Seit ich in Italien war, bin ich wieder hooked von diesem Land. Ich liebe die Sprache (und spreche sie, wie ich im Urlaub gelernt hab, auch wirklich ganz passabel), das Land, die Kultur, die Musik, eigentlich alles – außer die Politik. Aber die erlaubt mir immerhin, sogar aus dem schlechten Status Quo in Österreich noch weiter runterzuschauen.
Das italienische politische System ist nämlich so gut wie unregierbar. Wenn ich stark verkürzt zusammenfassen müsste, warum, wäre die Antwort ein Mix aus vielen Institutionen, die sich gegenseitig blockieren können und der Tatsache, dass die Mafia schon länger existiert als der italienische Staat selbst.
Österreich ist kein Italien. Wir haben einen Rechtsstaat, der Nationalrat ist deutlich stärker als der Bundesrat als zweite Kammer, und unser organisiertes Verbrechen ist historisch nicht ansatzweise so stark, um es mit der Mafia zu vergleichen – es beschränkt sich eher auf die Chats, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten.
Und trotzdem glaube ich, dass Österreich und Italien eins gemeinsam haben: Die politischen Kulturen beider Staaten ermöglichen eher Blockade statt Umsetzung.
Blockade-Beispiel 1: Die SPÖ im Parlament
Die Sozialdemokraten im Parlament haben angekündigt, bei keinen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung mehr mitzustimmen. In der Rede, in der das angekündigt wurde, erwähnte Jörg Leichtfried „einfachgesetzliche“ Materien genauso wie jene, bei denen Zweidrittelmehrheiten gebraucht werden – für die es in den aktuellen Kräfteverhältnissen nun mal nur die SPÖ gibt, solange die FPÖ gegen alles ist.
Was sich die Sozialdemokraten davon erhoffen, ist eh klar: Wenn sie nur lange genug über die Inflation redet und sich weitläufig rumspricht, dass sie im Parlament eh hart gegen die Regierung war, werden ein paar Wütende hoffentlich bei der nächsten Wahl Rot statt Blau wählen. Was in der öffentlichen Debatte aber wieder mal untergeht: Mietpreisbremse und Preisdeckel, wie die Rendi-Wagner und Co. fordern, funktionieren nicht, erhöhen die Teuerung in allen anderen Bereichen und werden sofort wieder abgeschafft. Würde die Regierung ankündigen, wegen dieser Blockade jetzt auf die SPÖ zu hören, wäre das eine gefährliche Drohung.
Diese unsinnige Blockadehaltung wurde übrigens direkt auf die Probe gestellt: Alle Parteien, sogar die FPÖ, haben sich darauf geeinigt, dass ein Studium, das durch Kinderbetreuungs- und Schwangerschaftszeiten länger dauert, trotzdem mit „exzellenter Leistung“ ausgezeichnet werden kann. Anlass ist ein Fall von drei Brüdern, denen das gelungen ist – der Schwester, die wegen zwei Kindern etwas länger gebraucht hat, blieb diese Ehre verwehrt.
Es wäre dumm, hier nicht mitzustimmen, also macht die SPÖ dem Vernehmen nach mit. Was aber wiederum eine Absage an die Blockade wäre, die man ja extra hart durchziehen wollte, um die Bundesregierung vor sich herzutreiben. Der Schmäh ging also nach hinten los.
Blockade-Beispiel 2: Die Wirtschaftskammer
Anlässlich des fünfjährigen Jubiläums als Wirtschaftskammer-Chef wurde Harald Mahrer vom STANDARD interviewt – und bietet eine Auswahl an Antworten, die sich wie ein Bullshit-Bingo aus dem Handbuch der Klimaschutz-Verzögerer lesen. Denn die Klimaziele, die wären sowieso nicht machbar, sagt Mahrer:
Man kann ja Ziele wo hinschreiben, aber wenn jeder hinter vorgehaltener Hand sagt, das sei gar nicht machbar: Was sagt das über diese Zielsetzung aus? Mein Punkt ist: Wir wollen uns in diese Richtung bewegen. Aber es muss die Möglichkeit geben, das gut umzusetzen.
Korrekt, Forderungen sollen umgesetzt werden, das hat er intelligent kombiniert. Und bringt dann weitere Phrasen, die dazu animieren sollen, nur nicht zu ambitioniert zu sein beim Klimaschutz: Die sollen sich doch einfach vor der chinesischen Botschaft ankleben (obwohl China mehr in Photovoltaik investiert als der Rest der Welt zusammen), und Deutschland hat auch nicht so hohe CO2-Steuern (weil stärkere Autolobby), und überhaupt, Heizungen tauschen kostet Geld, wusstet ihr das? (Teurer als Klimaschutz ist übrigens nur eins: Kein Klimaschutz.)
Die Mentalität in Mahrers Interview erinnert mich an viele Gespräche mit Leuten, die ich als „schwarze Reichshälfte“ zusammenfassen würde: Hinter dem hehren Anliegen, dass man auch auf die Machbarkeit von Vorschlägen schaut – dem würde auch kaum jemand widersprechen – liegt oft der Unwille, etwas zu tun. „Aber wie fahre ich dann mein Auto?“ ist die wichtigste Antwort, und statt nach Lösungen zu suchen, wie man die Energiewende mit dem Bedürfnis nach Individualverkehr verbinden kann, versteigert man sich schnell in ein „Njet“ und wirft allen anderen vor, das einfach nicht zu Ende gedacht zu haben. Sieht nach Diskurs aus, ist aber eigentlich nur Diskussionsverweigerung beim wichtigsten Thema unserer Zeit.
Denn eigentlich sollten wir diese Debatte genau umgekehrt führen: Wer Einwände hat, warum wir die Klimaziele verpassen sollten, muss erstmal eine Alternative vorlegen. Was auf dem Spiel steht, ist nämlich nicht die Bequemlichkeit, dass der Motor laut Brumm Brumm macht statt leise zu fahren und zwischendurch am Stecker zu hängen. Sondern härtere und häufigere Hochwasser, Stürme und Dürren, wirtschaftlicher und menschlicher Schaden, das Aussterben ganzer Ökosysteme, das Schmelzen der Gletscher und das Austrocknen der Seen.
Das halte ich für etwas wichtiger als Harald Mahrers Bedenken, ob nicht doch vielleicht unter gewissen Umständen möglicherweise in 100 Jahren E-Fuels auch für Autos eine gute Idee wären. (Momentan brauchen wir sie für Schiffe und Flugzeuge.)
Blockade-Beispiel 3: Der Finanzausgleich
Ein drittes Beispiel dafür, wie in unserer Republik blockiert wird, steht dieses Jahr eigentlich konstant an – die Verhandlungen zum Finanzausgleich. Und ja, ich finde dieses Wort genauso langweilig wie ihr. Es hat den charmanten Touch von lebensnahen Themen wie „Gebietskörperschaften“ und „Wohnbaugesellschaft“, aber weil ich mit Leuten arbeite, die ehrliches Interesse und die intellektuelle Kapazität dafür haben, kann ich diese Geschichte hoffentlich so erzählen, dass man versteht, worum es da geht.
Der Bund – also „Österreich als Gesamtstaat“ – und die Länder machen sich alle paar Jahre aus, wer welche Aufgaben erledigt, woher das Geld dafür kommt, wer es einhebt und wer es ausgibt. Daran hängen auch Themen wie Kinderbetreuung, die vor allem im ländlichen Raum nur jämmerlich ausgebaut ist, und das Gesundheitssystem, das wohl niemand von uns mit Erfolgserlebnissen verbindet. Wie es mit diesen Bereichen weitergeht, machen sich Bund und Länder das ganze Jahr über aus, in den sogenannten „Finanzausgleichsverhandlungen“.
Dass genau die erwähnten Bereiche so, sind wir uns ehrlich, scheiße sind hat auch damit zu tun, dass das in der Vergangenheit so funktioniert hat: Der Bund erhebt das Steuergeld, die Länder geben es aus. Sie müssen mit dem Geld nicht „wirtschaften“ oder schauen, wo es herkommt und ob sich das auszahlt, sondern sie machen einfach ihr Ding. Theoretisch müssten sie Aufgaben sicherstellen, wie eben einen gewissen Versorgungsgrad bei Kinderbetreuung und Gesundheitsthemen. Das ist halt nicht passiert und wurde auch nicht sanktioniert – und so könnte es jetzt weitergehen.
Ein Blockade-Beispiel, das mich nicht gerade optimistisch macht, ist nämlich aus dem Gesundheitsbereich. Eigentlich hätte es einen „Strukturplan“ für ganz Österreich geben sollen, der festlegt, wie wir wieder mehr in Richtung Versorgungssicherheit kommen. Die Länder hätten anhand dieses Plans eigene Strategien vorlegen müssen, die dann insgesamt dazu führen, dass alles funktioniert. Jetzt sind aber die Länder mit ihren Plänen schon fertig – und der Verdacht ist, dass der Bund jetzt nur noch die Befehle entgegennimmt und ein Dokument schreibt, dass diese Wunschlisten der Landeshauptleute und Gesundheitslandesräte erfüllt.
So haben wir wieder einen Fleckerlteppich. Also genau das Gegenteil von dem, warum Föderalismus eine gute Idee ist. Wenn wir schon sagen, Gesundheit ist Landessache, dann schau ich mir an, wie eine schwarz-blaue Politik in Salzburg sich auswirkt und werde dann eher in einem anderen Bundesland ins Krankenhaus oder zum Arzt gehen. Wettbewerb um die besten Ideen und so. Aber dass jedes Bundesland dem Bund nur ausrichtet, dass jetzt erstmal alles so bleibt, wie es ist, und weiterhin die Hand für Kohle ausstreckt – das kann’s nicht sein. Genau das wird jetzt verhandelt. Und ich wünsche dem Gesundheitsminister ganz ehrlich alles Gute dafür.
Was haben diese Beispiele gemein?
Ich glaube, sie zeigen ein grundlegendes Konstruktionsproblem unserer Demokratie: Es ist viel opportuner, Dinge zu verhindern, als sie zu ändern.
Der Wirtschaftskammer-Chef scheint seine zentrale Aufgabe darin zu sehen, Klimaschutz-Anliegen nicht nur zu blockieren, sondern auch noch so zu tun, als wäre das eine besonders intellektuelle Leistung: Nur, wer „die Dinge zu Ende denkt“, hat wirklich Recht, und das ist alles, worum es geht. Dass wir uns die Energiewende leisten können, alle Lösungen am Tisch liegen und zu großem Teil am Widerstand der Wirtschaftskammer scheitern, können wir bitte ignorieren, es geht da nur ums Image, nicht um Politik.
Die SPÖ hat auch keinen Anreiz, konstruktive Oppositionspolitik zu machen. Die Wähler interessieren sich nicht ernsthaft dafür, was im Parlament passiert, und wenn, dann haben sie es schon bald vergessen. „Der Staat soll die Preise senken“ ist eine realitätsferne Aussage, aber das ist wurscht. Spätestens seit Jörg Haider wissen wir, dass es nur um die Optik von Vorschlägen geht. Und dass die Sozialdemokraten sich da mit der ÖVP einigen, die ihre eigenen Klimaschutz-Gesetze eh am liebsten in der Schublade behält – Hallo, Harald Mahrer! – geht in der Debatte komplett unter.
Jetzt hätten die Bundesländer theoretisch einen Anreiz, das Gesundheitssystem zu reformieren: Weil wir eine Zweiklassen-Medizin haben, die nicht mal für die obere Klasse optimal funktioniert, und weil es den Leuten einfach oasch geht. Aber ich bezweifle manchmal, ob eine Systemreform wirklich im Interesse der Länder ist. Meistens richten sie dem Bund aus, dass sie mehr Geld brauchen, weil sie ihre Aufgaben behalten, aber nicht wesentlich besser erfüllen wollen. Ich will niemandem unterstellen, ein schlechter Mensch zu sein – aber wenn es da positive Absichten gibt, werden sie sehr gut versteckt.
Die Alternative liegt in einer neuen politischen Kultur.
Das Grundproblem Österreichs ist, dass Blockieren eine Winning Strategy ist. Wir tun so, als würde uns die Neutralität schützen, und deuten diesen Begriff immer so um, wie es uns gerade passt. Wir verpassen jede einzelne politische Chance und schaffen es nicht mal, unkontroverse, bereits beschlossene und kommunizierte Maßnahmen im Sinne der Transparenz umzusetzen, und regen uns dann auf, dass alle die Politik so schlecht reden. Das wird sich irgendwann nicht mehr ausgehen.
Und solange alle in der Politik einen Anreiz haben, weiterhin auf diesem intellektuell unwürdigen Niveau zu spielen, wird sich das auch nicht ändern. NEOS versucht das – aber wenn alle anderen mit „Der Staat muss die Preise senken“ und „Wenn ich Putin nicht sehen kann, kann er mich auch nicht sehen“ spielen, ist die Ansage nach Strukturreformen im Vergleich einfach schwieriger zu kommunizieren. Was nicht heißt, dass wir von der richtigen Botschaft runtergehen. Wir spielen halt weiter Innenpolitik auf Hard Mode.
Für eine Veränderung braucht es aber nicht Parteien, sondern Wähler. Erst, wenn wir nicht mehr auf die dümmsten Spins reinfallen, jeden Schmäh fressen und uns mit Politik nur auf der Show-Ebene statt inhaltlich, kann sich in diesem Land ernsthaft etwas ändern. Dann wären Dampfplauderer wie Harald Mahrer nämlich schnell arbeitslos, und ein durchschaubarer parteipolitischer Schachzug bei der SPÖ würde sie in Umfragen sofort einbrechen lassen.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber ich hoffe, dieser Newsletter hat vielleicht wieder die ein oder andere Person dorthin bewegt.
Noch mehr Lesestoff
🇮🇪 Irische Soldaten bilden ukrainische aus. Und das, obwohl das Land „neutral“ ist. Ein gutes Beispiel dafür, dass Neutralität bedeuten kann, was immer man will – im Kern stimmt eigentlich nur, dass wir niemandem den Krieg erklären und keinen Militärbündnissen beitreten sollen. Auf EU-Ebene beruft sich auch Österreich auf die „irische Klausel“.
🇦🇹 Österreich hat ein anderes Verständnis. Wir helfen nicht mal beim Entminen in der Ukraine, wenn es nach Verteidigungsministerin Tanner geht. Wer so tut, als wäre das Entfernen einer Mine eine Kriegserklärung an Russland, verdreht die Debatte komplett – aber auch hier arbeiten Politiker mit Anreizen. Und solange ein großer, lauter Teil der Bevölkerung „Neutralität um jeden Preis“ scheint, ist noch der feigste Rückzug hinter diesen Begriff erlaubt und erwünscht.
🌎 Ein sehr lesenswerter Long Read zur Weltpolitik. Henry Kissinger wird 100 und erklärt, wie man einen Dritten Weltkrieg verhindert. Und ja, ich weiß, wie umstritten Kissinger ist, aber man sollte nicht so tun, als wären deswegen all seine Gedanken falsch. Da stehen in paar g’scheite Sachen drin – z.B., wieso ein NATO-Beitritt der Ukraine auch für Russland gut wäre.