Liebe Medienbranche,
eigentlich wollte ich diesen Text nicht schreiben. Ich hatte ihn quasi schon in meinem Kopf fertig geschrieben, aber wollte ihn dann nicht weiter ausführen. Weil ich in der glücklichen Situation bin, dass es mir eigentlich wurscht sein könnte, was aus dir wird, und weil Zurufe „aus der Politik“ eher in die Kategorie unsympathisch fallen.
Aber dann ist eine perfekte Mischung in meine Timeline gekommen, die mich doch motiviert hat, meinen Senf abzugeben. Einerseits ein fast perfekter Essay von Wolf Lotter im Medium Magazin, in dem er mit den ewigen Bremsern der Medienbranche abrechnet. Und andererseits die Nachricht, dass der Kollektivvertrag für Journalisten jetzt aufgekündigt wurde.
Dann wurde mir klar: Ich bin sicher nicht der Einzige, der wütend auf dich ist.
Wobei sich meine Wut nicht hauptsächlich auf den Journalisten-KV bezieht. Ich kenne Fälle von Journalisten, die bereits jetzt rechtswidrig nicht nach Kollektivvertrag bezahlt werden, weil du, liebe Medienbranche, es dir einfach leisten kannst - machen ja genug andere den Job. Und selbst bei denen, die den KV haben, verdient kaum jemand wirklich gut für die Leistung, die erbracht werden muss. Du behandelst die Leute nicht gut. Ob mit oder ohne Vertrag.
Meine persönliche Wut kommt aber aus einem Erlebnis, das ich erst kürzlich mit dir hatte. Obwohl es eigentlich ein sehr positives war: Kurz vor meinem 30. Geburtstag im August wurde ich zu den „30 unter 30“ in der Kategorie PR gekürt. (Die Redaktion von „Österreichs Journalist:in“ hat gefragt, ob meine Nominierung für Journalismus oder PR zählen soll. Wenn wir uns ehrlich sind, sind Parteimedien nicht die gleiche Kategorie - also PR.)
Etwas verspätet, jetzt schon mit 30, gab es eine Veranstaltung dazu, in der sich die „30 unter 30“ aus Journalismus und PR getroffen haben. Urkunden, Fotos, Afterwork-Spritzer, das übliche Medienbubble-Event. Aber ein Event, bei dem ich wieder enorm aufgeregt hab. (Still und innerlich natürlich - soll ja keinem die Stimmung verderben.)
Der Preis soll ja eigentlich eine Ehrung für „besondere Leistungen“ sein. Jetzt weiß ich nicht, ob die heimische Medienbranche wirklich groß genug ist, um jedes Jahr überhaupt 30 Talente zu finden, oder ob man da aufstocken muss. Aber wenn schon, dann sollte diese Auszeichnung mit einer Art Wertschätzung verbunden sein: „Einer der besten in dem, was du tust“.
Und dann steht da auf dieser Urkunde einfach „Nachwuchstalent“.
Du, liebe Medienbranche, warst in diesem Event eines Branchenmagazins repräsentiert durch den Herausgeber. Johann Oberauer hatte schon ganz zu Beginn der Veranstaltung gesagt, dass ihm das „passiert“ sei, und dass man sich das „Nachwuchs“ einfach wegdenken sollte. Aber I call bullshit. Du machst das doch immer so.
Die besten Leute U30 als „Nachwuchs“ zu bezeichnen ist kein Unfall. Es kann nur in einer Branche passieren, in der das Alter die Norm, „Erfahrung“ im Sinne von Jahren am Buckel die einzige Währung ist. Und in der man als junger Mensch, der einfach irgendwas anders machen will als wie man es die letzten 50 Jahre gemacht hat, immer noch belächelt wird.
Was meine Beobachtung war: Die PR-Leute haben das relativ gelassen genommen. Immerhin hat ein Medienmagazin eine Ehrung vorgenommen, von denen es in der PR nicht viele gibt: Eine, die man nicht kaufen oder sonst wie beeinflussen kann. Dass da „Nachwuchs“ dabeisteht, ist relativ nebensächlich, geile LinkedIn-Postings und einen neuen Punkt im Lebenslauf gibt es trotzdem her. Und immerhin haben diese Leute echte Karrieren. Sie sind nicht auf dein Wohlwollen angewiesen, sie müssen nicht so tun, als wäre das alles professionell.
Ich fand das vor allem gegenüber den Journalisten respektlos.
Denn in der Medienbranche macht man als junger Mensch mehrere Jobs gleichzeitig. Und das für einen Bruchteil des Geldes, das die alte Garde bekommt, die zufällig zum richtigen Zeitpunkt geboren wurde und im goldenen Zeitalter von Print groß geworden ist.
Die haben nämlich fette Altverträge, die man kaum kürzen kann, weil andere Medien - ebenfalls besetzt vom Best of der 80er Jahre - zahlen gerne für einen Namen, der ihnen selbst noch aus der Zeit bekannt vorkommt, als Menschen sich für Titelseiten interessiert haben. Im gleichen Atemzug betonen die dann, dass die alte Wiener Zeitung besser war, lachen über die Idee eines TikTok-Accounts und gehen dann zum Tagesgeschäft über: So zu tun, als wären nur alle anderen Medien in der Krise.
Die Jungen dagegen machen die eigentliche Arbeit. Sie können sich nämlich nicht nur darauf zurückziehen, in Leitartikeln und Kommentaren das Tagesgeschehen zu kommentieren und gelegentliche Anspielungen auf die Welt von gestern einzubauen, sondern sie müssen recherchieren. Sie müssen sich noch beweisen und hoffen, von einem „da oben“ gesehen und gefördert zu werden, damit sie vielleicht auch irgendwann den sehr bescheidenen Traum leben können: Für ein durchschnittliches Gehalt 40-60 Stunden arbeiten zu dürfen, im besten Fall sogar mit Vertrag.
Aber die Ungerechtigkeit fängt schon woanders an: Damit, dass junge Menschen eine Grundvoraussetzung erfüllen, die ihre älteren Chefs nicht immer mitbringen: Sie wissen, wie sie mit ihren Arbeitsgeräten umgehen. Liebe Medienbranche: Laptops und Smartphones sind nicht „modern“, sie sind absoluter Mindeststandard für einen Job im Wissensbereich. Und nein, es ist absolut nicht akzeptabel, nicht damit umgehen zu können. Belästige deine jungen Kollegen nicht damit. Die machen gerade deine Arbeit.
Aber die Älteren glauben nicht, dass sie sich daran anpassen müssen. Wenn ich für jedes Mal einen Euro bekommen hätte, wenn ich einem doppelt so alten Kollegen absolute Basics über Handys oder Laptops beibringen musste, könnte ich mein eigenes Medium gründen. Es wäre ausfinanziert über Jahrzehnte.
Wolf Lotter hat eine Erklärung, warum das alles so ist.
Er führt den Zustand der Medienbranche darauf zurück, dass schon in den 80er Jahren von „Scheiß Computern“ die Rede war, dass die Branche sich selbst gegen den Fortschritt abgeschirmt hat.
Jetzt war Lotter zu einer anderen Zeit in der Branche, aber auch ich war noch in einer Redaktion, in der „die Online-Redaktion“ eine eigene Abteilung war, die quasi alle Themen auf einmal abdecken musste, aber eben „für online“. Das passiert, wenn die Digitalisierung auf eine Branche trifft, die in Digital Natives Praktikanten mit Bachelorabschluss sieht. Lotter:
So wurde alles Digitale zum Feindbild, zum Inbegriff des ungeliebten Wandels, und alles Neue ward alsbald als neoliberal verschrien. Damit war man rein umschulungstechnisch aus dem Schneider, so doof konnte man sich gar nicht anstellen, und überdies moralisch überlegen. Nur eine kleine Avantgarde erkannte das Potenzial von Netzwerken für die neue Medienwelt (ich grüße an dieser Stelle den großen Peter Glaser), doch die hörte man nicht, marginalisierte sie.
Das kam mir beim Lesen so bekannt vor, dass es weh tut. Wenn ich Online-Journalismus machen wollte, wurde ich meist eher fragend angeschaut, wenn ich mir neue Formate ausgedacht habe, war der erste Reflex fast immer ein Nein. Ein Trend, der sich so weit zieht, dass er sogar in der PR angekommen ist: „So modern sind die nicht“ ist ein Satz, der mehr als einmal gefallen ist, als es um die Medienbranche ging.
Und so bleibt der Journalismus eben in der Schein-Digitalisierung. Es geht hauptsächlich darum, mit Zahlen zu tricksen und 1-2x im Jahr einen Artikel zu veröffentlichen, dass man am besten mit der Digitalisierung umgehen könne. Zwischendurch werden junge Leute geholt und in Positionen gesteckt, die nach „Chef“ klingen, aber im direkten Gespräch sehr deutlich einfach „mehr Arbeit und Verantwortung für gleich viel Geld“ bedeuten. Wieder Wolf Lotter:
Die Wahrheit ist: Wenn sich alles verändert, dann auch wir, unsere Arbeit, die Organisationen, die Medien selbst, die Art und Weise der Geschäftsmodelle. All das hat sich längst verändert, aber immer noch verhalten sich viele so, als ginge sie das nichts an. An die Stelle der Einsicht tritt der Relaunch, der branchentypische Selbstbetrug, bei dem ernsthafte Veränderungen nicht in Erwägung gezogen werden, dafür die Typo geändert und ein paar Fotografen gefeuert, damit alles ein bisschen anders aussieht, ohne es zu sein.
Muss das alles wirklich so sein?
Warum probieren wir nicht einfach mal Folgendes: Wir sparen die 20.000-Euro-Verträge ein, geben die Hälfte davon an die Jungen weiter und lassen die mal den Laden schupfen? Dann könnten wir auch mal probieren, was dieses Internet wirklich zu bieten hat, und vielleicht sogar überlegen, wie man damit Geld verdienen kann. (Ist nicht so, als würde es da nicht schon erste gute Gehversuche in Österreich geben.)
Das klingt provokant, und es geht mir nicht darum, dass jetzt überall U40-Chefredakteure sitzen müssen. Aber ich glaube, der Generationenwechsel findet viel zu spät statt und wird immer noch belächelt, während er passiert. Wenn junge Leute aufsteigen, dann auch, damit sich ihre älteren Chefs mit ihrer Leistung rühmen können: „Den hab ich entdeckt, die hab ich aufgebaut.“
Und dafür gibt es dann wieder das gleiche: Mehr Verantwortung, neue Titel, alles, nur nicht ein anständiges Gehalt. Und mit „anständig“ meine ich auch einer Führungskraft in einem Medienunternehmen - da ist es mit 1.800 Euro netto nicht getan, auch wenn man davon leben kann. Mir kommt aber vor, dass der Widerstand gegen die Reform der Medienbranche, gegen das, was die Jungen können und wollen würden, noch immer nicht zündet. Und dass wir dabei wertvolle Jahre verlieren.
Für all meine Freunde im Journalismus tut mir das leid. Und ich meine ernsthaft leid. Diese Art von leid tun, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich im Gruppenchat sagen soll, wenn sie eine Horrornachricht nach der anderen aus ihren Unternehmen teilen. Wo nicht nur ein normaler menschlicher Umgang miteinander, sondern auch das Arbeitsrecht komplett ausgehebelt werden. Und damit komme ich zum Punkt.
Liebe Medienbranche, ich verliere langsam die Hoffnung.
Seit ich dich verfolge, hast du die gleichen Probleme, und anstatt sie zu lösen, erfindest du jedes Jahr neue Ausreden.
Dabei bin ich trotz aller Wut und Verbitterung eigentlich immer noch der Meinung, dass es dich bräuchte. Denn nächstes Jahr kommt, wenn man den aktuellen Umfragen glauben darf, Herbert Kickl. Und dann brauchen wir nicht nur eine starke, unabhängige Justiz und andere Institutionen - sondern auch Medien, die nicht mit sich selbst beschäftigt sind, sondern berichten können.
Unter Türkis-Blau hat man ja gesehen, dass das nicht immer so gut funktioniert. Da wurde ganz offen, dass man Journalisten in Medien, „zack zack zack“, austauschen will, dass kritische Chefredakteure „den Weg frei machen“ sollen. Da hat der Chef einer Qualitätszeitung eine eigene Journalistin auf die falsche Fährte geführt, eine Boulevard-Zeitung mit Fake-Umfragen Geld verdient. Und auch die anderen waren zu beschäftigt damit, der „Message Control“ nachzugeben und einfach die Story der Woche zu berichten.
Ich glaube, dass das alles nicht reicht. Aber ich habe ehrlich gesagt keine Erwartungen mehr, dass der nötige Wandel rechtzeitig passiert. Spätestens dann, wenn es eine rechte Regierung gibt, der die Medien scheißegal sind - ihre eigenen natürlich ausgenommen -, wird es wirklich bitter für dich, liebe Medienbranche.
Die Frage ist: Hast du das am Schirm? Und wenn ja: Was bist du bereit, dafür zu tun, dass es besser wird?
Noch mehr Lesestoff
⌛️ Ein Gedankenexperiment zu Österreich-Ungarn. Matthew Yglesias argumentiert, dass das Reich Bestand gehabt hätte - wenn es eben nicht diesen einen Schuss gegeben hätte. Durch den Vorteil einer multi-ethnischen, föderalen Struktur hätte das Habsburger Reich eine Großmacht bleiben können. Solche Spekulationen sind natürlich schwierig: Gibt es ohne den Ersten und Zweiten Weltkrieg überhaupt Atomkraft, wie Yglesias beschreibt? Trotzdem allemal spannend zu lesen.
🌱 Von Hanna Lenitz und mir zu einem Herzensthema: Wie liberal ist Klimaschutz? Mich stört, wenn die Liberalen in Deutschland so tun, als wäre alles, was Geld kostet, illiberal. Denn Freiheit ist keine Flagge, die man in den Boden stampft und für immer absichert. Wer heute auf die „Freiheit“ besteht, dass das Auto besonders laut Brumm Brumm macht, wird morgen vielleicht die Freiheit verlieren, im eigenen Haus zu leben, weil es durch Hochwasser zerstört wird. Wir müssen einen Umgang mit dem Klimawandel finden - und alles abzulehnen, was kurzfristig unbequem ist, wird sicher nicht der liberalste sein.
⚽️ Zur Abwechslung mal Fußball-Content: Ein sehr schönes Portrait über Ralf Rangnick. Mir kommt vor, dass der österreichische Fußball genauso ist wie der Journalismus, die Politik, usw.: Ein System, das es sich in gewohnten Strukturen bequem gemacht hat und dadurch keine nennenswerten Resultate erzielt hat. Zumindest beim ÖFB muss man dazusagen, dass es unter Marcel Koller schon bergauf gegangen ist - aber das Projekt Rangnick ist gefühlt nochmal eine andere Qualität. Er darf im Verband machen, was er will, und ich glaube, damit ist einiges möglich.
Stuff aus dem Internet
Die FPÖ, die sich so stark gegen den „politischen Islam“ ausspricht, trifft sich mit … den Taliban.
Die mentale Gymnastik, die das am Ende wieder erklären soll, ist beeindruckend: „Andere Kulturen dürfen auch ihre Religion haben“. Die FPÖ will eine Festung Österreich, weil alle reinkommenden Muslime ja angeblich Terroristen wären, und trifft sich mit Terroristen - das ist nicht einfach eine „andere Religion“. Mal abgesehen davon, dass Staatsreligionen generell abzulehnen sind.
Wie back in the days für Kolonialismus geworben wurde.
🧐
Das war einmal ein ernst gemeinter Vorschlag.
Ich meine, immerhin Vereinigte Staaten von Europa, quasi.