Ich hab keine Lust mehr auf „Europa, ja aber“
Die Ja-Aber-Fraktion dominiert unseren Diskurs – und liegt völlig falsch
Die EU-Wahl steht an, und das ist eine gute Zeit, über das Wort „pro-europäisch“ nachzudenken. Man könnte es ja auch nur „europäisch“ nennen, aber in Österreich ist das eben nicht unbedingt der Mainstream.
Zwar geben sich alle Parteien als pro EU - sogar die FPÖ, kurz nachdem sie zum wiederholten Male mit dem Öxit zündelt -, aber de facto sieht man das in der Politik und Rhetorik eher selten.
Bevor ihr jetzt denkt, das ist eine Wahlkampf-Werbeeinschaltung: Ist es nicht, zumindest nicht nur. Aber natürlich schreibe ich das vom Standpunkt aus einer Partei heraus, die sich als einzig pro-europäische versteht. Und ich glaube, dass dieses Urteil fair ist, wenn man sich anschaut, wie andere Parteien über Europa reden und/oder in Brüssel und Straßburg Politik machen.
Das sind die „Ja, aber“ Europäer
Denn pro Europa zu sein, das ist in Österreich schwierig. Es gibt zwar nur zwei EU-Länder, die von ihrem Beitritt noch mehr profitiert haben, und etwa 15 % der Jobs in Österreich hängen direkt von der Europäischen Union ab, aber das ist den Österreichern egal. Über Stammtischparolen geht unser politischer Diskurs generell selten hinaus. Gerade beim Thema EU, wo sich eine unheilige Allianz gegen „Brüssel“ gebildet hat.
Es sind nämlich nicht nur „die Politiker“ – löbliche Ausnahmen gibt es in fast allen Parteien –, sondern auch andere, die von der Pro-EU-Stimmung profitieren. Der Spar-Konzern etwa wettert gegen Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, als großer Inseratenkunde der „Kronen Zeitung“ gestaltet er die Berichterstattung zum Thema stark mit, vor allem in Salzburg. (Der Unterschied zwischen der Krone und der Krone Salzburg in Berührungspunkten mit Spar wäre übrigens mal eine Untersuchung wert.)
Das trifft den ganzen Boulevard: „Brüssel“ ist ein nützlicher Reibebaum. Was „die Politiker da drüben“ schon wieder aufführen, ist eine gute Headline, weil es ein unbekannter Fremder ist, und das hasst der Österreicher. Dass „die EU“ aus dem EU-Parlament (mit gewählten Österreichern), dem EU-Rat (mit unserer gewählten Regierung) und der EU-Kommission (die von unserer gewählten Regierung beschickt wird) besteht, ignorieren wir: Das hat zwar fundamental mit uns zu tun, aber im öffentlichen Narrativ überhaupt nicht.
Das macht es schwer, offensiv pro-europäisch zu sein.
Denn auch, wenn der EU-Beitritt unzählige Vorteile hat: Was bringt es, diese sinnvolle Meinung zu vertreten, wenn es niemand hören will? Wie andere sinnvolle Vorschläge – etwa europäische Verteidigungspolitik, den Einsatz von Gentechnik oder den Kampf gegen Homöopathie –, bleibt das am Ende ein Nischenprogramm, das dann wie so oft an NEOS hängen bleibt.
Die FPÖ fordert seit Strache-Zeiten immer wieder den EU-Austritt, um dann sofort zurückzurudern und ihr „die EU von innen verändern“ Narrativ zu verfolgen. Im EU-Parlament arbeitet sie aber nicht nur konsequent mit anderen Anti-Europäern zusammen, sondern verhindert gemeinsame Lösungen in den Bereichen, die ihr angeblich wichtig sind, vor allem beim Thema Migration.
Die ÖVP wiederum versucht alle fünf Jahre ihr Uralt-Image als „Europapartei“ aufzuwärmen, nachdem sie davor ununterbrochen alles, was im Land schiefgeht, auf Brüssel geschoben hat. Sie führt Symboldebatten wie ums Bargeld – das übrigens durch die EU gesichert ist und niemand verbieten will – und macht den Kampf für den Verbrenner zur Hauptforderung. Mit einer Weiterentwicklung der Union, europäischer Zusammenarbeit oder auch nur konstruktiver Art will sie nichts zu tun haben. Siehe Schengen-Veto gegen Rumänien und Bulgarien.
Die SPÖ versucht auch, sich als „pro-europäisch“ darzustellen, obwohl ihr eigener Parteichef sie noch vor wenigen Jahren als „imperialistisches Projekt“ und „schlimmer als die NATO“ bezeichnet hat. Das Framing, das sie für die Europäische Union findet, ist ein Europa der Konzerne, obwohl die EU gerade für Konsumenten besonders viel tut. Konzerne kritisieren eher Überregulierung, und das teilweise auch zurecht. Inhaltlich fällt ihr außer „wir sind neutral“ nichts ein. Und was das bedeutet? Weiß sie wahrscheinlich selbst nicht, aber die Zielgruppe (80+) geht dadurch verlässlich zur Wahl.
Die Grünen sind manchmal die löbliche Ausnahme. Historisch waren sie zwar anfangs EU-kritisch, aber mittlerweile ist das eine kleine Nische, die keine große Rolle spielen dürfte. An ihnen habe ich mehr eine inhaltliche Kritik: Auf EU-Ebene stellen sie sich zu oft gegen sinnvolle wissenschaftliche Vorschläge. Wenn etwa Polen von Braunkohle – dem Klimakiller schlechthin – auf Atomkraft umsteigen will, erwarte ich mir, dass unsere Umweltministerin nicht blockiert, wenn Polen seine CO2-Bilanz retten will. Und auch der Einsatz sicherer Gentechnik wie CRISPR in der Landwirtschaft, wo man Nahrungsmittel fit für Klimaveränderungen machen kann, blockieren die Grünen nach wie vor.
So richtig excited ist über Europa aber keine Partei – außer eben NEOS. Und das, obwohl gerade junge Menschen sehr deutlich sehen, was sie an der Union haben und dass ein Austritt einem Programm für Massenverwahrlosung gleichen würde. Die Macht des Boulevards, des Stammtischs, der FPÖ und mächtiger Lobbygruppen ist zu stark. Ich bezweifle nicht, dass es auch bei SPÖ, ÖVP und Grünen überzeugte Pro-Europäer gibt, die das verstehen. Aber so richtig aus der Deckung trauen sie sich nicht.
Dadurch landen wir in einer Spirale.
Wenn sich niemand traut, positiv über Europa zu reden, wird es erst recht niemand mehr tun. Wenn alle merken, dass mit einer pro-europäischen Botschaft nichts zu gewinnen ist, suchen sich alle ihren eigenen Frame, um gegen Europa zu sein. Unser Diskurs schläft dadurch ein – und vergisst über die immensen Vorteile dieses Projekts.
Über die sollten wir nämlich viel mehr reden. Reisefreiheit, die Abschaffung von Grenzkontrollen, eine gemeinsame Währung inklusive Währungspolitik, die Abschaffung von Roaming-Gebühren, die Freiheit, woanders zu arbeiten, gemeinsame Standards in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, die Möglichkeit, in einer Welt der Supermächte gehört zu werden, eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik: Das alles ist nicht garantiert. Genauso wenig wie über 690.000 Arbeitsplätze, die wir durch einen Öxit sofort und mindestens verlieren würden.
Und auch wenn ich das denke: Ich bin ja auch Teil dieser Dynamik. Weil ich weiß, dass es im EU-Wahlkampf schwieriger ist, über Vorteile zu reden, habe ich auch schon Nachteile in meinem Kopf gesammelt. Die Europäische Union ist in entscheidenden Bereichen zu schwach, ist von Viktor Orbán erpressbar, verfällt oft der Überregulierung und hat keine nennenswerte Informationspolitik, während Russland uns mit Propaganda bombardiert. Das sind alles legitime Kritikpunkte, mit denen ich eher im Diskurs durchkomme als mit den Vorteilen Europas. Aber sie überwiegen nun mal deutlich. Und ich will nicht so tun, als wäre das anders.
Darum mein Appell an euch: Wenn ihr über den EU-Wahlkampf redet – und ich hoffe, ihr redet über Politik –, dann lasst doch auch mal den ein oder anderen Vorteil fallen, der längst selbstverständlich geworden ist. Völlig egal, ob ihr NEOS oder eine andere Partei unterstützt: Da geht’s um etwas, das uns alle betrifft und uns allen nützt. Denn wenn wir nur darüber reden, was schlecht ist, aber unseren gewonnenen Wohlstand als Naturgesetz ansehen, gewinnen hauptsächlich die Anti-Europäer. Und die wollen aus der EU austreten.
Und ansonsten natürlich wie immer meine Empfehlung, wählen zu gehen. Es ist nicht egal, was im EU-Parlament passiert. Ich will dort keine „Ja aber“ Europäer sitzen haben oder gar FPÖ-Politiker, die bis auf fette Champagner-Partys nichts Nennenswertes tun. Ich glaube, wir haben da ein gutes pro-europäisches Angebot, das auch seinen Namen verdient. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass auch die Wahlbeteiligung passt. Denn die Nationalisten gehen am 9. Juni sicher wählen. Ihr auch?
Noch mehr Lesestoff
📕 Ich hab eine Buchrezension geschrieben. Das mach ich sonst selten, aber „How To Win An Information War“ ist ein wahnsinnig gutes Buch. Es geht um die britische Propaganda im Zweiten Weltkrieg und darum, was das mit heute zu tun hat. Ein faszinierender Einblick in die Welt der getarnten Radiosender und Bemühungen, die Ideologie der Nazis zu schwächen.
🧐 Was würde Hayek dazu sagen? Im Jubiläumsjahr des Buches „Der Weg zur Knechtschaft“ widmet sich die PRESSE dieser Frage. Darunter ein lesenswertes Interview mit der Ökonomin Monika Köppl-Turyna. Ein Auszug:
Wir fokussieren viel zu stark darauf, wie viel ausgegeben wird. Viel wichtiger ist aber, was mit dem Geld erreicht wird. Es ist ein großes Problem in Österreich, dass das oft nicht genug ist. Wir könnten in der öffentlichen Verwaltung, bei Bildung und Gesundheit zwei bis vier Prozent des BIP einsparen, ohne dass Qualität verloren ginge. Das ist bei einer Abgabenquote von 43 Prozent gar nicht so wenig. Ein effizienter Staat kann ruhig groß sein, solang er liefert, was er verspricht.