Medien haben ein Problem - und es heißt nicht Facebook
Es heißt eher "digital immigrants ohne Onlinekonzept".
In Australien gibt es gerade eine medienpolitische Diskussion, bei der wir genau hinschauen sollten. Als Reaktion auf eine angekündigte Digitalsteuer, mit der Unternehmen wie Facebook australische Unternehmen finanzieren sollen, kündigt Facebook nun an, australische Medieninhalte generell zu sperren - zumindest, wenn das Gesetz wirklich so kommen sollte. Auch die Nutzungsbedingungen wurden schon geändert, Zuckerberg lässt die Muskeln (und seinen Quasi-Monopol-Status) spielen.
Und so shady diese Reaktion auch ist: Angefangen hat es mit einem schlechten Gesetz. Und einer Idee, die immer wieder für Verwirrung sorgt.
Warum glauben eigentlich Menschen, die in den Medien arbeiten, dass Facebook ihnen irgendwas schuldet? Das habe ich noch nie verstanden, und jeden Tag, den wir in einer Online-Welt leben, wird das für mich noch absurder. Da sitzen Menschen in Redaktionen, die wirklich glauben, dass sie im selben Markt wie Facebook spielen und dass ohne Social Media nicht nur die Branche gerettet, sondern auch die Welt eine bessere wäre.
(Übrigens: “Facebook” steht in diesem Text einfach mal stellvertretend für “große Social Media-Konzerne”. Sonst müsste ich auf verschiedene Anwendungsfälle eingehen und immer dazusagen, wenn Twitter nicht gemeint ist.)
Also nochmal langsam …
Zeitungen, Fernsehsender oder das Radio konsumiere ich spezifisch, um Medieninhalte zu konsumieren. Die Betonung liegt auf konsumieren. Ich will unterhalten werden oder mich informieren - aber die Kommunikation passiert “one-way”.
Auf sozialen Medien kann ich Medieninhalte konsumieren - nämlich, wenn Medien sie dort zur Verfügung stellen -, bin aber auch für Interaktion hier. Ein Großteil der Interaktion findet zwischen Personen statt, meist auch Menschen, die einander kennen. Facebook ersetzt hier eher die SMS als den STANDARD.
Ein Medium ist ein Unternehmen mit dem klaren Auftrag, Medieninhalte zu produzieren. Damit haftet es auch für redaktionelle Inhalte, die es durch seine Mitarbeiter erstellt. Facebook ist kein Medium. Niemand muss hier Inhalte erstellen, niemand wird dafür bezahlt und Facebook unterstützt nicht automatisch jeden Inhalt, da es nicht für die Erstellung verantwortlich ist. (Und trotzdem gibt es ausführliche Community-Richtlinien, an die man sich halten muss.)
Die einzige Gemeinsamkeit, die beide haben: Sie finanzieren sich durch Werbung. Dabei bietet Facebook detailgenaue Optionen an, wer wann was unter welchen Umständen sehen soll. Traditionelle Medien bieten “Werbefenster” und keine detaillierte Info darüber, wer wann was gesehen hat und wie sich das auswirkt. Dieses Feedback bietet nur Social Media - also warum sollte man so tun, als wäre das gleichwertig?
Vielleicht verstehe ich das auch nicht, weil ich zu jung bin. Wobei mir diese Ausrede auch immer schwerer fällt. Ja, Medien haben mal mehr durch Werbung verdient und ja, jetzt wirbt man eher woanders. Ja, Medien wurden insgesamt mehr konsumiert und ja, jetzt konsumiert man eher andere Inhalte. Aber die Quintessenz des Medienwandels ist nicht, dass sich das geändert hat und das alles furchtbar ist - sondern dass sich die Welt so entwickelt hat, weil sie besser ist.
Social Media hat die Welt verbessert
In den “goldenen Jahren des Journalismus” haben sich Medienschaffende und Werbende gleichermaßen eine goldene Nase verdient. Die meisten Menschen konsumierten den ORF - lange Zeit den einzigen österreichischen TV-Sender - und hatten die ein oder andere Zeitung abonniert. Das war für die Branche gut. Aber war es wirklich besser als das, was wir jetzt haben?
Heute haben wir alle Informationen, die wir je brauchen könnten, in unserer Hosentasche und können darauf zugreifen. Durch Google, Wikipedia und ja, auch durch soziale Netzwerke wie Facebook wird unser Leben einfacher, schneller, bequemer und kurz gesagt auch einfach besser. Das hat übrigens auch eine demokratische, politische Komponente: Jetzt können auch alle mitreden, die früher nie eine Plattform bekommen hätten und auch heute noch nur sehr schwer im Journalismus Fuß fassen könnten.
Ich glaube, die meisten Leute wissen das. Auch, wenn man nicht darüber nachdenkt und das im Alltag nicht oft vergleicht, ist unser Leben durch das Internet besser geworden. Komischerweise gibt es immer noch eine Branche, in der sich teilweise auch Chefredakteure immer noch wünschen, diese Revolution wäre nie passiert und sie könnten einfach wieder davon leben, “Gatekeeper” zu sein und irgendjemand wirds schon lesen wollen. Aber das reicht eben nicht. Es gibt kein Recht darauf, ohne digitales Geschäftsmodell am Markt zu bleiben.
Überlebt die Branche den digital divide?
Meine Sorge ist, dass der digital divide in der österreichischen Medienbranche zu groß ist, um damit umzugehen. Es gibt unzählige Menschen, die das Internet wirklich verstanden haben und gute Ideen hätten, wie man damit umgehen könnte. Es gibt die Menschen, die sich mit digitalen Geschäftsmodellen beschäftigen und auch mal Neues ausprobieren wollen.
Aber es gibt eben auch die, die im Jahr 2020 sagen, sie wollen eine Zeitung machen.
Gerald Fleischmann, der Kanzlerbeauftragte für Medienfragen, hat diese Woche wieder symptomatisch gezeigt, auf welchem Niveau sich die Digitalisierungs-Diskussion in Österreich bewegt: Solange Digitalwerber durch die Digitalsteuer benachteiligt werden und es keine EU-weite Digitalsteuer gibt, sollte man doch lieber bei heimischen Medien inserieren. Tun wir in der Agentur zum Beispiel auch, wenn wir Geschichten haben, die “lokal” interessant sind - aber die unschlagbaren Preise, die permanente Anpassungsmöglichkeit, das genaue Reporting und die unzähligen Targeting-Möglichkeiten liefern mir nun mal nicht die Lokalblätter, sondern große Social Media-Firmen. Die übrigens auch daran arbeiten, Journalismus zu unterstützen.
Warum tun wir so, als wären das ebenbürtige Firmen? Warum tun wir so, als wäre das überhaupt die gleiche Branche? Warum freut man sich nicht einfach, dass man mit Facebook oder YouTube eine potentiell weltweite Reichweite hat, die man monetarisieren könnte? Und warum schreit eigentlich keiner, wenn hohe Angestellte großer Medienunternehmen so tun, als könnten sie mit Facebook auf Augenhöhe konkurrieren?
Online-Journalismus ist 2020 keine Frage des “Ob”, sondern eine des “Wie”. Diese Erkenntnis müsste sich schon längst durchgesetzt haben - aber ich fürchte, dass es bei uns wieder mal länger dauern wird. Es werden noch einige analoge Unternehmen sterben müssen, bevor die Message ankommt: Der Journalismus hat ein Problem. Aber das heißt nicht Facebook.
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