch, ihr keinen Beistand zu leisten, schneller erreicht. Das läuft für mich auf Massenmord ohne Gegenwehr und in weiterer Folge auf Unterwerfung hinaus. Und ich vermute, dass viele Forderungen nach “Neutralität”, nach Zurückhaltung und danach, Putin eine gesichtswahrende Lösung in Aussicht zu stellen, aus diesem Lager kommen.
Wer sich selbst als Pazifist:in bezeichnet, mag löbliche Ziele haben - eine Welt ohne Krieg wünschen wir uns alle. Aber die Meinung, dass die Ukraine doch schnellstmöglich aufgeben möge, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, halte ich für zynisch.
Zuerst halte ich sie für eine Verarschung der Ukrainer:innen. Ich verstehe zwar jeden, der nicht den Mut hat, die Waffe in die Hand zu nehmen und gegen die zweitgrößte Militärmacht der Welt in den Krieg zu ziehen. Aber jenen, die bleiben und ihre Heimat verteidigen, auszurichten, man möge doch bitte nicht kämpfen? Während diese Menschen ihre Heimat, ihre Freunde, ihre Familie verlieren? Das halte ich für heuchlerisch. Vor allem, wenn man es aus der gemütlich mit russischem Gas eingeheizten Wohnung schreibt.
Und zweitens ist es weltpolitisch falsch. Völlig unabhängig davon, was wir von der Ukraine und Russland halten: Wenn wir zulassen, dass ein starkes Land das schwache annektiert - noch dazu begleitet von den schlimmsten Kriegsverbrechen des noch jungen Jahrtausends -, öffnen wir die Büchse der Pandora. Taiwan wäre das nächste Land auf der Einkaufsliste der aufgerüsteten Diktaturen.
Wir können nicht nur auf den Einzelfall bezogen, sondern auch ganz generell nicht zulassen, dass das Recht der Stärkeren gilt und sich jeder ein Stück Territorium sichern kann, wenn man nur genug Firepower gesammelt hat. Gerade in einem kleinen Land wie Österreich halte ich das für wichtig.
Österreich ist kein Land der Kriegstreiber
Und bitte nicht falsch verstehen: Man kann und soll natürlich darüber diskutieren, ob wir nicht einer Art Kriegswut anheim fallen, die nur kurzfristig emotional Sinn macht, aber uns langfristig ins Verderben stürzt. Diese Gefahr ist immer real in weltpolitisch brisanten Zeiten. Allerdings würde ich mir überlegen, an was ich diese Argumentation festmache und von wo ich sie aufstelle.
Ich meine: Österreich? Das Land, das sich jahrzehntelang so stark von russischem Gas abhängig gemacht hat, wie es nur ging? Das Gaslieferverträge mit Diktaturen lieber mal 10 Jahre früher unterschreibt, als die außenpolitischen Konsequenzen auch nur einmal anzusprechen? Das Österreich, das mit den Sanktionen gegen Russland nur zögerlich mitmacht? Wir sind vieles - aber definitiv kein Land, das Vladimir Putin entschlossen entgegentritt.
Im Gegenteil: Österreich ist ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer. Wir sind zwar kein NATO-Mitglied, aber genießen durch unsere glückliche geografische Situation de facto trotzdem ihren Schutz. Will Russland Österreich angreifen, muss es durch NATO-Staaten zu uns kommen - und löst damit automatisch den Bündnisfall aus, was bedeuten würde, dass andere und stärkere Staaten als wir Putin den Krieg erklären. Mainly: The Big Guy.
Kein Wunder also, dass nach wie vor 75 % der Österreicher:innen den Beitritt zur NATO ablehnen. Dabei wäre es zumindest eine ehrliche Politik: Denn auch die EU kennt den Bündnisfall - wenn ein Land angegriffen wird, werden alle angegriffen. Eine Sicherheit, die de facto nur durch die Unterstützung der USA durch die NATO greift - aber von Österreich nur passiv genossen wird, ohne irgendeine Verpflichtung einzugehen.
Pazifismus ist nicht tot, sondern viel zu oft naiv.
Zusammengefasst sehe ich keine große Lust am Krieg und kein Kriegstreibertum. Ich sehe einen “Pazifismus”, der bestenfalls naiv fordert, dass sich alle die Hände geben und ums Feuer tanzen, und schlimmstenfalls den zynischen Vorschlag, die Ukraine solle doch bitte einfach aufhören, zu existieren. Ein Vorschlag, der direkt aus dem Kreml kommt und in seinen traditionellen Einflussgebieten in Europa gerne aufgenommen wird.
Die Ukraine verteidigt sich gegen einen Angriffskrieg, den man nur durch Verschwörungstheorien oder ein schlechtes Geschichtsbild rechtfertigen kann. Wir sollten uns darüber unterhalten, was wir tun können, damit sie gewinnt. Ich halte es für keine schlechte Idee, dem Verteidiger die Möglichkeit geben, sich zu wehren. Und ich bin ehrlich gesagt erstaunt, wenn das schon als Kriegstreiberei gilt.
Was ist eigentlich das Gegenteil von pazifistischen Grüßen? Realistische Grüße? Jedenfalls das, und schönen Sonntag.
Noch mehr Lesestoff
ℹ️ Nein, Deutschland ist keine “Kriegspartei”. Auch unser großer Nachbar hat das Problem, dass viele es besser zu wissen glauben und so tun, als wären Waffenlieferungen eine Kriegserklärung. Warum das nicht so ist, erklärt der Völkerrechts-Erklärbär der Nation Ralph Janik in der NZZ.
📺 Eine richtig gute Analyse zu Tucker Carlson. Das beste Medium der Welt schlägt wieder zu mit einer interaktiven Geschichte über den beliebtesten TV-Kommentator der Vereinigten Staaten. Wie er sein Narrativ “Die Eliten gegen euch” aufbaut, warum er beim Ku-Klux-Klan so beliebt ist und wie sich Tucker im Lauf der Jahre radikalisiert hat, seht ihr in einem beeindruckenden Visual-Journalism-Stück der NEW YORK TIMES.