Und täglich grüßt das Murmeltier: Die Corona-Zahlen steigen. Was für Geimpfte kein Problem wäre, würden wir nicht gerade Operationen verschieben. So sehr ich mir das wünschen würde - aber Sebastian Kurz’ Versprechen, dass die Pandemie für Geimpfte vorbei ist, wurde damit gebrochen: Die Minderheit der Impfgegner:innen bestimmt für die Mehrheit, dass es keinen Platz im Krankenhaus gibt. Das ist nicht die Freiheit, die ich mir vorgestellt hab.
Aber immerhin hat die Regierung neue Maßnahmen beschlossen, um die Situation in den Griff zu bekommen … oder?
Das Problem mit den neuen Maßnahmen
Das Grundproblem unseres Plans gegen die Freiwilligenwelle ist, dass wie immer alles auf “Eigenverantwortung” und Goodwill beruht. Was nach anderthalb Jahren Erfahrung damit, wie egal den Österreicher:innen alles ist, wirklich bemerkenswert ist. Schauen wir uns die einzelnen Punkte gleich an:
Maßnahme: Antigen-Tests sind nur noch 24 Stunden gültig, davor waren es 48 Stunden.
Problem: Antigen-Tests werden - z. B. in der Gastronomie - selten bis gar nicht kontrolliert, wobei es da durchaus regionale Unterschiede geben dürfte.
Maßnahme: Dort, wo bislang der normale Mund-Nasen-Schutz verpflichtend war, ist jetzt wieder die FFP2-Maske zurück.
Problem: Menschen wissen nach wie vor nicht, dass ein Mund-Nasen-Schutz über Mund und Nase gehört, und es gibt keine Sanktionen, wenn man sie falsch aufsetzt.
Maßnahme: Dort, wo bis jetzt keine Maskenpflicht mehr galt, ist für Ungeimpfte eine FFP2-Maske verpflichtend. Das gilt z. B. für den Handel, Büchereien, Museen oder sonstige Kultureinrichtungen.
Problem: Gleichzeitig gilt eine “Empfehlung”, dass auch Geimpfte eine FFP2-Maske tragen sollen. Somit wird die eine Gruppe, die bereits vernünftige Entscheidungen trifft, freiwillig eine FFP2-Maske tragen - während die andere Gruppe, die sich der Vernunft konsequent verweigert, einfach “geimpft” sagen kann, ohne kontrolliert zu werden.
Man sieht: Die Regierung hat eine ungefähre Idee davon, wie Maßnahmen aussehen könnten, aber traut sich dann nie, sie wirklich umzusetzen.
Wer hat Angst vor dem Backlash?
Das Problem der freiwilligen Kontrollen ist nur: Wer die “Möglichkeit” nutzt, den Impfstatus der eigenen Kund:innen zu erfragen, setzt sich enormer Kritik aus. Ob es nur die üblichen aufmüpfigen Leute sind, die nach anderthalb Jahren Pandemie immer noch nicht einsehen, dass der Schutz der Mitarbeiter:innen wichtig ist, oder koordinierte Aktionen von Impfgegner:innen über Telegram und Co. Das alles kostet Zeit und Nerven - und am Ende müssen Unternehmer:innen abwägen, ob sie von ihren Mitarbeiter:innen verlangen, sich diesem Druck auszusetzen, oder die Gesundheit der eigenen Belegschaft zu riskieren. Eine Abwägung ohne gute Option.
Ein Grund, der da immer noch mitspielt, ist wohl die Landtagswahl in Oberösterreich am 26. September. Man sagt zwar immer, dass Landes- und Bundeswahlen zwei verschiedene Paar Schuhe sind - de facto geht es für die ÖVP trotzdem gerade darum, möglichst viele FPÖ-Wähler:innen zu gewinnen. (Dieselbe FPÖ, die übrigens gerade 1:1 einen Spot der SPD aus dem Jahr 1998 kopiert hat - passt nicht ganz zum Thema, aber ich hab zuletzt das Feedback bekommen, dass diese random Twitter-Geschichten in letzter Zeit fehlen.)
Warum schielt die ÖVP auf FPÖ-Wähler:innen, obwohl wir durch Corona ohnehin polarisiert gibt und es keine Schnittmenge mehr zwischen den beiden Parteien zu geben scheint? Weil es die erste Wahl von Landeshauptmann Thomas Stelzer ist - und die erste Wahl in Oberösterreich seit Ibiza. Jetzt den Konflikt mit der Bubble der Impfgegner:innen zu suchen, ist wahltaktisch nicht g’scheit. Aber es wäre das, was Sebastian Kurz im Wahlkampf 2017 versprochen hat.
Wenn die Corona-Regeln nur auf Goodwill und Eigenverantwortung beruhen, sind sie de facto eine Totgeburt. Niemand will sich mit Impfgegner:innen anlegen, da sie eine laute Gruppe sind, die immer noch nur knapp die Minderheit ausmacht - und der Staat hätte die Verantwortung, den Unternehmer:innen den Rücken freizuhalten und klare Regeln zu schaffen.
Der Einzelne, der die richtige Entscheidung trifft, darf nicht am Ende das Problem haben - smarte Corona-Regeln würden hier einen Rahmen schaffen, der Unternehmen ermöglicht, sich auf die aktuelle Rechtslage rauszureden, um sowohl die eigene Reputation als auch ihre Mitarbeiter:innen zu schützen. Stattdessen begeht die ÖVP Schadensbegrenzung aus einer Mischung aus Wahltaktik und mangelndem Mut, und die Grünen unterstützen sie nach wie vor dabei.
Es ist absehbar, dass es im Herbst und Winter zu einer sehr starken Coronawelle kommen wird, die hauptsächlich Menschen betrifft, die die Möglichkeit hatten, sich zu schützen. Die Regierung hat nicht nur zu wenig getan, um diese Menschen zu erreichen, sondern tut auch jetzt nicht genug, um sie zu schützen. Es gibt nur ein Szenario, das jetzt noch möglich ist: Let It Rip.
Wenn ihr das lest, lieg ich schon in Zypern am Pool oder Strand und erhol mich von einer wahnsinnigen Arbeitswoche und einer wahnsinnigen Innenpolitik. Ich melde mich gegen Ende des Monats wieder. Bis dann,