Bevor es losgeht: Ich hab eine User-Umfrage, in der ihr mir dabei helfen könnt, diesen Newsletter besser zu machen. Die bisherigen Antworten betonen, dass „Hintergründe“ und die Überschneidung zwischen Politik und Medien besonders wichtig für euch ist - wenn ihr das schon angegeben habt, wird euch dieser Text gefallen. (Und sonst: Hier geht‘s zur Umfrage.)
Wenn man über das Krisenmanagement der Regierung spricht, geht es immer wieder auch um Kommunikation. Oft lautet das Narrativ, dass Politiker nur verständlich und konsistent kommunizieren müssten, dann würden sich auch alle an die Regeln halten. Ich habe an anderer Stelle schon mal ausgeführt, warum ich diese Erzählung für verfehlt halte. Aber eines ist trotzdem richtig: Communication matters.
Was mir jedoch auffällt, ist, dass genau jene, die die Regierungskommunikation kritisieren, oft selbst Teil des Problems sind. Nämlich gerade Menschen, die entweder im Medien-Bereich arbeiten oder als Experten gerade mediale Reichweite haben.
Darüber sollten wir reden. Denn es steht ungefähr die wichtigste Debatte an, die wir führen können: Wie viele Menschen sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Und damit auch, wie schnell wir wieder ein halbwegs normales Leben führen können und wie viele Menschen weiterhin unnötig sterben müssen. Also habe ich hier mal einen Plan aufgestellt, wie wir als Gesellschaft in diese Debatte gehen sollten. Ja, ambitionierter Plan als kleiner Newsletter-Autor, aber irgendwer muss ja den ersten Schritt machen. Also machen wir es wie mit den Impfungen und fangen einfach mal an:
Schluss mit den Fremdwörtern
Mal ehrlich: Wie viele Leute wissen, was die 7-Tage-Inzidenz ist? Und was genau ist eine logarithmische Skala und warum sieht sie anders aus als eine lineare? Warum verwendet man nicht generell absolute Zahlen und lineare Skalen? Viele von euch werden das wissen, weil meine Newsletter-Audience aus News Junkies besteht. Aber ich glaube, “die Normalbevölkerung” versteht das nicht.
Trotzdem kommunizieren viele Experten mit Begriffen, die einem Großteil der Bevölkerung nicht einfach zugänglich sind. Zum Beispiel Erich Neuwirth, der schon viele beachtliche Medienauftritte hatte und als Wissenschaftler quasi ehrenamtlich jeden Tag viele Journalisten auf Twitter informiert. Das soll keine persönliche Kritik an einem Experten sein, den ich sehr schätze - aber auf diese Weise informiert man eben nicht alle gleich gut.
Viel eher bräuchte es einfache Sprache. Und auch Neuwirth twittert oft “7-Tage-Mittel”, was schon viel besser ist. Gerade Journalisten bemühen sich oft, die unübersichtliche Lage einzuordnen und auf die komplexe Datenlage einzugehen - aber nach der x-ten Wiederholung ist es leicht, diese Werte nur noch runterzurattern und keinen Kontext zu geben. Und da verliert man Menschen, die diesen Informationsrückstand nicht mehr aufholen können. Oder wollen.
Wie Scharlatane den “InfoWar” gewinnen
Die Alternative ist nämlich weit zugänglicher: Die Desinformation. Anders als seriöse Einordnung findet sie nicht auf den Webseiten von Medien statt, die oft durch Ad-Blocker-Warnungen und Cookie-Hinweise gleich wieder weggeklickt werden. Sondern dort, wo die meisten Leute ihre Zeit verbringen: Auf Facebook, Instagram oder WhatsApp.
Desinformation ist leichter. Sie verwendet einfache Worte, sie verzichtet auf Zahlen und seriöse Quellen, man muss keinen weiterführenden Link anklicken.
Statt “Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 90 pro 100.000 Einwohnern bei gleich bleibender Anzahl an Tests per capita” sagt die Desinformation “Ich kenne immer noch keinen, der es hat - wer glaubt das bitte noch?”
Statt “Gestern sind in Österreich 106 Menschen an SARS-CoV-2 gestorben, im internationalen Vergleich liegen die Todeszahlen auf die Bevölkerung hochgerechnet über denen der USA” sagt die Desinformation “Alle, die jetzt sterben, wären sowieso gestorben.”
Statt “COVID-19 ist ein neues Virus in einer bereits bekannten Reihe von Coronaviren. Bisher gab es dagegen kein Mittel, nun wurde durch internationale Kooperation in folgenden Verbänden erfolgreich an einer neuen Impfmethode mit folgender Methodik gearbeitet, die Zahlen dazu besagen …” sagt die Desinformation “Ich lass mir sicher nichts ungetestetes geben, RNA ändert die DNA!”
Das ist natürlich alles Bullshit von Menschen, die ihre Informationen durch Minion-Bilder auf WhatsApp beziehen. Aber es ist eben auch einfache Sprache. Kurze Sätze, keine Zahlen, permanenter Bezug auf Selbstverständlichkeit und Hausverstand. Es wirkt alles sehr einfach. Wissenschaftlern zuzuhören dagegen ist schwierig. Und es ist leicht, zynisch genug zu werden, es einfach nicht mehr zu versuchen.
Schlachtplan für die Impfdebatte 2021
Wir sehen also, dass die Seite der Scharlatane kommunikativ besser aufgestellt ist, obwohl sie wesentlich weniger Wissen oder finanzielle Ressourcen dafür braucht. Vernünftige Menschen haben nur Fakten - aber die sind eben in der Realität verankert und dadurch kompliziert. Schlechte Ausgangslage für die anstehende Debatte darüber, wie viele Menschen sich impfen lassen.
Wie lösen wir das Problem jetzt? Dazu hätte ich vier Vorschläge, die vermutlich sehr mutig sind. Aber wollen wir Tote verhindern oder wollen wir freundliche Kompromisse? Also, here we go:
Experten müssen aufhören, Vereinfachung als Schwäche zu sehen. “Das wäre unseriös” hört man oft - was innerhalb eines gewissen Bereichs auch stimmen mag. Gerade Juristen haben dafür ein sehr geschultes Verständnis und sind darauf geprägt, immer präzise und vollständig zu sein. Aber ohne Mut zur Vereinfachung wird es nicht gehen, komplexe medizinische Informationen an eine weitgehend uninformierte, unpolitische oder desinteressierte Bevölkerung zu bringen. Das sind Fakten, mit denen wir arbeiten müssen.
Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind. Und das sind nun mal in vielen Fällen soziale Medien. Die Kampagne “Schau auf dich, schau auf mich” hat das im Frühjahr bereits vorgemacht und war in klassischen, analogen Medien genauso omnipräsent wie auf Social Media. Wer alle Menschen erreichen will, muss sich eben auch überlegen, wie man in kurzen Formaten auf Plattformen von Facebook bis TikTok auffallen kann, um Erfolg zu haben. Wer nicht breit kommuniziert, überzeugt immer nur Teile der Bevölkerung.
Permanent betonen, warum Informationen seriös sind. Viele Leute sind bereits so sehr in ihrem Abwehrkampf gegen die Realität, dass sie wirklich glauben, dass alle Journalisten, Wissenschaftler, Mediziner, Politiker und alle anderen vernünftigen Menschen unter einer Decke stehen und eine Pandemie erfinden. Daher muss man immer wieder darauf hinweisen, wie viele unabhängige Wissenschaftler den Sinn von Impfungen bestätigen und auch zeigen, was sie bisher geleistet haben. Methoden offenlegen, vergangene Leistungen zeigen, Finanzierungen transparent machen, usw. Das ist langweilige Detailarbeit, aber notwendig - wenn man zeigt, wie unglaublich offensichtlich die Vorteile sind und wie einig sich die ganze rest-vernünftige Welt ist, kann man eventuell noch jemanden umstimmen.
Das Ego hinten anstellen. Ja, lieber Marketing-Kanzler, du bist gemeint. Wenn es Anfang 2021 darum geht, Menschen zum Impfen zu überreden, will ich kein einziges Mal Sebastian Kurz sehen. Ich will Experten sehen. Groß angelegte, überparteiliche Verbände. Soll doch die Ärztekammer eine Kampagne “Ärzte gegen Propaganda” machen. Alle mit ins Boot holen, die irgendwas zu sagen haben und noch Rest-Glaubwürdigkeit haben. Aber bitte keine “Die Regierung bittet dich, deine Spritze abzuholen”-Kampagne mit Kurz am OE24-Cover. Das Playbook ist zu ausgelutscht und zu vorhersehbar, um nennenswert viele Menschen abzuholen.
Ich bin mir völlig bewusst, dass jeder einzelne dieser Punkte gefühlt eine Revolution wäre. Aber all das ist notwendig, wenn wir dauerhaft auf eine nennenswerte Durchimpfungsrate kommen wollen. Und dabei geht es um Menschenleben - insofern nehme ich mir gerne heraus, auch mal “mutige” Dinge zu fordern, die selbstverständlich sein sollten.
Politik und Wissenschaft müssen an einem Strang ziehen, um mit kluger Kommunikation die Bevölkerung zur Impfung zu animieren. Jeder Verzicht auf diese Punkte bedeutet, bewusst mehr Fälle in Kauf zu nehmen, als es geben müsste. Insofern hoffe ich, dass wir diese Debatte führen können und alle dazu beitragen, diesen kommunikativen Kampf gegen die Verschwörungs-Bubble zu gewinnen. Wenn ihr zustimmt, dann teilt doch diesen Beitrag - tut nicht weh und führt zu mehr Reichweite für Vorschläge, die wirklich helfen könnten. Und vielleicht liest ja der ein oder andere Politiker oder Experte mit, was jetzt zu tun wäre.
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