Eine Erklärung für das Klischee vom Arschloch in der Politik
Die Antwort hat mit Social Media zu tun - aber nicht so, wie ihr vielleicht denkt
Politik hat ein schlechtes Image. Durch die vielen Krisen, die uns in den letzten Jahren beschäftigen, hat die Branche an sich Vertrauen eingebüßt, und Behauptungen wie “sind eh alle gleich” werden gefühlt immer dominanter.
Das sehe ich natürlich anders. Nicht jede Partei ist korrupt - in Österreich ist es aber nunmal so, dass wir die längste Zeit nur zwei ausprobiert haben, und die dritte hat sich nicht als Glücksgriff herausgestellt. Den Grünen mag man vorwerfen, was man will, aber sie scheinen da doch zumindest höhere Standards zu haben. Aber was auf der Policy-Ebene passiert, welche Gesetze beschlossen werden, das interessiert die Leute doch nicht. Die Frage, die hinter Alltagsaussagen wie “alle gleich” liegt, ist eine einfache:
“Warum kommen solche Leute eigentlich nach oben?”
Darüber habe ich mir nach der letzten Folge der Ezra Klein Show Gedanken gemacht. Ezra Klein ist der Journalist, der Vox gegründet hat und seinen politischen Podcast heute für die New York Times macht, die so gut wie alle bekannten Journalist:innen in Amerika aufkauft. Mit dem Journalisten Sean Illing spricht er über die Rolle der Medien in der Demokratie, ich empfehle, die Folge anzuhören:
Es wäre natürlich kein Podcast-Gespräch über Politik und Medien, wenn nicht irgendwann der Name Trump fallen würde.
Das fühlt sich alleine schon intuitiv richtig an, oder? Wer darüber diskutieren will, wie Medien die Demokratie beeinflussen, kommt nicht daran vorbei, dass Facebook spätestens seit der Trump-Wahl - wahrscheinlich aber schon vorher - ein Höllenloch aus rassistischen Boomern, offensichtlichen Falschmeldungen und Spam geworden ist. Und das ist vor allem bitter, weil dieses Riesen-Netzwerk aufgrund seiner Reichweite in der zahlenmäßig stärksten demographischen Gruppe extrem relevant für den demokratischen Diskurs ist.
Die Diskussion, die Klein führt, stützt sich viel auf den Medienwissenschaftler Marshall McLuhan und seine berühmte Aussage.
“The Medium Is the Message”
Seine These war, dass man sich in der Medienwissenschaft auf die Medien selbst konzentrieren sollte, und nicht auf die Inhalte, die damit kommuniziert werden. Natürlich haben die Inhalte, die wir medial konsumieren, einen Einfluss auf uns - aber der Fakt, welche Medien wir konsumieren, eben auch. Vielleicht sogar einen noch wichtigeren.
Im Podcast macht Illing das am Beispiel Ronald Reagan fest. Als Politik nicht mehr hauptsächlich durch Zeitung und Radio vermittelt wurde, hat sich laut ihm auch geändert, was ein “guter Politiker” sein konnte - weil eben das Fernsehzeitalter angebrochen war.
And by the time we get to Reagan, he says, it’s no longer or the question is no longer, do I agree with that guy? It’s do I like him? And that’s the thing that still dominates our politics. It’s vibes and feelings and impressions. And Postman noticed that with Reagan that he was wildly popular despite people who actually when you drill down not liking his policies really at all.
And why was that? Well, it’s because they liked him on TV. And in that sense, it’s not an overstatement to say that TV changed what it even meant to be a good candidate. And therefore it changed the kinds of people who could be good candidates, the kinds of people who would even run for office in the first place.
Etwas Ähnliches erleben wir heute mit Social Media. So, wie es “Fernsehkandidat:innen” gibt - also Menschen, die gut aussehen, ein schönes Lächeln haben, perfekt gekleidet sind und im Fernsehen sympathisch rüberkommen, während sie ihre Inhalte emotional verpackt erklären -, gibt es eben auch “Social-Media-Kandidat:innen”. Also jene, deren Social-Profile ein perfektes Bild vermitteln, die wissen, wie sie eine Message verpacken, auf welchem Kanal sie wie mit welcher Zielgruppe kommunizieren. Und die wissen, wie man provoziert.
Das führt uns wieder zu Trump.
Ich glaube, er war einerseits der letzte Fernsehkandidat und gleichzeitig der zweite Social-Media-Kandidat (nach Barack Obama). Einerseits war er gerade den Älteren durch das Fernsehen bekannt und verstand diese Sprache gut. Andererseits war er auf Facebook, vor allem aber auf Twitter extrem stark. Auch, wenn wir über Trumps Tweets im Nachhinein eher lachen - emotionale Nachrichten einfach zu verpacken, und zwar so, dass es seine Zielgruppe versteht, das konnte er extrem gut.
Und das erklärt auch, warum seine Partei trotz seines Putschversuches stolz auf ihn ist und versucht, mit ihm assoziiert zu werden. Trump ist ein Prototyp dafür, wie Politik im aktuellen Medienzeitalter gemacht werden kann - und seine Leute danken ihm dafür, ihnen ein Playbook gezeigt zu haben, das (noch) funktioniert. Illing sagt dazu:
Whatever you think of how he governed, he ran rhetorically more moderately on some traditional Republican issues like taxes and entitlements and foreign policy. And some have picked that up, but many more of them have simply picked up that you can get a lot of coverage by being a jerk. And you need a lot of coverage to win.
Es geht also um den Umgang mit den “neuen” Medien.
Damit lässt sich, etwas vereinfacht, das Playbook der Republikaner zusammenfassen: Auffallen um jeden Preis, auch mit Falschmeldungen, offensichtlichen Lügen und Arschloch-Aussagen. Hauptsache es klickt, Hauptsache die Quote-Tweets kommen rein, Hauptsache die Kommentare der Gegner:innen pushen den eigenen Beitrag, Hauptsache im Gespräch bleiben.
Das geht sogar mittlerweile auf die Meta-Ebene: Die Demokraten attackieren strategisch jene Republikaner, die als “zu extrem” gelten, um gewählt zu werden. Sie werfen ihnen also absichtlich vor, “zu konservativ” zu sein - was in den Augen der Demokraten-Zielgruppe eine berechtigte Kritik ist, aber unter Republikanern das größte Kompliment überhaupt. Damit geben sie den Extremen Aufmerksamkeit, in der Hoffnung, danach gegen sie zu gewinnen. Eine Strategie, die sehr leicht nach hinten losgehen kann. Und die zeigt, dass längst alle verstanden haben: Wer auf Social Media performt, wird im aktuellen Medienzeitalter gewählt.
So erklärt sich, warum Arschlöcher nach oben kommen.
Es geht eben nicht darum, wer die besten Gesetze schreibt, wer die differenzierteste Sicht der Welt hat, wer am qualifiziertesten ist oder wer am meisten für seine Sache brennt. Sondern darum, wer Wahlen gewinnen kann - und das ist extrem stark mit Medienkompetenz verbunden.
Ähnlich wie Donald Trump wird auch Sebastian Kurz in Teilen der eigenen Partei noch nachgeweint. Nicht, weil seine Amtszeit besonders erfolgreich war, das Land besser gemacht hätte oder sonst irgendwie positiv bemerkenswert gewesen wäre. Sondern weil er gezeigt hat, wie die ÖVP, die sich als Juniorpartner jahrelang gedemütigt fühlte, wieder Wahlen gewinnen kann. Der Zug ist vorerst abgefahren - aber die Nostalgie nach “einem wie Kurz”, der Österreich vorgaukeln konnte, dass eine Partei nach über 30 Jahren an der Macht für Veränderung steht, wird ihr lange bleiben.
Kurz: In der Mediendemokratie zählt, wer Wahlen gewinnen kann. Und das kann auch alle anderen persönlichen Qualitäten überschatten.
Aber es ist nicht alles schlecht.
Medienkompetenz ist auch nicht alles. 2017 hat es ausgereicht, Kalendersprüche wie “Es ist Zeit” und “Tun, was richtig ist” zu plakatieren - aber man sieht die Konsequenz, wenn unqualifizierte Politiker:innen echte Krisen zu lösen haben. Dass Menschen wie Schramböck oder Aschbacher jemals auch nur in die Nähe der Macht gekommen sind, rächt sich jetzt.
Es sind eben nicht alle in der Politik so. Wie ich aus meinem Arbeitsalltag durchaus versichern kann, gibt es Menschen, denen es nicht nur um den Machterhalt und die Performance in Umfragen und Wahlen geht - sondern wirklich um die Sache. Man müsste sie nur wählen.
Medienkompetenz und Ehrlichkeit schließen sich nicht aus. Wer im Social-Media-Zeitalter glänzt, hat es nur leichter - aber das zieht nicht ausschließlich schlechte Menschen in die Politik.
Und mir fast am wichtigsten: Das Medium ist relevant, aber sorgt nicht dafür, dass Inhalte obsolet werden. Inhalt in der Politik ist wichtig. Achtet also nicht nur auf die mediale Kompetenz, sondern auch darauf, wie sich Politiker:innen inhaltlich anstrengen.
Noch mehr Lesestoff
⚫ Dieses Land ist schwarz. Und wird es lange bleiben. Ich stimme Armin Thurnher selten zu uns lese ihn oft eher, um mich zu ärgern - aber in diesem Artikel stimme ich ihm zu. Der Herausgeber des Falter beschreibt, wie sich die ÖVP in ihren gefühlt 300 Jahren an der Macht in jede Amtsstube eingeschlichen hat.
Das Land ist schwarz, türkis, schlammfarben, wie man will. Aber monocolor, einfarbig, eintönig. Das bewirkt auch eine negative Selektion. Wer von vornherein weiß, er gehört nicht dazu und hat keine Chance im öffentlichen Sektor, der wird sich auch nicht um eine Karriere dort bemühen. Was einst Proporz hieß, lähmende rot-schwarze Umklammerung von allem, ist mittlerweile ums Rot gekürzt. Allerdings vermisse ich die Litaneien in den Zeitungen, wie sie über die rotschwarze Koalition abgesungen wurden, Stillstand, Lähmung, Weltschmerz, unerträgliches gegenseitiges Blockieren. Was hat sich denn geändert? Nichts, außer dass die Qualifikation der Regierenden drastisch gesunken und der Frechheitsgrad ihrer Korruption drastisch gestiegen ist. Österreich ist schwarz, das bedeutet auch, die Macht ist unverschämter geworden; ja, das kann man steigern.