Österreich sperrt langsam wieder auf. Die britische Variante dürfte sich - mit ein paar Ausnahmen aus Südafrika - weitgehend durchsetzen und die Pandemie damit insgesamt ansteckender machen. Und während sich bereits jetzt wieder über 2.500 Leute am Tag anstecken, reden wir weiter über Lockerungen.
Willkommen in der schwierigsten Phase der Pandemie, in der die nächsten Wochen entscheidend sein werden.
Erstmal: Was FÜR Lockerungen spricht
Bevor ich wieder darauf eingehe, was alles falsch läuft und “Wir werden alle sterben”-Szenarien aufstelle: Es gibt schon auch einige Gründe, warum das funktionieren könnte. Könnte.
Auch, wenn das Impfen nur im beschämenden Tempo voranschreitet, muss man sagen: Es geht etwas weiter. Zwar sind nur 6 % der Menschen in Österreich zumindest durch eine Dosis geschützt - aber das sind eben jene, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf der Intensivstation landen würden, nämlich die in Alten- und Pflegeheimen.
Gleichzeitig wird auch medizinisches Personal bereits fleißig geimpft. Das heißt - hoffentlich! -, dass die Intensivstation besser auf die nächste Welle vorbereitet ist. Wenn wir uns nicht davor fürchten müssen, dass Ärzte und Pfleger krank werden, ist viel gewonnen.
Dazu kommen die Temperaturen. Wenn sich mehr Menschen draußen treffen können, stecken sie sich indoor nicht an. Das haben die “Eskapaden” am Donaukanal im Sommer gezeigt: Die wurden zwar von vielen Nicht-Donaukanal-Gehern verurteilt, dürften aber nicht viel zum Infektionsgeschehen beigetragen haben.
Und dann natürlich noch die Test-Strategie: Wenn mehr Menschen getestet werden, können sie isoliert werden, bevor sie andere anstecken können. Dieses Contact-Tracing hat z. B. Südkorea schon sehr früh in der Pandemie umgesetzt.
Es ist also nicht so, dass die Politik einfach sämtliche Expertenratschläge ignoriert, wenn sie Lockerungen ankündigt. Die Argumente dafür sind da. Es fehlt mir allerdings noch etwas der Glaube daran.
Testen trifft auf Eigenverantwortung
Denn Österreich hat schon öfter brav getestet. Und momentan steht noch nicht fest, welche Art von Test für welche Aktivität ausreichen wird. Wenn die Lösung im Raum steht, auch Selbsttests zuzulassen, halte ich es mit Florian Aigner und bleibe lieber weiterhin zuhause.
Denn wir müssen uns zumindest mit einer Wahrheit beschäftigen, die sich im Laufe der Pandemie immer wieder bestätigt hat: Dass Menschen dumm und egoistisch sind. Ein Jahr nach dem Ausbruch der ersten Corona-Fälle in Österreich laufen immer noch unzählige Menschen ohne Maske herum und sind der Meinung, dass sich alle Wissenschaftler, Mediziner, Politiker, Journalisten und Experten aller Richtungen irren, weil ihnen ein Minion-Bild auf WhatsApp etwas anderes erzählt hat.
Das sind Tatsachen, mit denen wir arbeiten müssen. Darum bin ich dafür, dass man Lockerungen immer möglichst pessimistisch plant und Maßnahmen im Zweifelsfall etwas strenger. Wir kennen den Deppen-Faktor, der die pandemische Gleichung immer in Richtung schlimmer korrigiert. Aber die Politik traut sich das oft nicht auszusprechen, weil niemand den “Menschen da draußen” sagen will, dass sie es halt einfach nicht zusammenbringen.
Darum ist auch die “Testweltmeisterschaft” allein noch kein Argument. Tests bringen nur etwas, wenn wir auch die Ressourcen und die Rechtslage haben, um sicherzustellen, dass positiv getestete Menschen nicht weiterhin andere anstecken. Dass es Leute geben wird, die sich selbst testen und das Ergebnis verschweigen, die nur behaupten, sich getestet zu haben oder bei denen die verzweifelten Dienstleister mal ein Auge zudrücken, weil “wird schon passen” - dafür haben wir noch keine Lösung einkalkuliert.
Die Fehler vom Herbst wiederholen sich
Dabei drohen wir, den exakt gleichen Fehler zu machen wie im Herbst. Der zweite Lockdown kam - auch im Vergleich zu anderen Staaten - viel zu spät, weil man den Menschen eben ungerne ihre neu gewonnene Freiheit zum wiederholten Mal wegnimmt. Na logisch: Wenn man ihnen schon einen Ausweg bietet, der an klare Bedingungen geknüpft ist, dann muss man sich auch vonseiten der Politik daran halten, oder?
Leider ändert sich die Antwort auch hier durch den Deppen-Faktor. Wir alle können uns an alle Regeln halten, uns jeden Tag testen und unser normales Leben genießen - wenn sich ein Arschloch nicht testet oder irgendwie an den Regeln vorbeischummelt, war das alles umsonst. Und dann muss man wieder Maßnahmen treffen. Das ist eine unpopuläre Entscheidung, vor allem für laute Corona-Leugner. Aber die Folgen kann man gut aus dieser Grafik aus dem Dashboard der AGES ablesen:
Nur, um das zu verdeutlichen: Am Höhepunkt der ersten Welle (März-April 2020) gab es 1.050 Fälle am Tag. Im Oktober gab es täglich 1.000 Fälle am Tag, ohne zuzusperren. Dafür gab es im November und Dezember keinen einzigen Tag mehr, an dem nicht mindestens 1.000 Fälle registriert wurden - auch im Lockdown. Wer sich mit 1.000 am Tag abfindet, riskiert, wieder auf die 10.000 pro Tag zuzugehen.
Ausblick
Wir stehen also wieder mal am Scheideweg, wieder vor der “schwierigsten Phase der Pandemie”. Und diesmal haben viele das Gefühl, dass es das letzte Mal sein könnte, da wir im Sommer bei niedrigen Infektionszahlen durchgeimpft werden. Wie also wird das aussehen?
Das rational wahrscheinliche Szenario lehrt uns die Erfahrung: Wer den Österreichern einen Finger hinhält, verliert die ganze Hand. Dort, wo Eigenverantwortung als Lösungsansatz gilt, wird vieles nicht funktionieren, und am Ende wird das Infektionsgeschehen durch Superspreader und Vollidioten wieder in Höhen steigen, die neue Verschärfungen unausweichlich machen.
Oder das mit dem Testen klappt. Zumindest einigermaßen. Wenn die Zahlen im März nicht eskalieren und wir uns in den wärmeren April retten, während wir weiterhin genug Risikogruppen durchimpfen … dann könnte das klappen. Dafür bräuchten wir aber - und ja, ich paraphrasiere wieder Anschober - diesen “Spirit vom März", in dem wir ein echtes Zusammenhaltsgefühl hatten. Das sehe ich durch Corona-Leugner und die allgemein aufgeheizte Stimmung als eher unrealistisch an. Und da nehme ich mich nicht aus.