Wollt ihr ein Argument für politische Diskussionen hören, das mich wahnsinnig macht? „Es könnte alles schlimmer sein.“
Ich reagiere ziemlich allergisch darauf, wenn man eine politische Forderung mit diesem Thema abwürgen will. Ja, Österreich ist ein gutes Land, vor allem, wenn man den Vergleich mit anderen Ländern sucht. Aber immer, wenn jemand diesen Punkt bringt und damit die Diskussion mit „Ich gebe mich mit weniger zufrieden“ abkürzen will, fühle ich mich ein bisschen wie ein trotziges Kind in einem Cartoon:
Ich bin ja auch nur noch relativ jung, ewig kann ich das Argument nicht mehr bringen. Aber jung genug, um zu sagen, dass dieses Kind absolut recht hat: Ja, wir könnten es einfach besser haben.
Was mich darauf gebracht hat, waren einerseits Diskussionen in den Feiertagen, anderseits aber auch eine neue Serie im Falter-Morgen-Newsletter. Dort formulieren gerade unterschiedlichste Leute ihre Vision für Österreich in zehn Jahren. Ich mag die Richtung, weil zehn Jahre doch ein Timeframe sind, in dem Zeit für echte Visionen bleibt – anders als bei den Neujahrsausblicken, in denen es eigentlich nur um kleine Schritte geht. Und um die Angst, dass es schlechter werden könnte.
Was könnte also alles besser werden?
Ich dachte also, um mal wieder etwas Positives in diesen Newsletter zu bringen – ich bekomme auch das Feedback, dass ich etwas zu viel Climate Grief einbringe –, gibt’s heute einmal einen Überblick über Dinge, die nicht nur besser sein könnten, sondern auch absolut realistisch sind.
Bildung: Jüngere Lehrkräfte sind besser an die digitalisierte Welt angepasst – und können ihre Schüler:innen damit besser auf das Leben vorbereiten. Gerade bei jüngeren sind Berufe, die Sinn geben, immer beliebter, demnach bin ich optimistisch, dass da viele Menschen das Glück wie ich haben, den ein oder die andere engagierte:n Lehrer:in zu erwischen. Jetzt bräuchte es nur noch einen besseren Lehrplan – ein Gesetz dazu ist in Begutachtung, aber der Lehrplan kann eigentlich jederzeit weiterentwickelt werden. Durch mehr Autonomie könnten Schulen frei ihre eigenen Konzepte wählen und die Jugend nicht nur auf die Zentralmatura vorbereiten, sondern auf die Bereiche, die sie interessieren. Es wird auch spannend, wie AI unser Bildungssystem zum Positiven verändern kann.
Aufstiegsversprechen: Österreichs Wirtschaft ist einer der politischen Bereiche, die trotz Politik eigentlich „eh gut“ laufen. Kaum ein Land hat so viele Weltmarktführer per capita wie Österreich, es gibt überall „hidden champions“, durch die EU haben wir eine starke Position im Welthandel. Wenn wir jetzt noch die Steuern und Abgaben auf Arbeit senken würden, wäre dem Standort sehr gut getan. Und wenn wir uns ehrlich sind, ist so gut wie jede Steuer gerechter als eine zu hohe Steuer auf Arbeit – denn nur dadurch kann man sich etwas aufbauen. Man könnte aber auch die Grunderwerbssteuer für Junge streichen oder herabsetzen, damit Eigentum wieder leistbar wird.
Gesundheit: Obwohl immer vom „Ärztemangel“ gesprochen wird, habe ich kürzlich gelernt: Es gibt gar keinen. Pro Kopf haben wir sogar so viele Ärzte wie kaum ein anderes Land. Das Blöde ist nur, dass die meisten privat sind, weil sich Kassenplätze kaum lohnen – wir haben in der Materie darüber geschrieben. Wie Gesundheit in Österreich finanziert wird (teilweise über die Länder, teilweise über die Sozialversicherungen, teilweise über den Bund) ist ineffizient und komplett aus der Zeit gefallen, Probleme werden hin und her geschoben. Das Gute ist aber, dass man so mit wenigen Strukturreformen viel erreichen könnte. Und weil das Thema für viele immer drängender wird - #Bevölkerungspyramide -, wird da auch sicher der politische Druck entstehen, den es braucht, um das umzusetzen.
Transparenz: Durch den Sumpf, in dem die ÖVP gerade versinkt, gäbe es ein „window of opportunity“. Entweder die Grünen setzen sich koalitionsintern durch und es gibt zumindest ein Informationsfreiheitsgesetz - das ist das eher unwahrscheinliche Szenario -, oder es könnte eine Koalition kommen, die da Fortschritte macht. Dazu gehören die Abschaffung des Amtsgeheimnis, Nachschärfungen bei der Parteienfinanzierung und eben das Recht auf Auskunft, vor allem von Ministerien, Behörden und Ländern. Auch, wenn mich jeder Tag nervt, an dem vor allem die vermeintlichen Großparteien mit Korruption davonkommen: Ich bin sehr optimistisch, dass eine große Mehrheit der Bürger:innen mehr Transparenz einfordert und dass die Zeit gekommen ist, hier Maßnahmen zu setzen.
Klima: Wir haben die Technologien, die wir brauchen, um klimaneutral zu werden: Solar-, Wind-, Wasserkraft und Geothermie. Wenn es nach mir geht, gerne auch Atomkraft, aber Österreich wird die Energiewende wohl auch ohne schaffen. Es ist eine absolut realistische Zukunftsvision, dass in den Städten der öffentliche Verkehr den Großteil der Mobilität ausmacht – der Rest fährt elektrisch. Und wer am Land lebt, kann den Strom für das Auto aus der eigenen Photovoltaik-Anlage gewinnen und es doppelt geil haben. Im Endeffekt wird das Leben für niemanden schlechter, wenn wir uns umstellen.
Woher der Optimismus?
Rund um Weihnachten habe ich viele Diskussionen darüber geführt, warum junge Menschen nicht mehr arbeiten und warum „die Jungen“ so pessimistisch sind. Spoiler: Weil man sich vom Unterschied zwischen Voll- und Teilzeit kein Eigentum und kein Familienleben ohne enorme Abstriche leisten kann, und weil wir (anders als unsere Eltern und Großeltern) die Folgen der Klimakrise noch ausbaden müssen. Da ist es leicht, pessimistisch zu werden.
Das darf aber nicht bedeuten, zynisch zu werden und alles scheiße zu finden. Und gerade als jemand, der jetzt besonders viel mit Politik zu tun hat, bin ich da selbst in Gefahr. Trotzdem nehme ich mir vor, optimistisch zu sein. Ich will lieber sehen, was möglich ist, statt mich mit dem zufrieden zu geben, was wir schon haben. Nur so ist Veränderung möglich - und „Doomism“ ist im Endeffekt auch nur eine Strategie, dagegenzuarbeiten.
Ich glaube, dass all die oben angeführten Dinge realistisch sind und früher oder später passieren werden, weil ich trotz allen Suderns immer noch ein großer Fan der Demokratie und unseres politischen Systems bin. Ja, die ÖVP hat sich eingenistet, als würde ihr der Staat gehören, und ja, es gibt strukturellen Machtmissbrauch – aber all das kann durch Machtwechsel und politischen Druck geändert werden, und die Bevölkerung hat etwas mitzureden. Demokratien sind langsam, aber dafür können sie ihre Fehler korrigieren.
Insofern: Stay positive!
Noch mehr Lesestoff
🎙️ Okay, das war gelogen. Doch nicht zum Lesen, aber zum Hören: Im Materie-Podcast habe ich mich mit dem Klimawissenschaftler Reinhard Steurer unterhalten. Wenn ich Feedback für den Podcast bekomme, dann meistens Positives, aber für diese Folge hab ich besonders viel praise bekommen (was mich jedes Mal ehrlich freut). Wir reden über „Schein-Klimaschutz“: Also über Politiker:innen, die nur so tun, als würden sie etwas fürs Klima tun, aber eigentlich blockieren, weil es bequemer ist. Aber eigentlich quatschen wir über alle Absurditäten unseres Klima-Diskurses. Und die happy Nachricht: Es ist noch nicht zu spät. Hört doch mal rein:
🛩️ Die FPÖ hat eines ihrer Hobbys wiederentdeckt: Sich mit Autoritären im Ausland anfreunden. Nachdem der Freundschaftsvertrag mit Russland immer noch aufrecht ist - er wurde automatisch verlängert -, war eine FPÖ-Delegation inklusive Gerald Grosz jetzt auch auf einer Konferenz in den USA, wo sie sich mit QAnon-Verschwörungsanhängern getroffen haben. Vielleicht dürfen wir also bald noch wahnsinnigere Tweets von Harald Vilimsky erwarten.
Stuff von Twitter
Und ja, das hier ist ein Screenshot von Mastodon, aber er ist gut und ich mach jetzt sicher keine eigene Rubrik nur dafür.