Ist das jetzt ein Drama oder eine Komödie?
Ein kurzes Roundup zur Tonbandaufnahme von Sebastian Kurz
Wenn ihr so wie ich seid, habt ihr die ganze Woche auf Bildschirme geschaut. Nicht nur, weil das euer Job ist, sondern noch mehr als sonst, weil es spicy news gab.
Wenn ihr eine Zusammenfassung braucht, here you go. Wenn ihr in der Polit-Nerd-Kategorie seid, könnt ihr diese Aufzählungspunkte überspringen.
Der wichtigste Drahtzieher der meisten Korruptionsgeschichten der letzten Jahre, Thomas Schmid, führt 15 Befragungen mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft durch und will Kronzeuge werden. Wenn er die Wahrheit sagt und den Ermittlungen zum Durchbruch verhilft, könnte ihm das helfen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen - aber nur dann.
Sebastian Kurz wehrt sich mit einer Tonbandaufnahme, die ihn entlasten soll. PULS24 hat es im Volltext.
Das Transkript dieser Aufnahme liest sich wie das Skript einer Sitcom. Nicht nur, weil die Situation insgesamt lächerlich ist, sondern im wahrsten Sinne des Wortes: Die Aussagen werden so getätigt, dass jeder, der neu ins Gespräch einsteigt, sofort alles weiß, was er wissen muss.
And the Oscar goes tooooo …
Dieses Transkript ist wirklich großes Kino, und ich empfehle, es ganz nachzulesen. Nicht nur, weil Chats und aufgezeichnete Anrufe sehr authentisch zeigen, wie es in Österreich läuft. Sondern auch, weil es ganz einfach unterhaltsam ist.
Ein Beispiel: Die beiden Gesprächspartner erzählen sich gegenseitig Geschichten, die sie zusammen erlebt haben. Als würden beide davon ausgehen, dass der andere an Amnesie leidet.
Sebastian Kurz: Na, sie spielen alles und sie spielen jetzt, dass ich gesagt hab, der Mitterlehner ist eine Sau und dann tun sie so, als hätte das noch nie irgendwer anderer gesagt. Also ich finde, das finde ich auch so arg, dass dann ... jetzt wird es gerade so dargestellt, als wäre ich der erste Mensch, der in Österreich schon einmal über wen geschimpft hat.
Thomas Schmid: Ja, vor allem du kriegst so einen wirklich... also ich werde es nie vergessen diese Regierungssitzung damals mit dem Mitterlehner und mit dem Faymann noch, ja. Wo der so den Posch fertig gemacht hat, ja...und die damalige Staatssekretärin Steßl, dass die beide weinend rausgelaufen sind, ja. Also das ist ja so a.... der war immer ein Unmensch, der die Leute ganz mies und schlecht behandelt hat und jetzt steht der da, wie so ein Märtyrer. Das ist alles so... das ist alles so absurd und so heuchlerisch... ja, so....ja. Also diese ganzen Sexisten da beim Standard, diese alten Männer die sich immer so aufführen jetzt da glauben, sie können die Moral sein.
Oder dieser, wie heißt der da ... dieser von den Neos da ... dieser Strolz, ja ... dieser Widerling, der glaubt, jetzt muss er moralische Tipps geben, das is einfach alles so unglaublich ... also.
Jetzt muss man nicht Matthias Strolz sein, um moralisch leicht über den beiden Hauptprotagonisten eines Skandals zu stehen, der die österreichische Politik seit über einem Jahr beschäftigt. Man kann dazu jetzt rechtliche Vorwürfe formulieren, was ich nie machen würde, aber die Alternative ist genauso super: Dass die beiden einfach eine Mischung aus nervös und merkwürdig sind.
Am besten gefällt mir an diesem ganzen Gespräch die folgende Stelle:
Sebastian Kurz: Du, und sag, das was sie uns da strafrechtlich vorwerfen, kannst du dir das irgendwie erklären, weil ich mein, ich kann... ich kann einfach irgendwie seither überhaupt nimma schlafen, weil ich schon an mir selbst zweifle und das Gefühl habe, ob ich irgendwas vergessen hab. Aber ich hab dir doch nie irgendwie... wir haben doch nie einen Auftrag gegeben, oder wir haben doch nicht einmal über und Inserate und sowas geredet...oder.... oder ich habe doch nie gesagt, du sollst der Beinschab jetzt irgendwelche Aufträge geben. Ich finde das so, ich les diesen Akt und denk mir, das gibt's ja nicht. Wie kann man das behaupten, oder? Ich weiß ja nicht, ob ich jetzt schon alles vergessen hab...
Zusammengefasst: Er kann es immer noch. Der kommunikative Wunderwuzzi des Jahrhunderts schlägt wieder zu und bringt sogar in seinem privaten Telefonat all seine Key Messages unter:
Ich verstehe gar nicht, wie es zu diesen Vorwürfen kommen kann.
Frau Beinschab, die ich ja kaum kenne, hat keine Aufträge von mir bekommen.
Wir haben uns nie über Inserate oder Aufträge unterhalten, außer in den Chats, die ich bewusst nicht erwähne.
Sollte irgendetwas davon in Wirklichkeit ganz anders sein, muss ich es ganz einfach vergessen haben.
Mir geht es ganz furchtbar schlecht mit dieser unfairen Situation, ich schlafe sogar schlecht.
Das Narrativ der Kurz-Truppe ist klar jedenfalls klar:
Der Bundeskanzler wurde von seinem Team hinters Licht geführt und wusste nichts von den Geldflüssen, die Thomas Schmid koordiniert hat, um Sebastian Kurz zu helfen. Er ist halt einfach ein Fanboy. Und mich würde das ja alles total überzeugen. Wenn da nicht ein Argument wäre, das ich zwischen den Zeilen aus dem Transkript herauslese.
Wer redet so??!
Würde ich so reden, wie Sebastian Kurz in einem spontanen Telefonat, das er sicherheitshalber aufgezeichnet hat - as one does - würde ich so mit meiner Freundin reden, wenn ich heim komme: Hallo Steffi! Meine Freundin, mit der ich seit acht Jahren zusammen bin! Ich bin total fertig von der Arbeit, du weißt ja, der im Parlamentsklub.
Ein Erklärungsansatz dafür, warum nicht nur Kurz so redet, als wäre er beobachtet: Schmid und Kurz dachten laut Einvernahmeprotokoll von Schmid beide, sie könnten beobachtet werden. Zitat Schmid:
„Ich habe davor mit Blümel telefoniert und ihn gefragt, ob er wisse, was Kurz wolle und ob dieser verwanzt sei. Blümel teilte mir mit, dass auch Kurz ihn angerufen habe und gefragt habe, ob ich verwanzt sei. Blümel hat dann gemeint, wenn wir schon so weit sind, dass es dann ohnehin schwierig wird.“
Nebenbei bemerkt: Komische Frage, oder? Merkt man in der Regel einfach so, wenn man verwanzt ist? Ich dachte, das wäre der Punkt von Überwachung - dass man sie nicht merkt. Oder muss man dafür einfach Leute kennen, denen das schon mal passiert ist?
Was will ich also nahelegen
Das kann leicht zu einer juristischen Debatte werden. Denn in Österreich gilt die Unschuldsvermutung, an die ich mich natürlich auch halte. Es kann sein, dass Thomas Schmid recht hat, es kann sein, dass Thomas Schmid lügt, es kann sein, dass alle lügen und es kann sein, dass noch eine dritte Version der Geschichte stimmt, die wir bald rausfinden werden.
Daher in diesem doch eher zynischen Text auch noch ein Hinweis: Das ist selbstverständlich eine Sache für die Justiz, die dem ganzen mit einer ernst gemeinten Unschuldsvermutung nachgehen soll. Nur, weil wir unsere Meinung zu diesen Vorgängen haben und uns vielleicht schon ausrechnen können, wie das alles ausgeht, heißt das nicht, dass wir die generellen Prinzipien eines fairen Verfahrens aussetzen sollten. Und was bisher geschah, legt für mich auch nahe, dass das funktioniert.
Trotzdem fühle ich mich gefrotzelt. Denn viele Korruptionsvorwürfe in Österreich sind mittlerweile so bekannt, dass jeder, der die Chats gelesen hat - also mittlerweile die halbe Republik - einfach nur noch zusammenzählen muss, um ein ganz klares Bild zu bekommen. Und das ist jetzt keine rechtliche Aussage, sondern eine politische und eine moralische. Darum finde ich es wichtig, dass man sich diese Protokolle auch ohne jeden juristischen Vorwurf durchliest. Weil es einfach nicht in Ordnung ist, was sich in der Spitzenpolitik abspielt.
Für mich gibt es jedenfalls mehrere Szenarien.
Kurz und Schmid haben beide geahnt, dass sie verwanzt sind, und reden deshalb so, dass man an jeder Stelle des Telefonats einsteigen kann und sich auskennt. Dort platzieren sie ihre Key Messages, um ihre eigene Haut zu retten.
Kurz hat ein Gespräch mit Thomas Schmid aufgezeichnet, um sich selbst zu entlasten, sollte jemals gegen ihn ausgepackt werden.
Kurz ist unschuldig. Thomas Schmid lügt auf 454 Seiten Vernehmungsprotokoll permanent, um seine eigene Haut zu retten, und zerstört damit seine einzige Chance, etwas weniger unbeschadet aus dieser ganzen Geschichte rauszukommen. Das ist sein Grund dafür, alle Vorwürfe zuzugeben, die auch auf ihn zutreffen. Er tut das, um einen unbescholtenen Bundeskanzler, der nichts falsch gemacht hat, zu schaden.
Keine dieser Möglichkeiten stimmt - die Wahrheit ist immer noch eine komplett andere, die wir noch nicht kennen.
Eine dieser Varianten halte ich für besonders wahrscheinlich. Aber für alle Szenarien und Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Noch mehr Lesestoff
📰 Falls ihr mehr über die neuen Korruptions-Vorwürfe lesen wollt: Lest diese Zusammenfassung im STANDARD. Oder diese im PROFIL. (Das übrigens seit einiger Zeit eine neue Website hat, die wirklich cool geworden ist.)
💻 Und falls ihr ein “Was bisher geschah” braucht: Lest davor diesen Blogbeitrag von Martin Thür.
💪 Und noch eine gute Nachricht: Es gibt endlich ein Energie-Dashboard! Lange hat man kritisch fragen dürfen, wann wir aktuelle Zahlen zum Energieverbrauch kriegen - auch, weil wir eine klare Kommunikation brauchen, wenn wir alle Energie sparen müssen. So sieht man gleich auf einen Blick, dass wir im Vergleich zum Vorjahr 17,8 % weniger Gas verbraucht haben. Ein milder Winter könnte dabei helfen, dass wir gut durch den Winter kommen.