Ich bin aus dem Urlaub zurück. Direkt an dem Wochenende, an dem es einen europäischen Super-Wahltag gab.
In Deutschland gewinnt die SPD die Wahl knapp vor der CDU/CSU.
Die Schweiz erlaubt die Ehe für alle.
San Marino kippt sein Abtreibungsverbot.
Und ach ja, da waren auch noch Wahlen in Österreich. Sebastian Kurz’ Siegesserie reißt nicht ab - aber die ÖVP kann ihr schlechtestes Ergebnis aus dem Jahr 2015 nur sehr knapp verbessern, während die Freiheitlichen ein Drittel ihrer Wähler:innen verlieren. (Es war die erste Wahl seit Ibiza.) Die NEOS kommen nur knapp in den Landtag, deutlich drin sind dafür die Impfgegner:innen der MFG.
In diesen Wahlen war so einiges dabei, aber hier nur einige Punkte, die für mich nicht ganz unwichtig sind.
Gute Zeiten für Liberale
Man kann sich darauf konzentrieren, dass die CDU/CSU immer noch zweitstärkste Fraktion wird. Aber man kann auch sehen, dass die drei Parteien, die bei der Deutschland-Wahl gestärkt wurden, gesellschaftsliberal sind: Nämlich SPD, Grüne und FDP.
Wenn man sich anschaut, dass die FDP das Parteiprogramm hat, das die mit Abstand meisten CO2-Emissionen ermöglicht, kann man das schlecht finden und fragen, warum sie trotzdem die stärkste Partei unter Erstwähler:innen ist. Aber dass die drei stärksten Parteien sich zumindest beim Ziel Klimaschutz einig sind - denn anders als der CDU glaube ich der FDP wirklich, dass sie zumindest den Planeten retten will - ist ein guter Anfang. Und dass gerade die extremen Parteien abgestraft wurden, also AfD und die Linke, tut auch gut.
Gleichzeitig muss man betonen, dass es einen starken Gap im Wahlverhalten unter Altersgruppen gibt: Ähnlich wie in Österreich wählen ältere Menschen eine der zwei “Großparteien”, während Jüngere tendenziell kleinere und hauptsächlich progressive Parteien wählen. (Das Zweite ist eher ein Unterschied zu uns - auch Sebastian Kurz und die FPÖ sind stark bei Jungen.)
Solche kleinen Triumphe muss man vor allem deswegen betonen, weil es vor wenigen Jahren noch ganz anders aussah:
Zurück im Jahr 2015, 2016, 2017 dachten wir noch, der Vormarsch der Rechten sei unaufhaltbar. Wahltriumphe von Marine Le Pen und Parteien wie der AfD wurden an die Wand gemalt, nachdem auch durch Donald Trump ein Präzedenzfall da war, der zeigte, was möglich war. Das Narrativ vom Zusammenbruch der Sozialdemokratie, die durch ökonomischen Nationalismus ersetzt werde, war überall. Mittlerweile regieren Sozialdemokrat:innen den gesamten Norden Europas, Spanien, Italien und - wahrscheinlich - auch bald Deutschland. Im wichtigsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union wurde keine Partei gestärkt, die diese ablehnt. Das alles ist schon viel wert und zeigt, dass sich politische Stimmungslagen auch ändern können.
Die KPÖ erobert Graz
Im Zusammenhang damit kann man auch das Ergebnis in Graz interpretieren. Dort hat die KPÖ der ÖVP den Bürgermeister genommen und ist jetzt stärkste Partei. Ich weiß so gut wie nichts über Grazer Lokalpolitik - aber dass der Spin der Diktatorin Elke Kahr in Stalingraz etwas überspitzt ist, kann man mittlerweile aus jeder seriösen Auseinandersetzung damit lesen.
Ja, das "K" im Namen stört mich auch - eine moderne Linkspartei hat sich gefälligst von den Verbrechen der kommunistischen Diktaturen zu distanzieren -, aber de facto ist die KPÖ Graz ein Haufen von Menschen, die gerade den Ärmeren dabei helfen, nicht delogiert zu werden, Rechnungen zu zahlen und ihr Leben wieder etwas besser zu machen. Man kann kritisieren, dass jemand ideologisch dem Kommunismus nahesteht und vor allem, dass man sich diesem Namen trotz allem noch zugehörig fühlt. Aber die KPÖ wurde nicht für die reine Lehre gewählt, sondern für jahrelange soziale Arbeit, die sich bezahlt gemacht hat.
Vielleicht sagt das auch mehr über die Größe von Graz aus als über die Ideologie der Einwohner:innen. Wer es "die zweitgrößte Stadt Österreichs" nennt, spart leicht aus, dass jede Stadt in Österreich, die nicht Wien heißt, eher ein verschlafenes Kleinstädtchen ist. Und gerade Graz, das nicht einmal versucht, wie eine Großstadt auszusehen, ist da vielleicht nicht der richtige Ort für die ausländerfeindlichen Kampagnen der FPÖ oder die geplanten Riesenbauten der ÖVP, sondern eher was für den liebevollen Nachbarschaftsdienst. Kommunismus-Label aside: Mir gefällt die Rolle, die Elke Kahr da einnimmt, extrem gut.
Die NEOS tun sich schwer
Wer vermutlich davon lernen könnte, sind die NEOS in Oberösterreich, die mich für diese rhetorische Nahelegung vermutlich hassen werden. Aber anders kann ich mir nicht erklären, dass eine seriöse Partei mit seriösen Konzepten in ihrem zweiten Wahlantritt nur knapp in den oberösterreichischen Landtag einzieht, während es ein Haufen Impfgegner:innen auf Anhieb schafft, ohne irgendein nennenswertes Programm zu haben.
Aber hindsight is everything. Und so hat mir noch am Wahlabend ein Oberösterreich-Freund erzählt, dass er selbst nicht wüsste, warum man dort NEOS wählen sollte. Stimmt, dachte ich, weil ja auch Linz nicht wirklich eine Stadt ist. Er meinte aber viel mehr: "Wenn du so wirtschaftsliberal bist, dass es schon asozial ist, kannst bei uns genau so zur FPÖ gehen."
Ich glaube, die NEOS tun sich im ländlichen Bereich schwer, weil sie ein anderes Politikverständnis haben als die Durchschnittsbürger:innen. Am Land geht es nicht nur um die großen Visionen, sondern auch ums Saufen am Dorffest und ums Schimpfen am Stammtisch. So gut wie alle NEOS, die ich kenne, sind vom Habitus eher urban, weltoffen und debattieren gern über das Verhältnis zwischen Europa und China. Aber wie viele davon gehen in Dörfern wie Bad Kreuzen mit Impfgegner:innen auf ein Bier? Wie viele davon machen sich die Mühe, auch mal freundlich zu nicken, wenn ein weltfremder Kommentar kommt, weil man die Stimme braucht? Eben.
Vielleicht sagen diese ganzen Wahlen auch aus, dass es wieder Zeit ist für verlässliche Kandidat:innen. Oder für linke Politik. Man darf das alles nicht überinterpretieren, es ist auch nicht alles miteinander vergleichbar und es ist leicht, die Puzzleteile aus einzelnen Wahlergebnissen so zusammenzusetzen, dass sie das eigene Weltbild bestätigen. Aber ich glaube zumindest, dass die Jugend durchaus in eine fortschrittliche Richtung geht und dass die Wahlergebnisse vom Sonntag nicht so schlecht waren. Wenn man mal von den NEOS absieht.
Fazit
Ich meine, ich freue mich, dass die NEOS im Landtag sind. Ich würde mich auch über eine Ampelkoalition in Deutschland freuen und finde es eigentlich so gut wie nie schlecht, wenn konservative Politik abgewählt wird. Gerade Wahltendenzen von jungen Menschen machen Hoffnung, dass die Zukunft nicht so schlecht aussieht. Aber dass die CDU noch immer von so vielen Menschen gewählt wird und dass in Oberösterreich noch immer 20 % die FPÖ attraktiv finden zeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Immerhin gab es am letzten Sonntag viele Schritte in die richtige Richtung.
Schauen wir mal, ob sich dieser Trend bestätigt.