Ein großes Narrativ macht große Probleme
Wieso Inhalte aus der politischen Debatte verschwunden sind
Heute gibt es wieder einmal ein bisschen Medienkritik. Aber nicht, weil mir „die Medien“ – ein Begriff, den ich eh ablehne, weil man da nicht nur die Medienunternehmen, sondern auch die Journalist:innen getrennt beurteilen sollte –, am Oasch gehen. Sondern weil ich glaube, dass wir ein Problem in unserem gesellschaftlichen Kurs haben, der der FPÖ hilft.
There, I said it. „Das hilft nur der FPÖ“ ist ein alter, oft wiederholter und auch schon fad gewordener Take, ich weiß. Ich will aber gar nicht einen weiteren „Das hilft nur der FPÖ“-Artikel schreiben – aber das Problem, das ich ansprechen will, ist eben deswegen relevant, weil es den Aufstieg der Rechten begünstigt. Ich glaube nämlich, dass wir damit aufhören sollten, „Politik-Politik“ und Strategie mehr Fokus zu widmen als Inhalten. Darum geht’s in diesem Text.
So, wenn ihr bei „Das hilft der FPÖ“ nicht ausgestiegen seid, gehen wir kurz zwei Arten von Medienberichten durch. Generell können wir das, was diskutiert wird (= das, was durch Medien vermittelt wird und bei vielen Menschen ankommt) in zwei Kategorien einteilen:
Tagesaktuelles
Meta-Aktuelles
Komplett willkürliche Namen übrigens, die ich erfunden habe und die wir gerne durch bessere ersetzen können. Was meine ich damit? Sehen wir uns den STANDARD an:
Drei dieser Headlines sind tagesaktuell: Der Gesundheitsminister macht sich Sorgen, es gibt Vorwürfe gegen die FPÖ, und Claudia Gamon ist neue Chefin von NEOS Vorarlberg. All das sind Themen, die in einer Woche wahrscheinlich nicht mehr diskutiert werden – es sei denn, die Vorwürfe, laut denen die FPÖ (nur wenig übertrieben) basically im Auftrag Russlands Politik macht, werden lauter und konkreter.
Was bleibt, ist das „Meta-Aktuelle“: Die Geschichte über den erneuten Aufstieg der Freiheitlichen. Sie kommt auch schon in der Headline der tagesaktuellsten Story vor, weil sich Rauch auch an die FPÖ-Wähler wenden will.
Das sind große und kleine Narrative.
In jeder Ausbildung, die mit Journalismus zu tun hat, habe ich gelernt, dass man in diesem Beruf Verantwortung hat. Man hat auch eine starke Agenda-Setting-Funktion und sucht aus, was man den Menschen zeigen will, die sich auf die eigene, professionelle Auswahl von Geschichten verlassen. Weil wir nie ein vollständiges Bild davon haben werden, was auf der Welt passiert, müssen wir uns darauf verlassen, dass es das Relevanteste in die Medien schafft. Oder zumindest in unsere Social-Media-Feeds: „Wenn es wirklich wichtig ist, wird es mich schon erreichen.“
Dazu zählen die tagesaktuellen Meldungen, die an jedem individuellen Tag die größten Meldungen sind. „Gesundheitsminister Rauch sorgt sich“ ist in der gleichen Kategorie wie Berichte über neue Gesetzesvorhaben der Regierung, über die regelmäßig berichtet wird. Wenn der Bundeskanzler spricht, hören die Medien zu und geben weiter, was gesagt wird – das ist das „kleine Narrativ“, das den politischen Tag bestimmt.
Aber was unsere Feeds und unsere von Medien geformte Erfahrung auch bestimmt, sind die großen Narrative – die Artikel, die zwar selten die erste Meldung sind, aber wieder und wieder vorkommen. Der Aufstieg der FPÖ war zwar am Wahltag in Niederösterreich (neben den starken Verlusten der ÖVP) die Hauptmeldung, aber danach tage- und wochenlang konstant auf Plätzen knapp dahinter.
Das formt ein „großes Narrativ“.
Während wir uns also jeden Tag mit der „Was uns heute interessieren sollte“-Story beschäftigen, erscheinen immer neue Analysen zum Aufstieg der FPÖ. Eine Geschichte, die sich nicht auf einen Tag beschränkt, sondern ab jetzt quasi immer aktuell ist – bis zum Wahltag in Kärnten, danach bis zum Wahltag in Salzburg, danach bis zum Wahltag im Bund. Weil diese Geschichte ein Trend ist, anders als eine Ankündigung oder eine Aussage, wird sie konstanter bespielt als alles, was sonst in der Politik passiert. Und das hat Folgen.
Denn auch, wenn jeden Tag eine andere Geschichte zuerst oder prominenter zu uns durchdringt, bekommen wir immer auch mit: Die Freiheitlichen kommen. Begleitet wird diese komplexe Geschichte, die in verschiedensten Varianten durch alle Medien rauf und runter gespielt wird, von vielen Facetten. Ich gebe nur wieder, wie ich sie in den Medien wahrnehme, nicht, was meine Meinung dazu ist – auch, wenn sich das oft nicht unterscheidet.
Es ist allgemein eine schlechte Stimmung im Land: Die Regierung tut nichts, es geht in den wichtigsten Bereichen nichts weiter, Türkis-Grün hat keine Mehrheit mehr.
Die Ungeimpften sind wütend – und werden sicher keine andere Partei als die FPÖ wählen, weil sie ein Monopol auf sie hat. Allgemein mobilisieren nur die Freiheitlichen gut.
Das Thema Migration hilft nur der FPÖ. Man sollte es nicht wegignorieren, weil das hilft nur der FPÖ. Aber auch, wenn man es anspricht und nicht löst, hilft man der FPÖ. Warum spricht Partei XY eigentlich so viel/wenig über Asyl?
SPÖ und ÖVP können es nicht. Erstere steckt in einer nie enden wollenden Obmann-Obfrau-Debatte und kann nicht kommunizieren, ohne dass es nach hinten losgeht, Letztere droht im Korruptionssumpf zu ertrinken.
Der Ukraine-Krieg sorgt dafür, dass mehrere Parteien die verständliche Position einnehmen und eine alle Russland-Fans um sich schart. Wie geht man innenpolitisch damit um, dass die FPÖ den Ukraine-Krieg für sich nutzt?
Momentan ist es für Menschen, die sich nur selten und kurz mit Politik beschäftigen – also die meisten – so, als würden Journalist:innen ihnen regelmäßig „die wichtigsten Geschichten des Landes“ zuflüstern, ohne dass denen auffällt, welche sie am meisten wiederholen. Dieses Narrativ muss sich in etwa so anhören:
„Die Regierung will Folgendes gegen die Teuerung tun. Die FPÖ könnte bei der Wahl gefährlich werden. Neue Ermittlungen gegen ÖVP-Politiker. Die FPÖ profitiert von der Korruption der Volkspartei. Showdown Rendi-Wagner gegen Doskozil. Ein FPÖ-Politiker sagt etwas, was man von FPÖ-Politikern erwarten kann. NEOS fordern Bildungsreform. Die FPÖ dominiert die Themenlandschaft. ÖVP verliert Niederösterreich, FPÖ gewinnt. Die Großparteien wissen nicht, wie sie die FPÖ aufhalten. Konsequenzen nach Wahlniederlage bei der SPÖ. Rauch will Gesundheitsreform. Die FPÖ ist wieder da.“
All diese Punkte sorgen in Dauerbeschallung dafür, dass die an und für sich groß platzierten Themen des Tages unter „ferner liefen“ fallen. Was hängen bleibt ist: Ab und zu sagt jemand in der Politik was, aber was uns wirklich interessieren sollte ist der unaufhaltsame und super gerechtfertigte Aufstieg der Freiheitlichen.
Dieses „große Narrativ“ hilft der FPÖ.
Wenn wir nur noch diskutieren, dass alles schlimm ist und dass alle die FPÖ wählen, droht eine self-fulfilling prophecy.
Ein Trend, der in Österreich so bekannt ist, dass Sebastian Kurz ihn mit gefälschten Umfragen sogar aktiv nutzen wollte: „Wenn alle glauben, dass ich populär bin, bin ich auch wirklich populär.“ Ein ähnliches Kalkül dominierte Straches Wunsch, eine russische Oligarchin solle für ihn die KRONE kaufen – wenn die mich hochschreiben, werde ich schon gewinnen. Die Menschen folgen eh nur der Masse.
Das mag ein problematisches Verständnis davon sein, wie Politik funktioniert, weil jede:r für sich entscheidet und eigene Kriterien hat. Aber auch ich glaube, dass das nicht ungerechtfertigt ist. Nicht unbedingt, weil die Menschen nicht für sich selbst denken, aber weil taktisches Wählen noch bei jeder Nationalratswahl ein Thema war – Kern wählen, um Strache zu verhindern, „Wer Grün will, muss Grün wählen“, die FPÖ als einzige Alternative zu Rot-Schwarz.
Die Inhalte bleiben dabei auf der Strecke.
Wenn sich nur die kleinen Narrative, die uns maximal zwei Tage beschäftigen, überhaupt mit Inhalten zu tun haben – also mit dem, was in der Politik konkret passiert, um unser Leben zu beeinflussen –, dominiert immer nur das Meta-Narrativ. Die inhaltliche Stärke oder Schwäche einer Partei wird irrelevant und komplett durch „strategische Kompetenz“ ersetzt: Die Illusion von Inhalten wird zum Inhalt.
Wie soll man in einer öffentlichen Debatte, in der es nur um „Politik-Politik“ geht, jemals ernsthaft etwas weiterbringen? Eine Partei wie NEOS, die sich mehr durch Inhalte als durch das große Narrativ in Medien definiert, kommt da mit zahlreichen Vorschlägen zu Bildungspolitik und Antikorruptionsmaßnahmen nicht durch. Viel wichtiger ist die 500. Analyse, was die FPÖ jetzt stark macht. Das trifft aber nicht nur uns.
Auch der Bundesregierung, der man viel vorwerfen kann, könnte es eigentlich besser gehen. Immerhin muss man zurecht festhalten, dass die Gießkanne als Instrument zwar zu oft verwendet wird, aber gerade mit den ersten Hilfen vielen Menschen geholfen hat. Sie macht vieles falsch, aber sie tut nicht nichts – und der Unterschied zwischen „die Krisen wirken lassen“ und dem, was wir jetzt im Teuerungs-Winter erlebt haben, ist zumindest so groß, dass man das anerkennen kann.
Trotzdem kommt niemand durch damit. Warum? Weil alle viel zu beschäftigt sind, der SPÖ beim Sterben, der ÖVP beim Leiden und der FPÖ beim Aufsteigen zuzusehen. Wen interessiert ein neues Reformvorhaben, wenn es einen neuen „Aufreger“ rund um die Freiheitlichen gibt? Wer braucht einen konstruktiven Vorschlag einer Oppositionspartei, der in Ausschüssen sterben wird, wenn man die Neuauflage von Dosko gegen Rendi-Wagner beobachten kann?
Das ist ein Problem, das unsichtbar über vielen anderen Problemen liegt. Auch, wenn es jetzt gerade um die FPÖ geht – das „große Narrativ“, das alle anderen Inhalte überdeckt, war auch beim „Duell um Wien“ zwischen Häupl und Strache 2015 und bei der Nationalratswahl 2017 mit Sebastian Kurz schon unangenehm. Es scheint unmöglich, in Österreich auch nur 1x einen Wahlkampf zu haben, der sich nicht hauptsächlich mit politischer Kommunikation und Strategie beschäftigt, sondern mit konkreten Vorschlägen, wie dieses Land besser werden soll.
Wie bringen wir Inhalte also wieder zurück?
Wie bereits anfangs gesagt heißt das nicht, dass alle Journalist:innen böse Gehilf:innen der FPÖ sind. Ich glaube, viele sind sich dieser Dynamiken mehr oder weniger bewusst. Einige scheinen sie zu mögen, viele aber wissen, dass sie da zwischen den Erwartungen des Publikums und ihrem eigenen Anspruch gefangen sind und versuchen das abzuwägen. Auch ich war da im Journalismus nicht immer vorbildlich und wollte mich viel mit „Politik-Politik“ beschäftigen. Trotzdem sollte die Medienbranche überlegen, wie sie einen besseren Beitrag zur politischen Debatte leisten kann.
Und das trifft auch auf die Politik zu. Die SPÖ könnte genauso ihren Teil beitragen, indem sie ihre bereits jahrelangen Streitigkeiten begräbt und das Personal so weit austauscht, dass es wieder um andere Dinge gehen kann. Im konkreten Fall müsste man wohl die halbe Partei austauschen – aber ich glaube, das würde niemanden weiter stören außer die, die betroffen sind. Und auch die ÖVP könnte langsam mal wieder so etwas wie ein inhaltliches Profil entwickeln, statt ab einem gewissen Paniklevel automatisch auf Anti-Ausländer-Rhetorik umzuschalten.
Ich für meinen Teil versuche, nicht nur über Strategie zu reden, sondern auch über politische Ideen und Inhalte. Man sollte die FPÖ oft und gerne kritisieren – aber eben auch auf der Ebene, warum ihre konkreten Vorschläge schlecht für viele in diesem Land wären. Ja, spannend, was gerade in der Bundespolitik passiert, aber ein EU-Austritt, mehr fossile Förderungen, eine Freundschaft mit Russland und und ausländerfeindliche Showpolitik sind ganz unabhängig von den Umfragen einfach schlechte Ideen.
Insofern appelliere ich: Wenn jeder von uns sich wieder ein bisschen mehr bemüht, Inhalte zurück in die Politik zu bringen, sind wir der Lösung schon viel näher. Und alles andere hilft sowieso nur der FPÖ.
Nicht der FPÖ helfen wollend,
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🇧🇷 Ein Linker für mehr Freihandel. Der neue brasilianische Präsident Lula spricht sich für einen schnellen Abschluss von MERCOSUR aus, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südamerika. Bis jetzt scheiterte es unter anderem daran, dass Ex-Präsident Bolsonaro den Regenwald nicht entsprechend schützen wollte – aber auch am Widerstand Österreichs. Warum Österreich bis jetzt dagegen war, was dafür spräche und wieso wir mit Freihandel den Regenwald retten könnten, hat Thomas Jandl übrigens schon mal in der Materie erklärt.
👧 Ab April ist der Kindergarten in Salzburg vormittags kostenlos. Und die Geschichte dahinter ist interessant. Ähnlich wie in Niederösterreich hat auch Salzburgs ÖVP vor der Wahl nach einer unkontroversen Forderung gesucht, mit der man im Wahlkampf Punkte machen kann – und wie in NÖ Fortschritte bei der Kinderbetreuung versprochen. Im Unterschied zu Niederösterreich sind dort aber auch NEOS und die Grünen in der Regierung. Konsequenz: Es wird jetzt vor der Wahl umgesetzt, sonst würde Haslauer mit seiner Absichtserklärung sein Gesicht verlieren. Mir ist ja völlig egal, ob das Richtige aus den falschen Gründen passiert, aber amüsant ist das schon.
📰 Ein Text, den man gewissen Leuten schicken sollte. Ein konservativer Autor macht sich auf seinem Blog Gedanken darüber, „Why the Media is Honest and Good“. Die Rechte in den USA mache es sich zu einfach: Obwohl sie verbreite, die Medien würden alle nur lügen, vertrauten sie doch selbst der New York Times mehr als z.B. Fox News. Warum man Medien grundsätzlich vertrauen darf, auch wenn man sie in einzelnen Punkten kritisieren darf und soll, wird hier gut erklärt. Ähnliches sollten sich auch österreichische „Lügenpresse“-schreiende Verschwörungstheoretiker durch den Kopf gehen lassen.