Die vielleicht letzte Wahl der USA
Wie die Republicans daran arbeiten, die Stimmanzahl vom Wahlergebnis zu entkoppeln
Ich muss sagen, ich bin ein bisschen nervös.
Denn morgen wählen die USA. Und die Republikaner sind drauf und dran, aus strategischen Gründen demokratische Prinzipien zu Grabe zu tragen.
Ich beziehe mich dabei nicht nur auf die schiere Anzahl an Einschränkungen im Wahlrecht, sondern auf die Systematik dahinter.
Die Strategie, mit der eine von zwei Parteien gerade daran arbeitet, völlig unabhängig vom Ergebnis als Wahlsieger hervorzugehen.
Die New York Times hat sie hier gut aufgearbeitet. Die Erklärung ist auch als Video am Ende des Artikels eingebunden, aber hier erstmal kurz zusammengefasst:
Die Republikaner haben eine Strategie, um bei der nächsten Wahl jeden demokratischen Sieg anfechten zu können.
Dafür sammeln sie willfährige Helfer:innen, die verschwörungs-affin sind und glauben, dass Trump schon die letzte Wahl gewonnen hat.
Diese werden darauf geschult, kleinste Auffälligkeiten zu nutzen, um das Wahlergebnis in ihrem Sprengel zu kippen.
Mit schmutzigen Tricks soll so eine riesige Anzahl an erfundenen und aufgeblasenen Einzelbeispielen gesammelt werden.
Bei der nächsten Präsidentschaftswahl kann so insinuiert werden, dass ein demokratischer Wahlsieg unmöglich stimmen kann.
Wenn ich mich mit solchen Strategien beschäftige, denke ich immer an einen früheren Kollegen, der das sicher lustig findet. Also, nicht ironisch lustig, wie wenn ich darüber rede, Rom beim Fallen zuzuschauen. Sondern ernsthaft lustig, weil es ja eine total smarte Art ist, um die Linken zu ärgern.
Und ja, man kann das so sehen. Man kann über die handwerkliche Stärke der Republikaner reden. Darüber, dass sie Politik besser verstanden haben als die Demokraten, indem sie schneller den Push auf die lokale Ebene vollzogen haben und ein gutes Bild davon haben, welche Themen ihre Basis interessieren. Wenn man sich nur für Politik als “Politics”, als den Wettbewerb um politische Macht interessiert, kann man das beeindruckend finden.
Aber ich sehe darin hauptsächlich einen Putschversuch.
Donald Trump hat seine Wahlniederlage genauso geleugnet wie alles andere in seiner Amtszeit: Mit Behauptungen. Ohne Quelle, Untermauerung oder Beweise. Fürs politische Überleben in seiner Amtszeit hat das gereicht - aber um die Grundfesten einer etablierten Demokratie zu erschüttern, braucht es mehr als ein Gerücht.
Nach seiner Lüge und dem Aufruf zum Sturm auf das Kapitol hätten die Republikaner zwei Möglichkeiten gehabt:
Von Donald Trump distanzieren, Fehler analysieren und ein neues Angebot machen. Mit Neokonservativen, Wirtschaftsliberalen bis Libertären und Compassionate Conservatism hätte man ja Möglichkeiten dafür.
Sicherstellen, dass Donald Trump beim nächsten Mal damit durchkommt, wenn er behauptet, die Wahlen wären “fake”.
Dass die GOP die zweite Option gewählt hat, macht mir ernsthafte Sorgen.
Demokratie lebt vom Wettbewerb.
Entscheidungen in einer Demokratie sind zäh, weil sie auf Kompromiss basieren. Vieles, was ich unter der türkis-blauen Bundesregierung schlecht gefunden habe, war schlecht, aber durch den Willen einer Mehrheit des Volkes legitimiert. Und es kann nur korrigiert werden, wenn sich andere Mehrheiten dafür finden.
Das heißt auch, dass wir langsamer sind als Diktaturen. Wenn China will, sind dort ab morgen alle CO2-Emissionen verboten und es gibt Rationen von Energie, mit denen jeder auskommen muss. Demokratien müssen damit vorsichtiger umgehen: Parteien brauchen eine Mehrheit in der Bevölkerung, weil sie abgewählt werden können.
Ich bin ein Riesenfan dieser Idee, weil ich wirklich an sie glaube. Und zwar auch bei denen, die ich nicht gut finde. Die ÖVP muss nicht nur in Opposition, weil ich sie inhaltlich für beliebig bis fatal halte - sondern auch, weil sie nach einem Erneuerungsprozess das Potenzial zu einer anständigen, wichtigen Kraft im Land hat. Auch den Grünen hat die Watsch’n bei der Nationalratswahl 2017 nicht geschadet. Weil die meisten besser zurückkommen, als sie gegangen sind.
Die Republikaner haben sich von diesem Prinzip verabschiedet.
Was wir in den USA beobachten können, ist anders als viele bedenkliche Entwicklungen, die wir in Europa haben. Ja, beide Parteien wollen Wahlen gewinnen - aber nur eine scheint sich noch dazu bekennen, dass es dazu eine Mehrheit der Bevölkerung braucht.
Ein Sieg ist demnach nicht, wenn die Mehrheit der Bevölkerung bei einer Wahl für mich gestimmt hat. Sondern wenn am Ende das Ergebnis so passt, dass ich regieren kann. Wenn dafür viele Menschen vom Wahlprozess ausgeschlossen werden müssen, so be it. Wenn ich dafür die Grenzen so ziehen muss, dass es kaum eine Mehrheit gegen mich geben kann, so what? Politik ist ein Spiel, ein Geschäft - und nicht mal mehr mit dem theoretischen Anspruch verbunden, das Leben der Menschen besser zu machen
Es könnte also die letzte Wahl der USA werden.
Und mit “die letzte Wahl” meine ich nicht, dass 2024 ein Diktator an die Macht kommt, der Wahlen abschafft. Aber die Midterms in wenigen Tagen könnten die letzte Wahl sein, bei der die Republikaner mit diesem Playbook nicht durchkommen.
Es wäre immens wichtig, dass die Demokraten sie haushoch gewinnen - aber das wirkt aktuell unwahrscheinlich bis unmöglich. Sie scheinen eher beide Kammern des Parlaments zu verlieren.
Aber über die Gründe dafür reden wir ein andermal. Dazu werden informiertere Leute als ich in den Tagen nach der Wahl noch viel schreiben. Fürs Erste bleibe ich also bei der Warnung, dass es in den USA gerade um alles geht - und dass die Midterms ein Härtetest dafür werden, wie gut die Republikaner darin sind, das Vertrauen in ihr Wahlsystem zu untergraben.
Zum Abschluss empfehle ich übrigens sehr stark, dieses Video der New York Times dazu anzusehen. Es verdeutlicht sehr gut die Absichten der republikanischen Partei.
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