Nach meinem Text zu Karl Nehammers Kanzlerrede wurde ich sogar von mehreren Lesern gefragt, warum ich gar nichts über das Klimathema geschrieben habe. Immerhin ist es für mich das wichtigste Thema unserer Zeit – wie kann ich also ignorieren, wenn Nehammer sich hinter den Verbrenner stellt und so tut, als sei „auf Innovation hoffen“ eine Strategie?
Die Antwort ist: Ich hab mir das Thema natürlich aufgehoben. Substack hat ein Limit, ab dem eine E-Mail abgeschnitten wird, und ich weiß, dass zumindest einigermaßen kurze Texte besser gehen. Im Sinne eines respektvollen Umgangs mit eurer Zeit dachte ich mir also, das Thema gehen wir gesondert an.
Also, reden wir darüber, was der Kanzler zum Klimaschutz sagt.
1. Land der Autofahrer – aber welcher?
Wenn Karl Nehammer sagt, Österreich sei das Autofahrerland, dann ist das erstmal ein diplomatischer Affront gegenüber Deutschland.
Aber er greift natürlich eine Stimmung auf, die viele beschäftigt: Ich habe den Eindruck, dass sich viele Autofahrer angegriffen fühlen, wenn man den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, mehr E-Ladestationen und generell „mehr Klimaschutz“ fordert. Eigentlich zurecht - immerhin ist ihr Lebensstil ein Schaden für den Planeten. Aber wer sagt, dass das so bleiben muss?
Meine Meinung ist: Wer Autofahren will, soll das tun können. Das Problem ist nicht, dass mit dem Auto gefahren wird, sondern dass dieses Auto CO2 emittiert. Das muss aber nicht so sein – und wenn wir dann irgendwann nur noch mit Elektroautos, Wasserstoff oder E-Fuels fahren, ist das Problem auch schon wieder gelöst. Vor allem, weil durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel viele ohnehin umsteigen werden.
Ich glaube, das ist keine kontroverse Position. Aber für viele klingt sie trotzdem wie ein Angriff, weil es so klingt, als würde man ihnen wegnehmen wollen. Nein, lieber Autofahrer, ich will dir nicht von heute auf morgen deinen Verbrenner verbieten – ich will dir die Möglichkeit geben, damit nicht den fucking Planeten zu zerstören und dabei auch noch Geld zu sparen. Und ich werde es dir ganz sicher nicht streitig machen, bevor vor deinem Haus nicht eine freie E-Ladestation und ein Bus stehen.
Dieses Sentiment nimmt Nehammer auf: „Die Grünen, die wollen dir das Auto wegnehmen. Und wir von der ÖVP, wir beschützen dich vor diesen Verbotsfantasien. Wir verurteilen dich nicht für deinen Lebensstil, sondern wir werden alles dafür tun, dass du ihn weiter so führen kannst - und wenn das bedeutet, dass wir uns mit der depperten EU anlegen müssen.“
Strategisch hat das alles einen Grund. Inhaltlich aber hat der Plan einen Haken: Ein Festhalten am Verbrenner ist das Gegenteil von Klimaschutz, und wenn man wie Nehammer keine alternativen Lösungen vorschlägt, bedeutet das Aufgeben.
2. Technologie ja, aber …
Jetzt werdet ihr sagen: Aber er hat doch von Innovation gesprochen! Technischer Fortschritt wird uns retten, nicht Verbote! Nehammer kämpferisch, stark, danke Bundeskanzler!
Leider sieht es aber nicht so aus, als würde uns Technologie alleine aus der Klimakrise retten. Carbon Capture, also der Vorgang, CO2 aus der Atmosphäre zu holen, ist noch extrem teuer und ineffizient. Und wer alleine die weltweite Stahlproduktion auf Wasserstoff umstellen will, bräuchte dafür Wasserstoff im Ausmaß der gesamten Solar- und Windkraft weltweit.
Bin ich dafür, auf Technologie zu setzen, wenn sie uns hilft? Unbedingt! Ich bin auch schon gespannt, wann das Budget für die Grundlagenforschung massiv erhöht wird, das wäre ja die logische Maßnahme. Oder aber: Das Hoffen auf Innovation bleibt eine Ausrede. Immerhin ist „Techno-Optimismus“ eine bekannte Strategie der Discourses of Climate Delay. Aus meinem Materie-Artikel dazu:
Einige, die es nicht eilig haben, gehören der Gruppe der Optimist:innen an, die glauben, dass uns Technologie aus der Klimakrise retten wird. Es ist zweifellos richtig, dass die Menschheit historisch sehr gut darin war, Probleme mit Technologie zu lösen. Als Beweise dafür werden gerne das Ozonloch herangezogen, das sich nach entschlossenen politischen Handlungen über nationale Grenzen hinweg wieder schließt, oder das beeindruckende Tempo, in dem in der Corona-Krise wirksame Impfstoffe erforscht wurden.
Jetzt kann man an den menschlichen Erfindergeist glauben – aber solange es keine neue Wundermaschine gibt, während die Menschheit nur noch wenige Jahre hat, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern, darf man trotzdem auch auf die Dringlichkeit verweisen. Zumal es ja technologische Lösungen gibt, mit denen wir das bewerkstelligen können: zum Beispiel Windräder oder Photovoltaik-Anlagen. Ein blinder Glaube an eine zukünftige Erfindung ist zwar emotional verständlich, dient aber de facto oft dazu, ambitionierte Klimapolitik zu verschieben oder abzusagen.
Mit der Innovation ist es nun mal so: Wenn sie uns rettet, können wir dankbar sein, Geld reinpumpen und uns zurücklehnen. Bis das aber passiert, ist das einzig Rationale, andere Maßnahmen zu setzen und uns darauf vorzubereiten, was passiert, wenn sie nicht liefert. Wir können das Schicksal des Planeten nicht davon abhängig machen, dass ein Mensch eine Wundermaschine erfindet, die uns heute noch nicht bekannt ist. Oder zumindest eine neue – denn eigentlich haben wir sie ja schon, wir bauen sie nur nicht.
Und ja, das ist natürlich politisch unangenehm, weil die ÖVP da genau die Position der deutschen Liberalen, also der FDP einnimmt. Aber da gibt es keine Sippenhaftung. Ich halte die Klimapolitik der FDP für naiv und verfehlt und bin eindeutig dafür, bei Klimaschutz weiterzugehen als blinde Zukunftshoffnung. Optimismus? Gerne. Innovation fördern? Super! Aber Daumen drücken und nichts anderes tun, irgendjemand wird schon eine Idee haben? Nein danke.
3. Klimaschutz braucht Mut
In den Analysen rund um die Kanzlerrede gab es auch immer wieder Verweise darauf, wie konservativ und mutlos Nehammer war. Seine Vorschläge beschränken sich darauf, den Österreichern ihren Lebensstil nicht vorzuwerfen und ab und an auf Innovation zu setzen. Im besten Fall haben wir dadurch eine neue Erfindung – aber ohne die werden wir definitiv kein Gramm CO2 mehr einsparen als jetzt.
Genau das ist das Grundproblem der ÖVP. In ihrem ständigen Drang, dem Volk nach dem Mund zu reden und nur ja nichts zu sagen, was keine eindeutige absolute Mehrheit hinter sich hat, versäumt sie jede noch so sinnvolle Lösung, weil das ja „grüne Ideologie“ wäre. Wenn jetzt noch der Kulturkampf ums Auto gestartet wird, ist dadurch niemandem geholfen. Die Autofahrer müssen weiter darauf warten, bequeme Lösungen für ihre Mobilität vor die Haustür zu bekommen, aber die Notwendigkeit wird nicht verschwinden.
Eine Kanzlerrede wäre eigentlich genau das richtige Setting gewesen, um eine ambitionierte Zukunftsvision rauszuhauen. Die Partei, die sich als schützende Kraft für die Landbevölkerung inszeniert, hätte sich ruhig mal trauen können, diesen Entwurf zu zeichnen: Deine eigene Photovoltaik-Anlage, die dich jedes Jahr weniger kostet und von uns gefördert wird, gibt dir über dein Dach den Strom, den du für dein leistbares Auto brauchst. Damit hilfst du nicht nur der Umwelt, sondern auch dir selbst – leistbar, einfach, autark, nachhaltig und immer noch dein eigenes Ding. Ein kompletter No-Brainer, den die ÖVP einfach nicht sehen will, obwohl er unübersehbar ist.
Niemand ist dagegen, den Planeten zu zerstören. Niemand wird laut aufschreien, wenn man den Platz am Land nutzt, um darauf die eigene Energie zu produzieren. Kein Mensch wird sich daran stoßen, dass das Auto kein CO2 emittiert, solange es fährt und leistbar ist. Und es ist auch keine anmaßende Forderung, dass man doch bitte die Alternative haben soll, auch in einen Bus einzusteigen, wenn man das möchte. All diese Vorschläge nicht einmal zu formulieren, und das in einer Rede, die angeblich mutig sein sollte, ist nicht nur deppert – es ist denkfaul.
Noch ein obligatorischer Fairness-Hinweis
Weil ich schon wieder stark austeile sei noch kurz dazugesagt: Ich weiß, dass Nehammer auf andere Zielgruppen als mich schauen muss. Die Basis der ÖVP ist (unter anderem, aber nicht nur) vom Land, konservativ, teilweise Jahre und Jahrzehnte hinten, kennt Klima-Aktivisten nur klebstoffbezogen aus dem Fernsehen und hat eine gewisse „Das hamma noch nie so gemacht“-Mentalität. Das sind Gruppen, die mir persönlich unsympathisch sind, aber auf die eine selbsternannte Volkspartei natürlich schauen muss.
Trotzdem kann mir niemand sagen, dass es so schwer ist, unkontroverse, leistbare und mögliche Maßnahmen zu fordern, bei denen es ausschließlich Gewinner gibt. Klar, das Klima-Thema hat schwierige Aspekte: Tempo 100, Umgang mit Fleischkonsum und Lieferketten sind Bereiche, zu denen man die eine oder die andere Meinung haben kann und für die es keine einfachen Lösungen gibt. Aber beim Thema Klimaschutz zu erwähnen, dass man auch einmal irgendwo ein Windradl hinstellen könnte, ist nicht „mutig“ – das ist absoluter Mindeststandard.
Vielleicht übersehe ich, dass Nehammer parteiintern mit einer Gruppe von Klimawandel-Leugnern zu tun hat. Vielleicht glaubt die ÖVP auch, dass sie noch weiter in Richtung FPÖ ausrinnt, wenn sie den wissenschaftlichen Konsens anerkennt. Vielleicht liege auch ich falsch und es gibt eine absolute Mehrheit der Österreicher, die aktiv gegen Klimaschutz sind. Aber das glaube ich nicht. Ich bin mir sicher, jeder hat seine Gründe, und ja, Karl Nehammer ist deswegen kein schlechter Mensch. Aber in dem Fall glaube ich wirklich, dass das einfach handwerklich schlecht gemacht wurde.
Wie es besser ginge?
Wie immer glaube ich, dass man aus politischer Kommunikation etwas lernen kann. Von Herbert Kickl kann man lernen, Gefühlen einen Raum zu geben, auch, wenn sie von Uninformierten kommen. Und weil die ÖVP einfach am Sand ist, müssen wir von Nehammer eben lernen, wie es nicht geht. Was können wir also daraus lernen? Drei Punkte:
Wir müssen das Narrativ bekämpfen, dass jeder, der Klimaschutz gut findet, den Leuten ihr Auto wegnehmen und ihr Leben versauen will.
Wir sollten Innovation unbedingt fördern – aber nicht blind darauf vertrauen. Das bedeutet aber auch, Geld in die Forschung zu pumpen, statt nur darüber zu reden.
Wir brauchen eine positive Zukunftsvision, die jedem verständlich macht, dass man von Klimaschutz nur gewinnen kann. Du wirst nach wie vor mobil sein, wie du willst – aber grüner, billiger und lebenswerter.
Ein besserer Kanzler hätte all diese Punkte in einer Rede erwähnen können. Aber leider haben wir den nicht. Wir müssen also damit arbeiten, was wir haben – und immer wieder zeigen, dass es besser geht. Und dass es überhaupt nicht schwer wäre, das auch zu checken.
Noch mehr Lesestoff
📰 Wie wäre es anders gegangen? Hubert Patterer, Chef der KLEINEN ZEITUNG, hat einen alternativen Entwurf des Klima-Teils in der Kanzlerrede geschrieben. So würde man sie wohl halten, wenn die ÖVP eine moderne Partei wäre.