Wenn ihr ähnlich tief in der Innenpolitik-Bubble seid wie ich und am Montag um 18:30 auch keine anderen Hobbies hattet, habt ihr vielleicht auch die Pressekonferenz von Bundeskanzler Nehammer verfolgt. Und wenn ihr doch etwas Besseres zu tun hattet (good for you), dann habt ihr vermutlich zumindest danach diverse Berichte zu "irgendwas mit einer Pressekonferenz und Personenschützern" mitbekommen.
Anlass der Pressekonferenz - wie so oft mit verspätetem Start, um es noch in die ZIB1 zu schaffen - waren Vorwürfe gegen den Kanzler und seine Frau Katharina Nehammer. Ihr Name wird übrigens auch sonst nirgends anonymisiert, da sie bis 2020 im Kabinett von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner war und daher keine Unbekannte in der Innenpolitik ist.
Ich will die Vorwürfe aber gar nicht verstärken oder skandalisieren. (Das Zeitfenster hätte ich eh verpasst.) Mir geht es eher darum, dass ich den Eindruck habe, dass der Kanzler mit einer Pressekonferenz, nach der niemand gefragt hat, Argumente entkräftet hat, die niemand gebracht hat - um damit geschickt das Thema zu wechseln.
Was ist eigentlich das Problem?
Zuerst ging es um einen betrunkenen Autounfall von zwei Angehörigen der Spezialeinheit Cobra, die als Personenschützer des Kanzlers und seiner Familie eingesetzt werden. Danach kam es aber, wie so oft, zu einem "anonymen Schreiben", indem es mehrere Vorwürfe gab. Den Brief kann man im Volltext auf der Parlaments-Website nachlesen.
Ganz kurz gefasst: Die Cobra-Beamten sehen nicht ein, dass sie auf die Kinder des Kanzlers aufpassen und Routinetätigkeiten ausführen müssen. Sie sollen z. B. zur Post und Wäscherei geschickt worden sein. Zumindest Letzteres gehört definitiv nicht zu den Aufgaben einer Spezialeinheit - wenn der Brief authentisch ist, fühlt sich der Autor also völlig zurecht gefrotzelt.
Der Vorwurf aus der Opposition und den Medien - was für die ÖVP oft dasselbe ist -, lautet also, dass hier staatliche Ressourcen fragwürdig eingesetzt werden. Fair enough, würde ich sagen, sofern die Post-Touren wirklich passiert sind.
Kommen wir aber jetzt dazu, wie der Kanzler in dieser Situation kommuniziert.
In besagter Pressekonferenz am Montag wehrte sich Nehammer gegen die Vorwürfe - und gegen Punkte, die so niemand gebracht hat.
Zuerst ging es ihm darum, wie schlimm es sei, dass aus anonymen Quellen irgendwie abgeleitet werde, dass seine Kinder kein Recht auf Schutz hätten. Damit hat er übrigens zu 100 % recht! Und noch besser: Niemand, wirklich niemand, wollte der Kanzlerfamilie das Recht auf Personenschutz nehmen. Dass die Familie eines der wichtigsten Politiker unseres Landes darauf einen Anspruch hat, ist völlig klar. Das stand nie zur Debatte.
Aus diesem Punkt - der erfunden ist - baute Nehammer dann sein Narrativ auf. Und es ist dasselbe wie immer: Die böse Opposition (wieder im breiten ÖVP-Sinn des Wortes verstanden) würde in die unterste Schublade greifen und alles tun, um die Kanzlerpartei zu attackieren. Emotional ist es sehr verständlich, wenn man ihm glaubt, dass es um den Schutz seiner Familie geht. Aber da diesen niemand in Frage gestellt hat, ist das eher eine Nebelgranate.
Warum eigentlich eine PK?
Der Meta-Spin ist aber besonders spannend. Bereits zu Beginn der Pressekonferenz beschwerte sich Nehammer, warum wir uns in Krisenzeiten überhaupt mit solchen Themen beschäftigen müssen. Gleich zwei Einwände dazu:
Wenn man sich ansieht, was die österreichische Bundesregierung unter “Krisenmanagement” versteht, wäre ich mit diesem Szenario eher vorsichtig.
Dann ... mach doch einfach keine Pressekonferenz dazu?
Nochmal: Es geht um unbewiesene Vorwürfe, ob die Personenschützer, die niemand in Frage stellt, auch wirklich für das Richtige eingesetzt werden. Das ist vieles, aber keine Staatskrise, zu der sich der Bundeskanzler unbedingt äußern muss. Im Normalfall sollte eine Presseaussendung dafür ausreichen, wenn man mutig ist geht man in die ZIB2 und sagt etwas dazu. Aber Nehammer lädt zur PK - und sorgt damit selbst dafür, dass es zum Thema wird.
Also zuerst etwas thematisieren und sich dann beschweren, dass es doch wichtigere Probleme gibt? Das klingt vielleicht dumm, aber es scheint zu funktionieren: Mehrere Medien und namhafte Journalist:innen, die diese Spins in der Regel durchschauen, übernehmen die Bemerkung in den Einleitungen ihrer Artikel und fragen laut, ob wir denn keine anderen Probleme hätten.
Nehammers Pressekonferenz hat also alle Ziele erreicht.
Der Kanzler wirkt als Opfer eines Angriffs, weil die Sicherheit seiner Kinder in Frage gestellt werde. (Was nicht stimmt.)
Die eigentlichen Vorwürfe - fragwürdiger Einsatz von steuerfinanzierten Personenschützern - ist kein Thema mehr.
Ganz Österreich fragt sich, ob wir denn wirklich keine anderen Probleme haben - und schaut zukünftig nicht mehr genau hin, wenn irgendwo das Wort "Personenschützer" steht.
Das ÖVP-Playbook, die permanente Opferrolle und das Argumentieren gegen Punkte, die niemand ernsthaft eingebracht hat, hat sich diese Woche also wieder mal ausgezahlt. Wenn ich in der ÖVP-Kommunikation arbeiten würde, würden bei mir die Sektkorken knallen. Aber vielleicht ist dieser Text ja mein bescheidener Beitrag dazu, dass in Zukunft weniger Leute darauf reinfallen.
Bis zur nächsten Nebelgranate
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Stuff von Twitter
Den ersten müsst ihr auf Twitter als Thread lesen. Wenn man die Ironie nicht checkt, ist das sonst unglaublich merkwürdig.