Die staatsbürgerliche Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht mehr auf
Ein Rant über die vielen Baustellen im Hochsteuerland
Österreich ist ein Hochsteuerland. Ein Fakt, den Politiker aller Parteien immer wieder betonen, um zu insinuieren, dass sie das Problem am Schirm haben - auch, wenn sie seit 37 Jahren an der Macht sind und maßgeblich selbst dafür verantwortlich sind, dass es so ist.
Aber wie schlimm ist dieses Problem?
Entweder man ist der Meinung, dass Steuern ganz generell niedrig sein sollten - das geht bis zum Konzept des „Nachtwächterstaates“, der außer Sicherheit von Leben und Eigentum gar nichts tun sollte.
Oder man ist der Meinung, dass Steuern eh völlig in Ordnung sind, weil wir dadurch insgesamt besser dran sind, als wenn jeder auf sich selbst schaut - das geht im Extrem dann in Richtung Sozialismus, wo der Staat alles für uns tut.
Wie auch immer man dazu steht: Ich glaube, alle Seiten des politischen Spektrums können sich zumindest auf die Idee einigen, dass man für Einzahlungen auch etwas rausbekommen muss.
Und mich beschleicht immer mehr das Gefühl, dass dieser Deal in Österreich nicht mehr aufgeht.
Wofür zahlen wir eigentlich?
Wie gesagt, man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, was die Aufgaben des Staates sind und was nicht. Gerade im liberalen Spektrum ist das oft eine umstrittene Frage. Ich zum Beispiel sehe kein Problem damit, wenn eine liberale Partei in Wien das gesunde, warme Mittagessen für alle Kinder einführt - auch, wenn man es ideologisch als „Gießkanne“ bezeichnen würde und man die Frage stellen darf, ob das die Aufgabe des Staates sein sollte.
Gehen wir mal davon aus, dass wir einen neuen Staat gründen würden. Die gesamte Weltordnung ist zusammengebrochen, und wir befinden uns in einem neuen Gebiet, das wir besiedeln und organisieren müssen, weil die Welt langsam zu komplex für „wir machen uns das ad-hoc aus“ geworden ist.
Ich glaube, bis zu einem gewissen Punkt würden wir vieles ähnlich machen. Wir würden verschiedene Bereiche definieren, die „gemeinschaftlich“ geregelt werden – und die Gemeinschaft ist ja das, woraus der Staat hervorgeht. Und dann würden wir Leute wählen, die dafür zuständig sind. Wir würden uns gemeinsame Spielregeln ausmachen, wie man diese Leute kontrollieren und abwählen kann, und dann würden wir Geld zusammenlegen, damit die Aufgaben für uns erfüllen, weil die meisten von uns eben keine Zeit dafür haben, diesen neu geschaffenen Staat zu micro-managen.
Insgesamt sind Steuern also ganz in Ordnung.
Die Idee an sich ergibt Sinn, und wahrscheinlich hat es einen Grund, dass die meisten es genauso machen. Jetzt stellen sich nur noch zwei wichtige Fragen:
Wie viel geben wir ab, und wie viel dürfen wir selbst behalten?
Was passiert mit diesem Geld?
Über die richtige Höhe an Steuern kann man theoretisch viel diskutieren. In Österreich wird oft ein symbolischer Wert von „unter 40 %“ genannt, der in vielen Ländern immer noch absurd hoch wäre, aber bei uns schon einer massiven Steuersenkung gleichkäme. Zuerst muss man aber die Frage beantworten, was der Staat mit diesem Geld eigentlich machen soll – erst dann ist klar, wie viel das alles kosten kann, soll und wird.
Viele Bereiche, für die der Staat Geld ausgibt, verstehe ich. Er finanziert Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Passt, sehe ich auch so.
Aber dann kommen zum Beispiel Dinge wie der Zuschuss in das Pensionssystem. Denn dort bringen die Einzahlungen schon längst nicht mehr genug ein, um die Auszahlung in einem massiv überalterten Staat zu finanzieren. Darum schießt der Bund – das ist die Gebietskörperschaft hinter „wir alle“ – jedes Jahr Milliarden dazu, weil wir sonst ein Problem hätten und vielen Leuten die Pension kürzen müssten.
Jetzt hätte die Politik mehrere Möglichkeiten:
Die Pensionen kürzen, damit die Einzahlungen wieder die Auszahlungen finanzieren können. Das würde viele treffen, denen es jetzt schon finanziell schlecht geht und einen sehr großen Teil der Bevölkerung gegen die Politiker aufbringen, die das umsetzen – also eher unrealistisch.
Strukturreformen setzen, damit sich das besser ausgeht. Zum Beispiel dafür sorgen, dass Menschen freiwillig länger arbeiten, weil es sich auszahlt. Oder Anreize setzen, damit wir länger gesund bleiben. Schon kleine Veränderungen können in diesem Riesen-Budgetpunkt Milliarden einsparen.
Weiterhin Geld zuschießen, das eigentlich für andere staatliche Ausgaben gebraucht wird. Und Schulden machen.
Die österreichische Politik entscheidet sich konsequent für das Letzte. Für mich, der nicht in Pension ist, ist es natürlich leicht, das schlecht zu finden, und ich bin auch niemandem neidig, der jetzt schon mit einer Mindestpension struggelt. Trotzdem bedeutet das de facto, dass dieses Geld für Bildung, Forschung oder den Kampf gegen den Klimawandel fehlt. Oder anders gesagt:
Diese Politik frisst unsere Zukunft auf.
Ja, Polit-Kampagnen-Sprech much, aber es ist so. Und ich finde, dass wir viel zu wenig darüber reden, dass diese staatsbürgerliche Kosten-Nutzen-Rechnung hinter unseren hohen Steuern schon lange nicht mehr aufgeht. Das kann man auch komplett ohne Generationenkonflikt begründen, hier noch ein paar Beispiele:
Wann habt ihr das letzte Mal schnell einen Arzttermin bekommen, ohne lange warten zu müssen, und dann eine professionelle Behandlung genossen? Wann hatte der Arzt das letzte Mal Zeit für euch? Wie oft werdet ihr hin und her geschickt, wie oft versteht ihr das eigentliche Problem nicht ganz? Wie oft müsst ihr euch damit beschäftigen, was die Kassa übernimmt und was nicht? Oder habt ihr eh schon eine Zusatzversicherung, weil sie eine Notwehrmaßnahme ist?
Glaubt ihr, unsere Schulen funktionieren gut? Also so wirklich gut? Bereiten sie uns auf das Leben vor? Wann habt ihr das letzte Mal die Kurvendiskussion gebraucht, und wie viel habt ihr über das alltägliche Leben gelernt? Seid ihr zufrieden, wenn heimische Schulen und Unis in internationalen Rankings im Mittelmaß oder darunter anzufinden sind? Zahlt ihr gerne dafür?
Und ja, es musste kommen: Wie schaut’s eigentlich im Klimaschutz aus? Steht in Salzburg schon das erste Windrad? In Tirol? In Vorarlberg? Ist Photovoltaik-Ausbau schon leicht und unbürokratisch möglich? Haben wir einen Plan, wie wir unsere Auto-Zulieferer auf die Energiewende vorbereiten? Und wenn nicht, bauen wir dann zumindest die Öffis aus, weil wir den eindeutig belegbaren Trend zum Elektroauto komplett verschlafen?
Gesundheit, Bildung, Klima – das sind nur drei Beispiele dafür, dass wir zwar extrem viel Geld in das System stecken, aber nur wenig rausbekommen. Bereiche wie der Klimaschutz werden eher verschlafen und scheitern am politischen Willen: Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz und das Klimaschutzgesetz liegen beide auf Eis, weil die ÖVP den Grünen keinen Punkt mehr geben will. Andere scheitern an der Struktur: Das Gesundheitssystem in Österreich sieht so aus.
Kein Wunder, dass da nichts passiert.
Überall, wo man in Österreichs Politik hinschaut, sind verschlafene Strukturen aus einer Zeit, in der zwei Parteien sich korporatistisch das Land aufgeteilt haben. Wir halten uns an die Mythen der alten Zeit, an das Lagerdenken der früheren Großparteien und an dem, was man früher halt mal vorgeschlagen hat.
Nicht umsonst klingt der „Neustart“ der SPÖ wie ein Rückblick in die 70er Jahre. Mietpreisbremsen werden zwar immer sofort wieder abgeschafft, weil nicht mehr gebaut, saniert und vermietet wird, aber klingt toll, also wurscht. Die Neutralität schützt uns nicht und ist keine Einladung, zum internationalen Trittbrettfahrer zu werden, aber die Umfragen sagen es. Da muss die Politik halt folgen.
Ich sag’s ehrlich: Ich bin frustriert. An allen Ecken und Enden scheint es so, als würde dieses politische System keine Veränderung hergeben. Das hat viele Gründe:
Es gibt Menschen in diesem Land, die seit Jahrzehnten für ihre Klientel lobbyieren und das dementsprechend gut machen.
Ihr Verhandlungspartner ist eine feige Politik, die durch Umfragen getrieben ist und – so ganz nebenbei – ein massives Personalproblem hat.
Dass die FPÖ zehn Jahre lang allein im Internet war und mit massiver Propaganda eine Parallelrealität aufgebaut hat, fördert keine konstruktive Mehrheit dagegen.
Und dann sind letztendlich wir alle schuld. Wer diskutiert denn noch über Politik? Wer tut sich diesen Scheiß noch an?
Das werde ich oft gefragt, seit ich in der Politik arbeite. Und ich verstehe den Frust wirklich. Selbst, wenn NEOS ein sehr gutes Ergebnis einfährt, worauf wir hinarbeiten (und was viele Umfragen andeuten), braucht es Veränderungswillen in einer von drei Großparteien, die seit Jahrzehnten stabil versagen. Wir brauchen keine Retro-Vermögenssteuer, keine Realitätsverweigerung gegen Elektro-Autos und keine „Festung Europa“ – wir brauchen endlich mal den Mut, auch schwierige Probleme anzugehen. Auch, wenn man sich dafür bei manchen unbeliebt macht.
Mag jetzt zynisch klingen, ist es im Moment vielleicht auch ein bisschen. Aber eigentlich ist das auch eine gute Nachricht. Solange mich sowas aufregt, bin ich wenigstens motiviert.
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🇺🇸 Ein düsterer Ausblick. Die Schweizer REPUBLIK widmet sich der US-Präsidentschaftswahl, die im November 2024 ansteht. Sie wiederholt nicht nur die vielen Gründe, warum Donald Trump eine Katastrophe wäre - sondern zeigt auch, was Ron DeSantis bedeuten würde: Ein Kulturkämpfer mit echtem Interesse an Politik, der Florida zum Vorzeigestaat für das rechte Lebensmodell gemacht hat.
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🇦🇹 Mein Appell an die Außenpolitik: Bitte aufwachen! Wenn sogar Deutschland eine ambitionierte Sicherheitsstrategie hat, sollten wir auch endlich aus dem Dämmerschlaf aufwachen und so etwas wie eine außen- und sicherheitspolitische Linie entwerfen. Denn nur darauf zu hoffen, dass Putin uns nicht sehen kann, wenn wir ihn auch nicht sehen, ist keine Politik.