Nennt mich paranoid, aber mir kommt vor, es wird stiller im öffentlichen Diskurs.
Und nein, keine Sorge, das wird jetzt kein „Man darf ja gar nichts mehr sagen“-Text. Dieses Genre wurde ja von diversen Chefredakteuren des Landes perfektioniert, und während merkwürdige und wissenschaftsfeindliche Meinungen quasi den Mainstream des Landes ausmachen, tut man gerne so, als wäre jede abstruse Forderung aus dem Powi-Institut in Wien ein neuer Angriff auf die Leitkultur. It’s not about that.
Ich glaube nämlich eigentlich, dass man vieles sagen darf und dass die Bestrafung dafür, tendenziell grausige Meinungen zu äußern, in Österreich sehr glimpflich ausfällt. Wenn man nicht gerade im Medienbereich arbeitet, kann man mittlerweile relativ unverblümt die Morde der Hamas bejubeln und Israel den Tod wünschen - und gefühlt passiert deswegen genau gar nichts.
Außer dass ich mich dabei ertappe, vorsichtig zu werden.
Denn natürlich habe auch ich eine Meinung zum Nahost-Konflikt. Ein wesentlicher Kernpfeiler dazu ist aber, dass ich respektiere, dass er quasi die Champions League der Internationalen Beziehungen ist, und dass ich mir deshalb nicht anmaße, eine Lösung anzubieten, die für alle Seiten angesichts aller Faktoren passen würde.
Aber ich habe doch ein paar Einzelmeinungen, die sich weder die eine noch in die andere Extremposition einordnen lassen. Und mittlerweile ist das ja unser gewöhnlicher Modus, oder? Entweder du bist Pro Israel, oder du bist Pro Palästina.
Meine Graustufen-Meinung ist etwa, dass Israel existieren darf. Ja, das muss man anscheinend extra betonen, denn manche denken nicht so. Und wenn man diese Meinung teilt, ist es auch nur logisch, dass man den Terrorismus verurteilt und einen Gegenschlag respektiert. Die Sicherheit zu schützen ist eine Uraufgabe eines jeden Staates – und wenn Österreich angegriffen wird, würde jeder einsehen, dass wir uns wehren. It’s simple as that.
Aber das schließt nicht aus, Empathie gegenüber den Zivilisten zu haben, die in Palästina unter den Folgen ihrer Regierung und der israelischen Luftschläge leiden. Mir tun die Leute leid, auch in Friedenszeiten - denn die terroristische Gruppierung, die dort die politische Macht hat, tut nichts für sie und lässt ihnen nichts als Armut, ohne die Möglichkeit, mitzubestimmen.
Ihr Leid ist furchtbar, aber ich fühle auch mit den Israelis, die mit den Massakern Anfang des Monats ihr persönliches 9/11 erleben mussten. Gerade für ein Volk, das diesen Staat explizit gegründet hat, weil es permanent der Verfolgung und Ermordung ausgesetzt war, ist das eine besondere Tragödie.
Und ich verstehe auch, dass Israel sich wehrt. Wir wissen nicht erst seit Oktober, dass die Hamas sich gerne in Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingslagern versteckt, um dann den Finger zu heben, wenn Israel sie genau dort attackiert, wo sie sitzen. Logisch ist, dass im Krieg das Völkerrecht eingehalten, die Zivilbevölkerung geschützt werden soll. Darum kann man genau hinschauen, wie Israel sich wehrt - aber dass es zurückschlägt, ist verständlich.
Diese Meinung ist für mich schlüssig. Aber nicht für alle.
Denn auf beiden Seiten gibt es Menschen, die eine Extremposition verlangen.
Für manche ist Mitleid mit der Zivilbevölkerung im Gaza eine Verniedlichung der Terroranschläge. Für mich nicht. Und wieder andere sehen Solidarität mit Israel und einen dringenden Verweis auf „Nie wieder“ als westliche Heuchelei. Ich nicht.
Die anderen Leute, die Extreme, die sind aber lauter. Sie dominieren dieser Tage in Wien die Straßen, und immer wieder muss man sich die traurige Frage stellen, wie sehr Palästina und die Hamas mittlerweile als Entität gesehen wären. Ich habe den Eindruck, dass viele sich nur gegen die Gewalt von Israel richten, aber die Hamas bewusst ausschweigen. Im besten Fall, weil es einfach logisch ist, dass Palästina mehr als diese Terrorgruppe ist. Im schlimmsten Fall, weil die Verbrechen gut geheißen werden.
Und darum erwische ich mich dabei, leise zu werden. Wenn gewaltbereite Araber mit einem Verweis auf den Kampf der Palästinenser im Internet zur Gewalt aufrufen, werde ich ängstlicher. Und wenn ich am nächsten Tag ein Video aus meiner Gegend sehe, bei der die Polizei jemanden anschreit, er solle die Waffe niederlegen, halte ich es überhaupt nicht mehr aus.
Als wäre das nicht genug, gibt es gleichzeitig noch einen medialen Diskurs. Und der ist in Österreich – sinnvoller- und verständlicherweise, wie ich anmerken muss – sehr schnell solidarisch mit Israel. Das ist nicht nur unserer historischen Verantwortung geschuldet, sondern auch sonst einfach erklärbar: Dem Angegriffenen gilt das Beileid, nicht dem Angreifer.
Das macht die Beurteilung schwierig, wenn der Angreifer eine illegitime Regierung ist, die behauptet, für ein Volk zu sprechen. Denn ich glaube nicht, dass die palästinensische Bevölkerung zu 100 % pro Hamas ist. In Diktaturen bekommt man in der Regel mit, warum es einem nicht so gut geht, und bisher war noch kein Propaganda-Aufwand in diese Richtung erfolgreich genug, ein autoritäres System auf Dauer zu erhalten. Darum glaube ich, dass die Empathie nicht ganz untergehen sollte – sie richtet sich nicht an Terroristen.
Wahrscheinlich tu nicht nur ich mir schwer damit, so eine Position zu finden und zu artikulieren.
Immerhin wurden pro-palästinensische Demos sehr schnell als „Pro-Hamas-Demos“ betitelt. Ich unterstütze diese Demonstrationen nicht, aber in den diversen Straßeninterviews, die von verschiedenen Medien durchgeführt wurden, sieht man auch viele, die offensichtlich nicht deswegen da sind. Vielen glaube ich, dass es ihnen um die Situation der Menschen in Gaza geht. Und dass sie nicht mitgehen, weil sie Juden hassen.
Auf der anderen Seite hört man im verschwörungs-affinen Milieu – manchmal habe ich den Eindruck, es ist in Österreich bereits eine Mehrheit – schnell und erwartbar, dass die Medien gesteuert wären und dass der Westen da eine Kampagne fahre. Ich sage nicht, dass da keiner ein Interesse dran haben könnte: Aber ist es wirklich so schwer vorstellbar, dass ein Volk sich gegen einen Terrorattentat verteidigt, und dass es das auch darf?
Und so geht es mit mit vielen Talking Points, die in den letzten Wochen in unserem öffentlichen Diskurs herumschwirren. Ist die Palästina-Flagge jetzt schon ein Pro-Hamas-Symbol? Darf man die israelische Regierung noch kritisieren, ohne dass es in ein „Ja, aber“ ausartet, das wir wirklich nicht brauchen? Ist ein Verweis auf den historischen Kontext eine Verharmlosung, oder nicht eher dringend notwendig für eine seriöse Debatte?
Ich habe für all diese Themen keine Antwort im Sinne einer gültigen, anwendbaren Handlungsempfehlung. Aber ich habe eine Meinung dazu. Da die Graustufen in unserem medialen Diskurs aber nicht unbedingt verstärkt nachgefragt werden, komme ich mir damit oft ziemlich alleine vor. Und überlege 10x, bevor ich im Gruppenchat mitchatte, wenn es um den Nahost-Konflikt geht.
Die öffentliche Debatte leidet darunter.
Auf der einen Seite ist also das Risiko, dass wir viele Menschen in unserer Gesellschaft haben, die Hamas-Verbrechen dulden, befürworten oder sogar selbst aktiv werden wollen. Auf der anderen steht ein polit-medialer Komplex, der so deutlich pro-israelisch ist, dass Empathie zur Gegenseite umgedeutet wird. Und so denke ich mir, jede Positionierung ist falsch. Und lasse es ganz sein.
Zumindest war das mein Reflex. Bis ich diesen Text dann doch geschrieben habe. Auch, wenn ich überlegt habe. Aber ganz abseits dessen, was man über Israel und Palästina denkt, kann man doch hoffentlich quer über alle Seiten feststellen: In so einem öffentlichen Diskurs riskieren wir, dass viele Menschen deutlich leiser werden als vorher.
Leise sein ist aber nicht meins. Ich glaube, man kann das Leid der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten betonen. Und klar, es gibt immer noch einen Bösen: Die Hamas. Aber diese Tatsache sprengt nicht alle Grenzen. Und sie zwingt mich nicht dazu, ein Volk mit einer Regierung zu vermischen.
Ich fürchte jedenfalls, dass die österreichische Debatte um den Nahost-Konflikt wieder mal gnadenlos unsere Schwächen offenlegt. Wir ordnen uns in eine Polarisierung ein, die der Komplexität der Realität nicht gerecht wird. Und zwar nur deshalb, weil die Extreme wirklich daran glauben und der Rest der Gesellschaft nicht die Kapazitäten in Anspruch nehmen will, sich den Graustufen der Wirklichkeit zu stellen.
Darum schreibe ich trotzdem, obwohl es mir mit diesem Diskurs scheiße geht, einige einfache Wahrheiten auf: Die Hamas ist böse. Ihre Taten sind durch nichts zu entschuldigen. Weder die Bevölkerung in Israel noch in Gaza vertritt zu 100 % die Linie ihrer Hardliner oder ihrer Regierung. Im Krieg braucht es Regeln und Bemühungen, um das Leid der Zivilisten möglichst gering zu halten. Diese Meinungen gehen sich gemeinsam aus. Denn Schwarz-Weiß-Denken bringt uns nicht weiter.
Noch mehr Lesestoff
🥳 Ein Rückblick anlässlich 10 Jahre NEOS im Parlament. Ich finde, vor allem die Agenda-Setting-Erfolge haben Österreich genutzt. Aber auch sonst war der Klub recht fleißig. Da darf man schon mal feiern. Am Nationalfeiertag bin ich übrigens beim Tag der offenen Tür im Parlament am NEOS-Stand in der Säulenhalle. Schaut vorbei und sagt Hi!
🤪 Die deutsche Energiepolitik ist crazy. Kollege Michael López fasst in der Materie zusammen: Eventuell war es keine gute Idee, sichere Atomkraftwerke abzuschalten, um dafür wieder auf Kohle und Gas umzusteigen. Ich glaube, dass gerade die Grünen darauf beharrt haben, wird als großer Fehler in die Geschichte eingehen.
Stuff aus dem Internet
Ein gutes Klimawandel-Meme.
Ich weiß, das ist jetzt sicher eher nischig, aber „Klimawandel-Galgenhumor“ wird mehr und mehr zum eigenen Genre. Zumindest in meinen Feeds.
Polizei Wien on FIRE
Pro-Hamas-Twitter in a nutshell.
Bei jedem neuen Konflikt der beste Tweet von US-Amerikanern.
Die FPÖ arbeitet wieder mit Verschwörungstheorien.
Ein Symbolbild aus der letzten Nationalratssitzung, wo der Abgeordnete Hauser vor dem „World Economic Forum“ und dem „Great Reset“ gewarnt hat. Komplett weg von der Realität.