Die Sommergespräche waren schlecht - hier ein paar Ideen, wie man sie besser machen könnte
Ja, „Politiker ausreden lassen“ kommt vor und Nein, es ist nicht alles Simone Stribls Schuld
Seit 2012 verfolge ich die ORF-Sommergespräche. Ich bin ein großer Fan des Formats „längere Gespräche mit einem Politiker“ und finde, dass es diese braucht, um Politik auch mal abseits des täglichen Shitstorms zu erklären.
Aber dieses Jahr waren die Sommergespräche echt verdammt schwach.
Und wer auf Twitter die letzten Wochen mitgelesen hat, wird sich denken, in welche Richtung das geht. Da wird oft auch die Moderatorin kritisiert, Simone Stribl. Ich glaube nicht, dass es ihre Schuld ist, dass die Sommergespräche dieses Jahr so uninteressant sind. Es sind einfach generelle Trends im Polit-Talk, die es mir mittlerweile nicht nur bei den Sommergesprächen immer schwerer machen, solche Formate zu verfolgen.
Hier ein paar Gründe, warum sich Politik-Sendungen oft so fad anfühlen und ein paar Ideen, wie man das ändern könnte.
Problem #1: Personalisierung
Das ganz große Problem rührt aus meiner Sicht aus einem allgegenwärtigen Trend in der Politik: Der Personalisierung. Politik wird mehr und mehr auf Personen fokussiert, und wir reden mehr über Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner als über ÖVP und SPÖ. Gerade in Österreich, wo gerade diese zwei Parteien lange Zeit als die allmächtigen Konstrukte galten, die ihre Parteiobleute nur als ausführende Organe auf Zeit sahen, ist das eine Umstellung. Nicht nur für das Publikum, sondern auch für Journalisten.
Am Schlimmsten fand ich dieses Jahr das Sommergespräch mit Rendi-Wagner. Und zwar nicht nur wegen der Moderation. Hier trifft ein schlecht geplantes Interview auf eine schlechte Kandidatin. Statt über Visionen und Programme zu reden, gang es gefühlte 40 Minuten lang um Querschüsse aus der SPÖ, Kritiker an Rendi-Wagner und kurz gesagt darum, wie oasch es gerade für die Parteichefin sein muss. Und das kann man ja noch bringen - wenn die Politikerin, die befragt wird, ein bisschen mehr als Konter bringen kann als „wir sind für Chancen“ und „Politik für die Menschen“.
Personalisierung ist ein Trend, dem man sich schlecht entziehen kann. Und das muss man auch gar nicht. Wenn ich das Sommergespräch schaue, will ich ja auch wissen, wie es parteiintern um Rendi-Wagner steht. Aber dass man in einer so langen Sendung so wenig über die SPÖ, ihre Konzepte, ihre Pläne für die Zukunft erfährt, ist schon auffällig und schade. Die Reaktion des Generalsekretärs der SPÖ, Christian Deutsch, war daher genauso verständlich wie daneben: Es ging gefühlt eben wirklich nur darum, aktuelle Probleme zu betonen. (Aber als Politiker darf man nicht wehleidig sein.)
Problem #2: Genießt eigentlich irgendjemand Wordraps?
Ganz ehrlich, wer auch immer für diese Idee verantwortlich ist, ist mir eine Erklärung schuldig. Welchen Gewinn hat man als Zuschauer, wenn sich Werner Kogler zwischen Lukas Resetarits und Anna Netrebko entscheiden muss? Ja, die Antwort kostet nur zwei Sekunden, und vielleicht noch zwei weitere wenn sich Politiker erstmal zwicken müssen, um die Absurdität der Frage zu erfassen. Aber was bringt das?
Beate Meinl-Reisinger wurde als erste mit dem Wordrap konfrontiert und war teilweise sichtlich irritiert. Zurecht, immerhin erwartet sie sich ein politisches Gespräch. Danach kam nichts mehr Herausragendes darauf - manche antworteten unkreativ mit “Beides” oder einer erfundenen dritten Option. Nur Sebastian Kurz hatte - als Letzter natürlich am besten vorbereitet - eine gute Idee für den Umgang damit. Als er gefragt wurde, warum er mit Van der Bellen Wein und mit den Sozialpartnern Bier getrunken hat, nahm er sich lange Zeit, um zu überlegen und sagte dann, dass er diese Frage wirklich nicht beantworten kann. Durch die Blume: “Selten depperte Frage, was soll ich mir dabei schon denken?” - das Publikum wird ihm teilweise zugestimmt haben.
Niemand mag Wordraps. Sie sind die Definition von Zeitverschwendung in einer Polit-Sendung.
Problem #3: Zu viele Fragen, zu wenig Zeit
Ich war ja selbst einige Jahre im Journalismus und denke oft nach, wie wohl gewisse Beiträge und Sendungen entstehen. Und bei vielen Diskussionssendungen glaube ich, dass das Problem eine zu große Vorbereitung ist. Gehen wir mal durch, wie man sich als Journalist auf das große Polit-Interview vorbereitet:
Okay, ich hab also den FPÖ-Chef bei mir.
Das ist meine Chance.
Ich muss ihn zu Ibiza fragen.
Aber nicht nur über Ibiza reden.
Ich muss auch zu anderen Korruptionsvorwürfen was sagen.
Und zu den Nazis.
Und zum Programm.
Und zu den Impfgegnern.
Auf die Umfragewerte muss ich ihn ansprechen.
Und auf die Strache-Partei.
Und auf die Wien-Wahl generell, ist Dominik Nepp der richtige Kandidat?
Und eigentlich muss man spätestens hier schon einen Stopp machen.
Ich habe meine Interviews immer vorsichtig nach Priorität geplant. Wenn ich wusste, dass der Gesprächspartner eine halbe Stunde Zeit hat, habe ich mich darauf vorbereitet, dass ich vielleicht nur zwei Fragen stellen kann - aber dafür haben wir bei diesen zwei Fragen genug Zeit, um wirklich darüber zu sprechen. Denn die allermeisten Journalisten haben Nachfragen, sie sind ja jeden Tag mit Politik konfrontiert und reden gern darüber. Man muss auch darauf vorbereitet sein, dass das Gespräch in eine ganz andere Richtung geht - so wie bei meinem Interview mit Bezirkowitsch, bei dem ich den Plan eines seriösen Gesprächs schnell verworfen habe.
Aber bei manchen Sendungen habe ich den Eindruck, dass man sich zu viel vorgenommen hat. 16 Themen passen einfach nicht in eine Stunde. Und es gibt immer genug Themen: Die Umfragen, die nächste Wahl, parteiinterne Diskussionen, Bewertung der Regierungsarbeit, eigene kontroverse Forderung (die meist extra für Interview-Einladungen gewählt wird), und so weiter. Am Ende könnte man einfach allen Kandidaten einen Fragebogen der gleichen 10 Standard-Fragen geben, bevor man ehrlich und langsam über Politik redet. Das ist ein Problem und führt mich zum ersten Lösungsansatz.
Lösung #1: Man könnte Politiker auch reden lassen
Bevor ich zu einem Lösungsvorschlag komme, muss ich vorausschicken: Nein, ich halte die USA nicht für ein Vorbild. Der Horse Race-Journalismus in den Staaten sorgt dafür, dass sich die „fernsehgerechten“ Politiker durchsetzen, dass Talking Points die politische Debatte dominieren und dass generell Inszenierung Inhalte schlägt. Das merkt man auch an Joe Biden und Donald Trump. Aber was das US-Mediensystem dem unseren wahrscheinlich voraus hat - außer Geld - ist, dass sie Politiker zu Wort kommen lassen.
Und ja, ich weiß, jeder kritische Journalist wird jetzt sofort die Frage stellen, ob ich allen Ernstes fordere, dass man Politikern einfach das Mikrofon hinhalten soll. Natürlich müssen ihre Aussagen eingeordnet werden und natürlich sind Journalisten mehr als Frageroboter, die brav auf die Antwort warten und dann gusch bleiben. Aber was ich an den Debatten in den USA sehr genieße, sind die Teile des Abends, in denen Kandidaten in ca. 1-2 Minuten sagen können, was ihre große Vision für das Land ist. Wann hat man das zum letzten Mal in Österreich gesehen?
Lösung #2: Ein bisschen mehr USA wagen
Ich würde mir bei Wahldebatten wünschen, dass man sich am US-Modell orientiert. Statt 500 Eins-gegen-Eins-Situationen, bei denen man sich eh nur auswendig gelernte Beleidigungen an den Kopf wirft, sollten alle Politiker auf einer Bühne stehen, und jeder hat eine fixe Zeit, um auf eine Frage zu antworten. Unterbrechungen anderer Kandidaten führen dazu, dass die eigene Redezeit eingeschränkt wird. (Ich hatte da auch mal eine Idee mit Elektroschock-Halsbändern, sie hat sich aber nicht durchgesetzt.) So haben Politiker zwar immer noch den Anreiz, „starke Aussagen“ zu liefern - aber damit wäre schon mal das ständige Unterbrechen und das „alles schnell abhaken“ ein Stück weit erledigt, da es fixe Blöcke gibt, auf die sich alle vorbereiten können.
Auch lange Politik-Interviews finden in den USA Platz. Jetzt kann man sagen, dass das auch an der Parteilichkeit von US-Medien liegt, dass Präsidentschaftskandidaten gerne ihre Gespräche mit CBS, CNN oder FOX News wagen - aber warum kann man sich eigentlich nur einmal im Jahr zusammensetzen, um über Politik zu reden? Warum kann der Bundeskanzler nicht zweimal im Jahr zum ORF kommen, die Moderatoren wechseln ständig und es geht um die große Vision für das Land, und von da abgeleitet geht es um kleine Neben-Episoden? Mal davon abgesehen, dass unser Kanzler wahrscheinlich nicht genug Visionen für zwei Stunden hat, halte ich das für eine viel bessere Idee als das Sendungskonzept „alle Fragen für ein ganzes Jahr in einer Stunde“.
Es braucht auch Politiker, die mitspielen
Es sind aber wie immer auch beide Seiten Schuld. Nicht nur überambitionierte Journalisten, die zu viele Fragen stellen, sondern auch Politiker, die möglichst lange nichts sagen, um sich über die Zeit zu retten. Sebastian Kurz und Gernot Blümel können nach dem U-Ausschuss ein Lied davon singen. Und gerade wenn Antworten so klingen, als würden sie etwas aussagen, gilt es als unhöflich, wenn ein Journalist unterbricht - das Lied dazu kennt wiederum Armin Wolf ganz gut.
Im Endeffekt braucht es immer zwei Seiten für ein ansprechendes Polit-Interview. Ich fand zum Beispiel die Wordrap-Fragen auch bei Beate Meinl-Reisinger skurril, aber das war zumindest zeitweise doch ein echtes Gespräch. Weil sie Fragen beantwortet wie ein normaler Mensch. Werner Kogler tut das auch, Rudi Anschober auch. Aber nicht alle lassen sich auf diese persönliche Ebene ein - wenn man ehrlich und wie ein normaler Mensch spricht, kommen sofort die anderen Parteien und verdrehen einem das Wort im Mund. Oder die Tageszeitung, mit der man einen Krieg hat, verdreht einem die Aussage und titelt irreführend. Das will man natürlich vermeiden - aber dadurch wird die eigene Performance schlechter.
Der Punkt ist: Auch ich habe natürlich kein Allheilmittel für politische Talkshows. Aber wie vermutlich alle Österreicher wünsche ich mir, dass man Leute ausreden lässt, dass man sich Zeit für kluge Antworten auf kluge Fragen nehmen kann und dass ich am Ende des Gesprächs etwas Neues lerne. Das kenne ich sonst entweder von Barbara Stöckls „Frühstück bei mir“ - oder eben aus US-Medien.
Liebe Journalisten, da geht noch mehr. Ich freu mich über euer Feedback.
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