Ihr habt es vermutlich mitbekommen: Klima-Aktivistinnen in London haben ein Van-Gogh-Gemälde mit Tomatensuppe beworfen.
Wenn das für euch jetzt nicht nach der dringendsten Frage unserer Zeit klingt, kann ich euch beruhigen: Mich auch nicht. Trotzdem wird enorm viel über “Tomatensuppengate” geredet - aber nicht so, wie wir eigentlich darüber reden sollten.
Im Gegensatz zu vielen meiner Freunde finde ich den Protest nämlich gar nicht so aufregend. Erstens, weil Umwelt-Aktivismus immer auch provokant war - Kunst zu besudeln mag zwar nicht die stilvollste Form der Aufmerksamkeitserregung sein, aber ist auch nicht wirklich etwas Neues. Und zweitens, weil ich die Symbolik der Aktion zumindest nachvollziehen kann.
Das Kalkül der Klimaschützerinnen ist nämlich nachvollziehbar: No Art On A Dead Planet.
Ich habe es schon in mehreren anderen Texten angemerkt: Das Klima-Thema ist das mit Abstand wichtigste Thema unserer Zeit, und ohne Klimaschutz ist alles nichts. Aus dieser Emotion heraus verstehe ich auch, wie man Dinge zerstören kann, die für andere schön und wichtig sind: Wenn der Rest der Welt ignoriert, dass wir aufs Aussterben zurasen, ist es zumindest gefühlt gerechtfertigt, auch in seine Lebensrealität mit einem Schock reinzufahren.
Jetzt schreibt ein Freund von mir dazu: “Mit dem Argument ist aber auch alles wurscht.” Und ja, richtig - es ist eigentlich wirklich alles wurscht, solange wir die Klimakrise nicht hinkriegen. Also, das ist nicht mein rationales Argument. Aber ich verstehe, wie man es so sehen kann. Und wenn wir uns ehrlich sind, ist ein Van-Gogh-Bild, das durch diese Aktion nicht einmal zerstört wurde, wirklich nicht mehr Aufregung wert als die Tatsache, dass wir auf über 4 Grad Erwärmung bis 2100 zusteuern.
Wenn man der Meinung ist, dass jede Werbung gute Werbung ist, könnte man zumindest von einem Agenda-Setting-Gewinn sprechen.
Ich bin nicht dieser Meinung. Dafür habe ich ein bisschen zu lange in Journalismus und PR gearbeitet und gemerkt, dass man mit Shitstorms nicht unbedingt Verkaufszahlen steigert. Selbst wenn ich Autofahrer wäre, würde ich mir darum auch nie einen VW kaufen - der Abgasskandal wird mein Bild von diesem Konzern mein ganzes Leben lang prägen. Nicht jede Werbung ist eben gute Werbung.
Darum finde ich es auch zumindest legitim, die Frage zu diskutieren, wen man damit abholt. Die allermeisten Reaktionen auf diese Aktion scheinen nun mal negativ zu sein - und auch, wenn wir zumindest über das Klima reden, bezweifle auch ich, dass dieser Van-Gogh-Protest viele Menschen zum Klimaschutz bewegt.
Aber es gibt auch eine optimistische Sichtweise.
Ich glaube nämlich, dass es für eine politische Bewegung immer beide Seiten braucht: Die Pragmatischen und die Radikalen.
Die “Pragmatischen” im Klimaschutz sind die Mehrheit aller, die sich damit beschäftigen und Teil der Lösung sein wollen, z. B.:
Politiker:innen, die erkannt haben, dass die Klimakrise wichtiger ist als kurzfristige Probleme im Umstieg auf Erneuerbare
Journalist:innen, die nicht so tun, als wäre es “Aktivismus”, wenn man ausspricht, dass die Menschheit vor einem existenziellen Problem steht
Unternehmer:innen, die daran arbeiten, ihre CO2-Bilanz zu senken und schnellstmöglich ihren Teil zur Energiewende beizutragen
Expert:innen aus den unterschiedlichsten Bereichen - nicht nur aus dem Umweltsektor, sondern auch Wirtschaftsforschung oder Policy-Analysen -, die das Thema auf die Agenda bringen
Jeder Mensch, der seinen Beitrag leisten will. Das kann der Umstieg auf CO2-neutrale Energie, eine energieeffiziente Art des Wohnens, der Umstieg auf die Öffis oder alles Mögliche sein.
All das bringt den Planeten jeden Tag in eine bessere Richtung. Und auch, wenn es momentan nicht so aussieht, als würden wir die Klimakrise rechtzeitig in den Griff bekommen - es ist zumindest kein naiver Optimismus, festzuhalten, dass viel weitergeht und sich immer mehr Menschen an diesem Prozess beteiligen.
Das andere sind die Radikalen.
Und da gehören für mich auch die Klima-Aktivist:innen dazu, die unangenehm, manchmal vielleicht sogar unsympathisch und damit kontraproduktiv sind.
Sie versperren Autofahrer:innen den Weg zur Arbeit. Was die Emissionen nicht verhindert - sie werden ja nicht ihr Auto stehen lassen und zu Fuß weitergehen -, sondern viele ärgert, die keine Wahl haben, als mit dem Auto zu fahren. Hier wäre zuerst die Politik gefragt, ihnen eine bequeme, leistbare und CO2-neutrale Alternative zu bieten.
Sie beschimpfen Menschen in den Einkaufsstraßen für ihren Lebensstil. Was man schon irgendwie emotional rechtfertigen kann - es ist scheinheilig, “Pro Klimaschutz” zu sein und dann importierte Marken vom anderen Ende der Welt zu kaufen und Fleisch zu essen. Aber wie viele Menschen haben jemals ihre Meinung geändert, indem sie nur auf die richtige Art beleidigt wurden?
Sie greifen eben auch zum Vandalismus. Das betrifft nicht nur Kunst - sie stören Kultur- und Sportveranstaltungen, sie machen Lärm bei politischen Treffen, etc. Und manchmal greifen sie eben auch zur Tomatensuppe.
Die kann man jetzt gut oder schlecht finden. Ich glaube, sie sind ein Ventil dafür, dass es viele (hauptsächlich junge) Menschen gibt, die tatsächlich sehen, dass am Ende ihres Lebens eine unfassbare Katastrophe einsetzen könnte - und dass wir jetzt noch vergleichsweise einfach alles tun könnten, um sie zu verhindern.
Und wer kann es ihnen verübeln? Sie leben noch länger auf dem Planeten als die Generation, die es sich im fossilen Wohlstand bequem gemacht hat. Es ist völlig verständlich, dass sie wütend, frustriert und bereit zur Provokation sind. Das ist für sie kein strategischer Fehler, sondern genau die Absicht.
Ich finde jedenfalls nicht, dass man nur wegen ein paar Radikalen gleich so tun muss, als hätte der Klimaschutz jetzt den Kampf um die öffentliche Meinung verloren.
Die Datenlage ist so eindeutig, dass Klimawissenschaft nicht nur immer mehr im Leben der Menschen ankommt - es gibt auch immer mehr, die die unfrohe Botschaft verbreiten, dass wir unseren Planeten retten müssen.
Gleichzeitig machen wir enorme Fortschritte bei den Lösungsansätzen. PV-Anlagen werden extrem günstig, erneuerbare Energien werden generell attraktiver, und mittlerweile hat jedes Unternehmen mindestens einen PR-Wert davon, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen, ganz abgesehen von niedrigeren Kosten in der Zukunft. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben immer mehr Anreize, Teil der Lösung zu werden. Man soll auch düstere Prognosen immer im Hinterkopf behalten - aber das ist nicht nichts.
Wir sollten nicht den Teufel an die Wand malen, nur weil viele Menschen eine Aktion von zwei jungen Frauen in London nicht mögen. Klimaschutz is on the rise - und auch, wenn nicht jede Werbung gute Werbung ist, kann dieser Protest gar nicht so schlimm sein, um diese Entwicklung aufzuhalten.
Einen optimistischen Start in die Woche
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🌐 Wenn ihr den heutigen Artikel mochtet, werdet ihr diesen lieben. “An End To Doomism” ist ein super Text über Optimismus, der nicht naiv, sondern konstruktiv ist. Dabei geht es auch um die Klimakrise und darüber, warum “Doomism” wenig bringt. Must Read für alle, die gerne optimistischer auf die Welt blicken würden.
📰 Eine gute Nachricht aus einem schwarzen Bundesland. Das liest man bei mir sicher nicht oft - aber die steirische Landesregierung hatte da eine gute Idee. Die KLEINE ZEITUNG berichtet von der Regierungsklausur, das Land “möchte 962 Hektar in 39 Gemeinden für neue Photovoltaikanlagen reservieren. Weiteres Ziel: Bis 2030 zusätzlich 146 Windkraftanlagen zu errichten.” Way to go, Steiermark - gerne auch den Kollegen in Tirol ausrichten!