So. Erstmal darüber geschlafen.
Ich finde nichts schlimmer, als wenn sich Leute sofort überlegen, was eine Katastrophe wie der Terroranschlag in Wien mit ihnen zu tun hat. Darum hab ich auch überlegt, ob ich überhaupt etwas dazu schreiben soll. Die wesentlichen Dinge hab ich bereits auf Twitter festgehalten - und einen Text, um einen Text darüber zu haben, wollte ich nicht schreiben.
Dann hab ich überlegt. Und eigentlich hab ich an diesem Abend was gelernt. Also will ich keinen “darum geht’s dabei um mich”-Text schreiben und nicht extra ausführen, dass es mir genau so scheiße wie euch allen gegangen ist. Hier geht’s jetzt um den medialen Umgang mit dem Anschlag und einer neuen Erzählung - denn die Terroristen haben nicht gewonnen.
Terroristen “weaponizen” Medien
Die stärkste Waffe von Terroristen sind nicht Maschinengewehre, sondern Medien. Gerade in den Jahren ab 2014, als der IS weltweit für Schlagzeilen sorgte und mehrere brutale Anschläge verübte, war die Medialisierung für ein wichtiger Teil seiner Strategie.
Wir alle können uns erinnern an den 11. November 2015, als im Bataclan-Theater in Paris Menschen ermordet wurden. In einem Live-Ticker konnte ich mitverfolgen, dass einer nach dem anderen umgebracht wurde. Schritt für Schritt, damit die Spannung steigt und alle mitlesen können. Das ist Terror. Das ist Horror. Das sind die Momente, die uns unter die Haut gehen und noch Jahre in Erinnerung bleiben.
Das Versagen von Medien hilft Terroristen
Da WhatsApp schneller ist als traditionelle Medien, gab es sofort Gerüchte und sofort erste Schlüsse. Ein Anschlag am Schwedenplatz musste quasi bedeuten, dass eine Synagoge angegriffen wird. Am Ende war es anders: Die Täter haben eben nicht eine Religion attackiert. Und anders als bei den meisten Terroranschlägen ist dieser geradezu stümperhaft inszeniert. Keine Videos, keine Drohung, kein Bekennerschreiben, keine großen “Erfolge” für die Terroristen. Ihr einziger Lichtblick war, dass sich ein Medium gefunden hat, das Überwachungsvideos des ersten Mordes veröffentlicht, weil journalistische Ethik dort abgeschafft ist.
Dieses Video hat mich ziemlich verstört zurückgelassen. Aber damit haben die Terroristen auch schon ihren einzigen Sieg. Sie greifen bewusst keine Politiker an, keine kritische Infrastruktur. Sondern einfach nur Menschen, die am letzten Tag vor dem Lockdown einen netten Abend mit Freunden verbringen wollen. Das ist ein Angriff auf unsere Freiheit, unsere Lebensweise, unsere Kultur und den Spaß am Leben. Und das sollten wir uns nicht nehmen lassen - auch nicht durch verstörende Bilder, die nur furchtbare Sender veröffentlichen.
Eine neue Erzählung
Ich hab auch keine Ahnung, wie wir das Terrorismus-Problem lösen oder wie wir jetzt weiter tun sollen. Aber ich glaube, ein guter Anfang ist, wenn wir die Geschichte richtig erzählen. Nämlich nicht so, dass die Terroristen gewonnen haben und wir Angst haben müssen. Vielleicht eher so:
Am 2. November 2020 hat ein schwer bewaffneter Terrorist versucht, so viel Angst und Schrecken zu verbreiten wie möglich. Trotz Sturmgewehren, die unglaublich effizient töten können, ist die Zahl der Todesopfer niedrig. Ein Wiener Anrainer, der ihm stellvertretend für uns alle sagte, was das ganze Land von ihm denkt: “Schleich di, du Oaschloch.” Das und die Polizeisirenen waren das Letzte, was er hören konnte, bevor er erschossen wurde. Zwischen dem ersten Mord am Schwedenplatz und dem Tod des Attentäters lagen etwa neun Minuten.