Money Jobs: Eine komplexe Geschichte
Über die Gesellschaft und warum manche mehr verdienen als andere
Heute probieren wir mal was Neues. Einen Weekend Read. Heute gibt’s mal wieder einen längeren, philosophischen Text, der nichts mit Innenpolitik zu tun hat. Oder zumindest nur wenig. Ich hab nämlich das Gefühl, an etwas Interessantem dran zu sein.
Ich habe in letzter Zeit nämlich viel darüber nachgedacht, was eigentlich “meine Berufe” von anderen unterscheidet. Berufe im Kommunikationsbereich - damit meine ich Journalismus, PR, Werbung, aber auch Politik, könnte man im weiteren Sinne als kommunikativen Beruf sehen - gelten ja oft als welche mit relativ hohem Status und aus irgendeinem Grund sprechen wir ihnen besonderen Wert zu.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen diesen Jobs und anderen? Warum sehe ich “meine” Berufe eigentlich per se als “Management-Positionen”, obwohl ich nicht unbedingt jemand bin, den man einfach in irgendeine Management-Position in einer fremden Branche setzen kann? Warum kann man zwischen diesen Branchen wechseln und warum werden sie - im Vergleich zu anderen wichtigen Jobs, z. B. im medizinischen oder im Bildungsbereich - so gut bezahlt? (Okay, das mit dem Journalismus war gelogen.)
Bei einer Late-Night-Diskussion bin ich dabei auf ein Gedankenexperiment gekommen, das ich zur Erklärung mit euch teilen möchte. Es geht darum, warum manche Berufe besser bezahlt werden als andere und warum Medienmenschen immer noch mit hohem Status assoziiert werden, obwohl sie definitiv nicht die wichtigsten Jobs haben. Gedanklich fasse ich diese Berufe immer unter dem Namen “Money Jobs” zusammen, weil es für mich früher unglaublich war, dass ich mal in so einem Bereich erfolgreich sein könnte. Um zu erklären, was diese Jobs ausmacht und warum das alles so ist, wie es ist, muss ich aber ein wenig ausholen. Darum dachte ich mir: Weekend Reading.
Und da ich sonst sehr selten lange Texte schreibe, freu ich mich umso mehr auf euer Feedback. Einfach auf Reply oder am Ende auf den Kommentar-Button klicken. Und falls du noch nicht dabei bist und das hier im Browser liest, kannst du das hier ändern:
Das Paradoxon der Money Jobs
Also. Nehmen wir kurz an, wir wären in einer sehr, sehr kleinen Gesellschaft. Wir können sie im Mittelalter ansiedeln oder in einer postapokalyptischen Zukunft, mir ist egal, warum. Jedenfalls gibt es in dieser Gesellschaft nur um die 100 Menschen. Und die müssen sich jetzt irgendwie alle Berufe aufteilen, die wir eben für unser Zusammenleben in unserer Gesellschaft brauchen.
Wen würden wir am dringendsten brauchen?
Die Reihenfolge ist nicht einfach, und es gibt unzählige Faktoren, die man bei dieser Bewertung beachten muss. Aber meine Prioritätenliste sähe ungefähr so aus:
Jobs, die Nahrung produzieren
Jobs, die unsere Gesundheit sichern
Jobs, die Güter und Waren herstellen können
Jobs, die Energie erzeugen
Damit wären mal die wichtigsten Dinge abgedeckt. In einer Gesellschaft, in der ich mein Essen vom Bauernhof im Ort bekomme, in der ich medizinisch versorgt werde und in der ich mir das besorgen kann, was ich brauche - neben dem Dach über dem Kopf eben noch ein paar Gegenstände, die ich einfach brauche -, kommt eine kleine Gruppe von Menschen ungefähr aus. Aber mit mehr Leuten werden Gesellschaften komplexer. Es braucht mehr Berufsgruppen.
Jobs, die unsere Sicherheit schützen - z. B. die Polizei
Jobs, die definieren, was erlaubt ist und was nicht - Politik und Recht
In einer Gesellschaft mit 100 Leuten hätte ich vielleicht noch keine Polizei gebraucht. Und keine Instanz, die mir sagt, was erlaubt ist und was nicht. Aber ab da, wo ich nicht mehr jeden um mich herum kenne und Dinge nicht mehr sozial lösen kann - sagen wir mal ca. 1000 Leute - brauche ich eine höhere Instanz. Und eben dadurch neue Berufsgruppen.
Fällt euch auf, dass ich “Money Jobs” bisher nicht erwähnt habe?
Die kommen nämlich erst im nächsten Schritt. In einer relativ kleinen Gesellschaft, in der man jeden kennt oder zumindest sehr leicht Informationen über sein Umfeld bekommen kann, da “jeder jeden kennt” - zumindest über einen Umweg - braucht es noch nicht zwangsläufig Journalisten. Und Werbung schon gar nicht. Wofür soll man denn werben, wenn es einen Bäcker, einen Metzger und eine Eisdiele gibt, die sich gegenseitig nicht kannibalisieren?
Das ist für mich das Paradoxon der Money Jobs. Die Jobs, auf die man relativ lange verzichten kann, bringen mehr Geld und Status als viele andere, die wir von Anfang an gebraucht haben.
Leben mit Komplexität
Aber der Grund ist relativ einfach. Money Jobs lösen Probleme, die erst in einer komplexen Gesellschaft entstehen. Die Geburt der Zeitung mag im Wesentlichen mit dem Printmedium als Propagandamaterial von Autoritären verbunden sein - aber der erste Journalist, nämlich der erste echte Journalist, war sehr wahrscheinlich einfach irgendein Typ, der genug Informationen hatte, um damit Geld zu verdienen.
Wir müssen uns vorstellen, dass unsere Gesellschaft aus dem Gedankenexperiment wächst. Wir sind aufgewachsen mit knapp über 100 Leuten, aber innerhalb von zwei Generationen wurden es 10.000. (Wirtschaftswunder, I don’t know.) Irgendwann wird die Lage zu unübersichtlich, um alles mitzubekommen, was ich wissen muss!
Wenn ich ein Unternehmen habe und Einnahmen verliere, habe ich vielleicht keine Ahnung, warum. Ist ein Konkurrent in die Stadt gekommen?
Oder ich expandiere und suche jemanden, der etwas sehr Spezifisches kann - aber ich kenne keinen, und auch nicht “jemanden, der jemanden kennt”.
Auch abseits der Wirtschaft kann ich nicht mehr einfach jeden fragen. Hat irgendjemand meine Katze gesehen, die vor ein paar Tagen entlaufen ist?
Genau da kommen Menschen ins Spiel, die Kommunikationsberufe machen. “Irgendwas mit Medien” halt.
Den ersten Medienmenschen stellen wir uns einfach mal als jemanden vor, der in einer Taverne (weil Mittelalter/Postapokalypse) sitzt und von jedem anderen auf ein Bier eingeladen wird. Und zu dem man weiß, dass man zu ihm gehen kann, wenn man etwas wissen will. Wir kennen diese Typen heute noch. In jedem gesellschaftlichen System - in einer Schule, in einer Stadt, in einem Staat - gibt es diese Leute, die einfach so viele Leute kennen, dass sie allein durch ihre Connections wertvoll sind. Und die man anrufen kann, wenn man Probleme hat.
Genau diese Leute kannst du Dinge fragen, die du aufgrund der “steigenden gesellschaftlichen Komplexität” nicht weißt. (Achtung: Euphemismus für “du kennst halt nicht die richtigen Leute.”)
Money Jobs in der großen Gesellschaft
Und wenn Gesellschaften wachsen, braucht es eben auch mehr als nur einen Typen. Dann braucht es mehrere Leute, die viele Leute in vielen Bereichen kennen. Diese könnte man heute “Ressortchefs” nennen oder schlicht: Journalisten. Der Kernberuf eines Journalisten ist immer noch, komplexe Themen so zu verstehen, dass man es auch denen erklären kann, die davon keine Ahnung haben. Zusatz für Nicht-Feuilleton-Journalisten: Und das in einer so vereinfachten Form, dass es jeder verstehen kann.
Unsere Gesellschaft hat jetzt 100.000 Menschen. Und es gibt längst nicht mehr den einen Menschen, der alle anderen 99.999 kennengelernt hat. Dafür gibt es wahrscheinlich die ein oder andere Zeitung, deren Angestellte ihre Ohren in alle Richtungen offen halten. Die dir dann zusammenfassen, was in jedem relevanten Bereich um dich herum passiert.
Hier kommen die nächsten Money Jobs ins Spiel: Marketing und PR. Denn jetzt gibt es längst nicht mehr nur einen Bäcker, sondern eher 100. Und viele wollen es werden, aber wissen nicht, wie sie Kunden gewinnen sollen - die haben ja alle schon einen Bäcker.
Also gibt es Menschen, die theoretisch vom selben Schlag sind - nämlich einfach Menschen, die viele Leute kennen und mit Information arbeiten -, die etwas sehr Ähnliches machen wie Journalisten: Sie sagen dir, was in deiner Umgebung passiert. Und sie sorgen dafür, dass das auch in allen Zeitungen steht. Kommunikationsberufe dienen also dazu, in das Leben von Menschen involviert zu sein, die man nicht persönlich kennt.
Und wer zahlt für diese Informationsarbeit, für diese Werbung? Unternehmen. Unternehmen, die groß genug sind. Unternehmen, die nicht nur noch aus drei Freunden bestehen, die sich zusammengetan haben, sondern die eigene Manager haben. Manager, das geläufigere Wort für Money Job, meint in der Regel jemanden, der organisiert, plant und entscheidet. Jemanden mit Führungsverantwortung. Jemanden, der aufgrund der hohen gesellschaftlichen Komplexität nötig ist, da man nicht mehr alles micro-managen kann.
Seht ihr, worauf ich hinaus will? “Money Jobs” sind wertvoll, gerade weil sie nur in einer komplexen Welt funktionieren. Wenn wir nach einer Apokalypse die Gesellschaft neu aufbauen, ruft niemand zuerst nach einem PR-Berater - aber wenn sich die Dinge zum Positiven entwickeln, die Gesellschaft neu aufbauen und die Menschen nicht mehr überblicken, was alles um sie herum passiert, werden sie umso relevanter.
Warum Money Jobs besser verdienen
Die allerersten Berufe auf der Prioritätenliste - Ärzte, Bauern, Handwerker - scheinen wir in eine Kategorie zu stecken, die man mit “kann jeder lernen” abschieben kann. Und das stimmt auch, zu einem gewissen Grad. Viele Dinge kann man recht einfach lernen, und die ersten Handwerker waren auch sicher einfach Leute, die lang genug ausprobiert haben, bis sie richtig gut darin waren, etwas zu bauen oder zu reparieren.
Aber das ist bei Money Jobs nicht anders. Der Unterschied ist: Diese Jobs skalieren.
Und ja, “skalieren” ist ein nerviges Buzzword aus der Tech-Welt. Was ich meine ist: In vielen “Money Jobs” korreliert die Menge an verdientem Geld nicht mit der Menge an produziertem Gut.
Die 100 Bäcker in unserer Gesellschaft können für ihre Produkte eine Preistabelle erstellen, mit der sie gut leben können. Aber im Endeffekt richtet sich ihr Verdienst nur danach, wie viel Brot sie verkaufen. Ich als PR-Berater werde aber nicht nach der Anzahl von Menschen bezahlt, die ich erreicht habe. Sondern nach dem, wie viel “Wert” meiner Arbeit zugemessen wird.
Was besonders an Berufen ist, die mit Information arbeiten: Sie sind gewissermaßen von Natur aus Management-Jobs. Ich werde nicht mein Leben lang besser darin werden, sagen wir, mehr Presseaussendungen in weniger Zeit zu schreiben. Ich werde größere Projekte mit mehr Verantwortung bekommen, und meinem Rat wird dadurch mehr Wert zugesprochen. Aber der Workload steigt nicht zwangsläufig im gleichen Ausmaß wie mein Verdienst. Einfach, weil die Arbeit mit Informationen einem rein subjektiven Wert unterliegt.
Das Gleiche ist bei vielen Management-Berufen der Fall. Ein “Manager” ist auch nichts anderes als jemand, der nicht nur selbst operativ arbeitet, sondern andere einteilt. Wer Mitarbeiterverantwortung hat, macht vielleicht selbst weniger Arbeit am Projekt - aber in der gleichen Arbeitszeit “managt” er mehr Arbeit, als er in seiner eigenen Zeit schaffen würde. Der Workload kann gleich bleiben: Man kann einen Entry-Level- und einen Management-Job mit 40 Stunden machen. Aber sowohl die Anzahl der erledigten To-Dos als auch der Wert der Arbeit für das Unternehmen steigen enorm.
Fazit und Ausblick
Wirkt das alles banal? Das ist es vielleicht auch. Denn an und für sich ist es nicht so schwer zu verstehen. Aber wann nimmt man sich schon die Zeit und zoomt raus aus der eigenen Perspektive, um die historisch gewachsene Gesellschaft zu verstehen?
Im öffentlichen Diskurs führen wir immer wieder Debatten, wieso Lehrer und Mediziner so wenig verdienen, irgendwelche “Manager” aber so und so viel. Und die Antwort ist: Weil ihr Job komplex ist. Weil sie gesellschaftliche Komplexität reduzieren. Arzt zu sein ist auch komplex, vom Skillset her sicher auch anspruchsvoller als die meisten Medienjobs. Aber der Wert, den wir diesem individuellen Beruf zumessen, den man sich anlernen kann und mit dem man nur das steuert, was man in der eigenen Arbeitszeit schafft - der variiert stark.
Das heißt nicht, dass das so sein muss. Ich bin nicht der Meinung, dass ich überbezahlt bin, aber ich bin definitiv der Meinung, dass viele Money Jobs überbezahlt sind. Wer einmal einen alten Journalisten-Vertrag gesehen oder auch nur davon gehört hat, rückt schnell ein paar Stufen nach links. Aber ich glaube es ist wichtig zu verstehen, woher diese Unterschiede kommen und was eigentlich die Leistung dahinter ist, “Manager” zu sein. Es ist die Leistung, ein Skillset zu haben, das in so vielen verschiedenen Winkeln unserer Gesellschaft wichtig ist, um die Komplexität zu kompensieren, die mit sauvielen Leuten einhergeht. Dazu kommen immer fachliche Argumente, branchenspezifische Eigenheiten, aber im Wesentlichen ist es das.
Warum arbeiten dann nicht alle in Money Jobs? Zuerst mal weil wir dann alle verhungern würden. Aber vor allem, und das ist die komplexere Antwort, weil das auch etwas mit Privilegien zu tun hat. In einem Bildungssystem, das uns rät, uns auf einen Bereich zu konzentrieren und im Wesentlichen einen Beruf zu lernen - oder zumindest ein Berufsbild, eine Branche - muss man es sich leisten können, sich auf generelle menschliche Skills zu konzentrieren und seine Karriere darauf aufzubauen.
Nicht jeder kann Arzt werden, das braucht eine lange, standardisierte Ausbildung. Aber jeder kann in die Werbung gehen, wenn man nur gute Ideen hat und weiß, worauf es ankommt. Aber “herausfinden, worauf es ankommt” - zumindest, um viel Geld zu verdienen in Jobs, die wir als Gesellschaft schätzen -, das braucht viel Zeit und wenig materiellen Druck.
Ich glaube jedenfalls, endlich verstanden zu haben, warum die wichtigsten Jobs unserer Gesellschaft oft nicht die sind, die am besten bezahlt werden. Für mich als jemand, der sich selbst in einem “Money Job” sieht, ist das nicht unbedingt eine schlechte Nachricht, und ich weiß auch noch nicht, was ich mit diesem Wissen machen werde. Aber ich denke, wir sollten es alle wissen.
Wenn ihr diesen Long Read genossen habt - oder wenn er viel zu lang und konfus war - drop me a line, antwortet auf diese E-Mail, schreibt mir auf Social Media oder einfach hier:
Damit einen schönen Start ins Wochenende