Ich habe mir überlegt, ob ich überhaupt einen Text zum Krieg in der Ukraine schreiben soll. Ein merkwürdiger Nebeneffekt an Krisenzeiten ist der, dass hinter jeder Ecke Menschen lauern, die eine Katastrophe für ihr eigenes Brand Building nutzen. Auf Social Media kursieren unzählige Beispiele für Leute, die einen Krieg dazu nutzen, dir jetzt ihre Aktien-Beratung anzudrehen oder die einen weit entfernten Konflikt für ein lustiges Wortspiel nutzen wollen. Kann man machen. Muss man aber nicht.
Ich hatte auch schon einen Artikel über die Unfähigkeit des Westens, schnell zu handeln, fertig geschrieben, der mir dann aber selbst etwas zu düster war. Jetzt bin ich eher froh darüber, ihn nicht veröffentlicht zu haben. Denn wenige Tage nach Kriegsbeginn sieht die Situation schon etwas anders aus. Warum, will ich mit diesem Text begründen.
Davor noch ein kurzer Disclaimer: Momentan geben viele vor, sich extrem gut auszukennen und wollen sich dadurch profilieren. Das soll nicht so ein Text sein. Ich habe Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Politik studiert und bin ein Medienjunkie, aber that’s about it. Ich bin weder Russland-, noch Ukraine-Experte und interpretiere hier die Nachrichten, die uns allen verfügbar sind. Also sei vorausgeschickt, dass das ein subjektiver Nicht-Experten-Post ist.
Aber jetzt zum Optimismus.
1. Die Ukraine schlägt sich besser, als es ihr irgendjemand zugetraut hätte.
Als im Vorfeld noch gezündelt wurde, gab es schon einige Analysen darüber, wie so ein Krieg wohl aussehen könnte. Welche Optionen hat Putin, wie viele Panzer haben Russland und die Ukraine, wie viele Kampfjets? Diese Aufstellungen haben meist eindeutig gezeigt, wie überlegen die russische Armee ist, und wie hoffnungslos ein ernsthafter Krieg für die Ukraine wäre.
Heute sieht die Situation anders aus:
Russland ist es nach wie vor nicht gelungen, wichtige Städte einzunehmen und zu halten, die Ukraine hat die Kontrolle über den eigenen Luftraum noch immer nicht verloren.
Auch die Anzahl der Truppen hat sich geändert, da viele Zivilist:innen in den Krieg ziehen. Gerade in den Städten ist es für die vergleichsweise wenigen russischen Truppen enorm schwierig.
Die Moral dürfte auf ukrainischer Seite deutlich höher sein: Sie kämpfen für die Existenz ihres eigenen Landes, während auf russischer Seite u. a. auch junge, nicht top ausgebildete Soldaten sein dürften, die desillusioniert sind, dass überhaupt Widerstand kommt.
Zusammengefasst: Der Krieg in der Ukraine zieht sich wesentlich länger hin, als Putin erhofft hatte.
2. Russland ist isoliert.
Die Antwort des Westens kam viel zu spät, aber sie ist da. Es hat den Anschein, als hätten sich viele Regierungschefs überlegt, ob man der Ukraine jetzt zur Hilfe eilen sollte, oder ob sich dieser Staat eh in 2-3 Tagen erledigt hätte. Nur nicht Beef mit Russland anfangen, wenn es nichts zu gewinnen gibt. Aber als sich gezeigt hat, dass es durchaus etwas zu gewinnen gibt, sind einige aufgesprungen. Ein kurzer Auszug daraus, was Russland erwartet:
Russische Banken werden vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen. Auch Öl- und Militärindustrie werden aus dem EU-Kapitalmarkt ausgeschlossen.
Die russische Zentralbank soll daran gehindert werden, den Rubel zu stützen.
Export- und Importverbote sollen die russische Wirtschaft schwächen.
Vieles wird nicht mehr nach Russland geliefert, z. B. Militärgüter, “Dual-Use-Güter” (Dinge, die militärisch und zivil verwendet werden können), aber auch Technologien.
Es gibt Sanktionen gegen einzelne Personen, die Putin nahestehen: Ihre Konten wurden gesperrt und es ist verboten, ihnen finanzielle Hilfe zu leisten. Sie dürfen auch nicht mehr in oder durch die EU reisen.
Die EU-Mitgliedstaaten sperren ihren Luftraum für russische Flüge.
Die “Goldenen Pässe”, mit denen sich reiche Russ:innen in EU-Ländern eine Staatsbürgerschaft erkaufen konnten, werden abgeschafft.
Nachdem sich Deutschland lange Zeit dagegen gewehrt hat, liefern auch sie jetzt Waffen in Richtung Ukraine, so wie viele andere Staaten.
Dazu kommt noch die geopolitische Perspektive: Jetzt, wo wir uns mit Russland angelegt haben, sind wir auch erpressbar, was unsere Gas-Versorgung angeht. Und falls die Klimakrise und das Aussterben ganzer Ökosysteme noch kein guter Grund war, dagegen etwas zu machen, dann haben wir jetzt zumindest den bösen Russen als weiteren Grund: Ein Ausstieg aus Gas führt dazu, nicht mehr abhängig von Putin zu sein.
All diese Faktoren führen dazu, dass Russlands Wirtschaft isoliert ist - was eher kontraproduktiv ist, wenn man eine Kriegswirtschaft führen muss. Das ist auch das Argument, das von Globalisierungs-Befürwortern (wie mir) immer gerne gebracht wird: Wenn du mit deinem Kriegsgegner handelst, wenn die Volkswirtschaften eng verflochten sind, tut es jedem umso mehr weh, aus der Reihe zu tanzen.
3. Putin kommt da nicht mehr raus.
Das ist jetzt der Hot-Take-Teil dieses Newsletters und auch ein optimistischer Zukunftswunsch: Ich glaube, hoffe und wünsche mir, dass Vladimir Putin diesen Konflikt nicht übersteht, ohne abzudanken.
Grund dafür ist die Unzufriedenheit vieler Russ:innen. Die russische Wirtschaft leidet immer wieder, auch durch die vergangenen Sanktionen. Das Land kämpft mit Korruption, Nepotismus und enormen Ausgaben durch Prestige-Events wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-WM. Währenddessen gäbe es aber genug Menschen, die das Geld woanders gut gebrauchen könnten. Das alleine reicht, um eine zumindest latente Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu schüren.
Jetzt aber, wo die Situation eskaliert, werden es sich viele Russ:innen wohl überlegen. Wenn ein “Brudervolk” angegriffen wird und sich nicht nur die Bilder von brennenden Hochhäusern verbreiten, sondern auch friedliche, staatsmännische Reden des Präsidenten der Gegenseite - wie glücklich wird man darüber im eigenen Land sein?
Viele russische Celebrities haben sich bereits auf Social Media von Vladimir Putin distanziert und den Krieg in der Ukraine verurteilt.
Obwohl die Demonstranten verhaftet werden, wird in russischen Städten gegen den Krieg demonstriert.
Russ:innen werden von allen möglichen Events ausgeschlossen, z. B. vom Eurovision Song Contest. Das Finale der UEFA Champions League wurde ebenfalls von St. Petersburg nach Paris verschoben.
Sogar wenn man darüber hinwegsehen würde, dass Menschen sinnlos sterben müssen, leidet man selbst immer noch unter den Sanktionen - ob das die Banken trifft oder ob man nicht mehr auf Pornhub kann. Wenn man so sehr ins Aus katapultiert ist durch einen Krieg, der nicht provoziert wurde, kann das nicht lange gut gehen.
Ausblick
Mir ist natürlich bewusst, dass das alles optimistisch ist. Ich bin auch wie gesagt kein Russland-Experte. Es kann auch sein, dass der russische Propaganda-Apparat durch die gesteuerten Staatsmedien nach wie vor stark genug ist, um genug Russ:innen von diesem Krieg zu überzeugen. Genauso, wie es sein kann, dass der Krieg durch den Einsatz von Atomwaffen doch schneller beendet wird, als es jetzt den Anschein hat. Alles ist möglich, alles kann sich jederzeit ändern und zu der Zeit, in der ihr diesen Text lest, kann schon wieder alles anders aussehen.
Trotzdem habe ich zumindest die Hoffnung, dass die Ukraine nicht einfach eingenommen wird. Es sieht für mich eher danach aus, als würde sich David gegen Goliath durchsetzen und als würden die angekündigten Friedensgespräche vor allem dazu dienen, Putins Gesicht irgendwie zu wahren. Aber ich hoffe, dieser Zug ist abgefahren: Die Sanktionen werden Russland so stark treffen, dass der Präsident angezählt ist.
Hoffen wir das Beste
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