Wenn ich Wahlkampf für eine Regierungspartei machen würde, dann würde ich wohl auf eine dieser zwei Möglichkeiten setzen:
Ich erzähle von den Erfolgen, die meine Partei in der Regierung erreicht hat, um zu zeigen, dass sie funktioniert.
Ich erzähle davon, was wir in der Zukunft erreichen wollen, um einen konkreten Plan zu geben, was besser werden kann.
Interessant finde ich, dass die ÖVP in Niederösterreich beides komplett unversucht lässt.
Warum auch auf Inhalte setzen?
Immerhin hat sich das Wahlplakat mit Kalendersprüchen mittlerweile in der Politik durchgesetzt. In Wien gehe ich seit der Machtübernahme von Gernot Blümel zu Kurz-Zeiten an Plakaten vorbei, auf denen konkrete politische Vorschläge wie „Unser Weg für Wien“ oder „Frohe Weihnachten“ stehen.
Mittlerweile plakatiert auch die ÖVP Niederösterreich in Wien – wenn man Niederösterreicher:innen erreichen will, muss man eben dort plakatieren, wo sie arbeiten. Aber auch diese Plakate werden nicht unbedingt aussagekräftiger: „Mit ganzem Herzen Niederösterreich“ oder „Blau-Gelb, was sonst?“ lösen in mir eigentlich nichts aus, außer mich daran zu erinnern, dass dieses Bundesland existiert. Aber ich bin auch nicht die Zielgruppe.
Jetzt könnte man böswillig unterstellen: Vielleicht haben sie nichts erreicht, was man vorzeigen kann, und vielleicht hat man keine konkreten Pläne für die Zukunft. Das wäre natürlich böswillig und nicht meine Absicht. Immerhin hat Johanna Mikl-Leitner in ihrer Rede, die zum viralen Erfolg wurde, korrekt gesagt:
„Es steht viiiiel auf dem Spiiiiel.“
Und für die ÖVP Niederösterreich stimmt das auch. Denn ich glaube, diese Rede, die hauptsächlich Häme abbekommen hat, ist gar nicht schlecht. Sie ist nur nicht an die Bürger:innen gerichtet, sondern an die Funktionärsbasis.
Für die Volkspartei geht es nämlich wirklich um viel. Nicht, weil sie ernsthaft denken, dass Rot-Blau eine Gefahr ist - allen Umfragen zufolge hat die ÖVP immer noch einen riesigen Vorsprung auf beide Parteien. Sondern weil sie wohl ihre Absolute verlieren werden. Und damit könnte eine der letzten stabilen schwarzen Hochburgen wackeln.
Niederösterreich, das gehört im ÖVP-Selbstverständnis so sehr zur eigenen Partei die der Bauernbund, der CV und die Raiffeisen. Dieses Land kann gar nicht anders wählen, es steht selbstverständlich dafür, wie die Partei Politik macht - durch Leute kennen, gemeinsam im Dorf etwas trinken gehen und feiern, und zwischendurch schießen Gemeinde und Land etwas zum Privatvergnügen dazu. Solange niemand lästig nachfragt, funktioniert das auch ganz gut.
Aber das System ÖVP bröckelt.
Mehr und mehr stellt sich heraus, dass sich die normalen Menschen durchaus für Korruption interessieren und beim Wahltag einen Denkzettel dafür verpassen. Mehr und mehr stellt sich heraus, dass das Dorffest mit dem Bürgermeister allein keine Wahl mehr gewinnt, wenn das Dorf eine zersiedelte Gemeinde ohne Infrastruktur ist, in dem der Mann auf das Auto angewiesen ist, während die Frau mangels Kinderbetreuung daheim bleiben muss. Und mehr und mehr zeigt sich auch, dass kein Kalenderspruch der Welt etwas daran ändern kann.
Darum setzt die ÖVP neben ihren inhaltsleeren Ansagen, in denen sie Land und Partei weiter vermischen will, zumindest auf eine Forderung: Sie will die Kinderbetreuung ausbauen. Wie, weiß man allerdings noch nicht.
Es ist spannend, was sich in den letzten Jahren beim Thema Kinderbetreuung getan hat. Als NEOS in den Nationalrat eingezogen ist, war das für viele ein Orchideenthema, das nur die SPÖ in Wahlkampfzeiten entdeckt hat, um konsequent an der ÖVP zu scheitern. Mittlerweile ist es eine so offensichtliche Forderung, dass sie als das sicherste Thema gilt, um im Wahlkampf dazuzugewinnen - so verstehe ich zumindest die Strategie, dass nach Niederösterreich auch Salzburg kurz vor der Wahl ankündigt, 3- bis 6-jährige vormittags kostenlos zu betreuen.
Das ist ein Agenda-Setting-Erfolg und damit eine gute Nachricht. Die Frage ist nur, ob das wirklich etwas bringt. Es kann genauso gut sein, dass die Kinderbetreuung 2023 gleich endet wie die „Landarzt-Garantie“ 2018: Als Ankündigung für einen kurzfristigen Boost, der dann in der Realität nicht ankommt. Wähler:innen haben ein schlechtes Gedächtnis, und vor allem ambitionierte Forderungen kann man leicht aussitzen.
Und sonst so?
Man merkt, dass ich mich hier nur an der ÖVP abputze, aber natürlich gibt es auch andere Parteien. Das Blöde ist, dass die Konstellation sonst dieselbe ist wie im Bund und es deshalb nicht viel Neues zu erzählen gibt. Gehen wir’s in aller Kürze durch:
Die Sozialdemokratie wirft der ÖVP Korruption vor, damit ihr nur der bekannte Konter „aber die SPÖ“ bleibt. Außerdem wirbt Franz Schnabl ähnlich inhalts- und visionslos mit „die rote Hanni“ – ein Plakat, das es im Selbstverständnis der SPÖ aber „gar nicht gibt“, weil es ja nicht ausgedruckt war.
Es ist aber das gleiche Spiel, das SPÖ und ÖVP auch im Bund spielen: Sich gegenseitig die Schuld zuweisen und Dinge vorwerfen, die in der gleichen Riesenpartei irgendwo auch vorkommen. Bei jedem der Sozialdemokraten Verweis auf Korruptionsermittlungen im Bund zeigt die Volkspartei auf Wien, beide werfen sich parteinahe Vereine, Postenschacher und eine historisch gewachsene Machtlogik vor. Und am Ende sind beide im Sumpf und bieten ein unwürdiges Schauspiel. Das schreibt übrigens auch HEUTE-Chefredakteur Christian Nusser:
Erstaunlich, wie wenig sich die Politik eigentlich bewusst ist, welches Bild sie in der Öffentlichkeit abgibt. Mehrere Tage hintereinander wurde man diese Woche in der ZiB 1 mit Berichten über den ÖVP-Untersuchungsausschuss belästigt, weil sich die Parteien mit Kindergarten-Cop Andreas Hanger nicht auf Termine für Sitzungstage einigen konnten. Auf Termine für Sitzungstage! Alle starren wie gebannt auf die Umfragen und auf die Studien über Politikerfrust und wundern sich, warum das Land so denkt und momentan so wählen würde. Ist schon jemand auf die Idee gekommen, einmal die Bilder der Kindergartenstreitereien und der Umfragen übereinander zu legen?
Eine ähnliche Situation - begleitet mit ähnlichen Umfragen in Bund - hatten wir übrigens auch schon 2014-2016.
Und der große Gewinner, wenn beide Altparteien sich unwürdig streiten, ist damals wie heute die FPÖ.
Denn zumindest ihr kann man vieles vorwerfen, aber nicht Inhaltslosigkeit. Wer FPÖ wählt, weiß genau, was man bekommt: Politik „gegen de Ausländer“, Politik gegen Europa, Politik gegen Impfungen und Politik gegen die Realität. Die gute alte Zeit, die man sicher mit ein paar einfachen Versprechen wiederherstellen kann, kann so nah sein.
Sie ist übrigens eine von nur zwei Parteien mit Rückenwind, wie eine Umfrage des STANDARD zeigt:
Die anderen sind NEOS. Und damit beginnt der biased part dieses Newsletters.
Dass wir in Niederösterreich Rückenwind haben, ist logisch. Antikorruption ist NEOS-Thema, und Korruption gehört zu diesem Land wie Niederösterreich zur ÖVP. Momentan stark, aber nicht zwangsläufig für immer. Die Grünen haben zwar auch ihr Saubermann-Image, aber das leidet durch die Koalition mit der beschuldigten Partei zu stark, um etwas davon mitnehmen zu können.
Rückenwind haben die zwei Parteien, die auch mit Inhalten in diesen Wahlkampf gehen.
Klar, das liegt auch an der Stimmung gegen die Bundesregierung, und klar, das liegt auch daran, dass die SPÖ es einfach nicht besser kann. Aber es ist schon bezeichnend, dass weniger als die Hälfte der antretenden Parteien einen inhaltlichen Wahlkampf fährt und den Wähler:innen sagt, was man bekommt, wenn man sie wählt.
Für Niederösterreich wäre es extrem wichtig, eine starke Oppositionspartei zu haben, die ein klares inhaltliches Profil hat. Ich hate die Grünen normalerweise sehr selten in diesem Newsletter, aber in Niederösterreich kommt mir nicht so vor, als wären sie die richtige Partei dafür. (Auch, wenn ich ihnen den Verbleib im Landtag natürlich wünsche – davon ist aber auszugehen.) Wenn du diesen Text liest und in Niederösterreich wählen kannst: Das bedeutet, NEOS zu wählen.
Am Schluss noch ein paar Predictions zum Ende dieses inhaltsleeren Wahlkampfs:
Die ÖVP wird ihre absolute Mehrheit verlieren. Je nachdem, wie stark sie verliert - sie hat ja in Tirol schon vorgemacht, wie man kalkulierbare Verluste zu einem Erfolg umdeutet -, werden etwas später Köpfe rollen. Vor allem Sobotka, der in Niederösterreich wie kein anderer für die Vorgänge im Bund steht, wird früher oder später sein Amt niederlegen müssen. Aber eher später, immerhin stehen direkt nach Niederösterreich noch zwei Landtagswahlen an.
Die FPÖ wird gewinnen und vielleicht sogar vor der SPÖ landen. Rot-Blau wird sich aber trotzdem nicht ausgehen. NEOS überholt die Grünen und legt zu.
Und am Ende kommt wieder eine schöne Proporzregierung raus, bei dem alle für etwas zuständig sein dürfen – diesmal vielleicht sogar inhaltlich und nicht nur offiziell.
Optimal wäre natürlich, wenn die FPÖ nicht Zweiter wird und die ÖVP besonders stark verliert. Aber davon gehe ich nicht aus. Ich hoffe auf ein gutes Ergebnis für NEOS und eine geschwächte Mikl-Leitner.
Also: Wählen gehen!
Noch mehr Lesestoff
📺 Der ORF Niederösterreich sollte uns auch nach der Wahl noch interessieren. Immerhin wurden dort in letzter Zeit Vorwürfe laut, die nach Hofberichterstattung aussehen. Landesdirektor Robert Ziegler soll regelmäßig gefordert haben, Mikl-Leitners Wortmeldungen noch in den Beitrag zu bringen, in „Niederösterreich Heute“ kommt sie - sogar verglichen mit dem Vorsprung im letzten Wahlergebnis - deutlich überproportional vor. Dahinter steckt das „Anhörungsrecht“, das Landeshauptleute haben, bevor ein neuer Landeschef für den ORF kommt. Ein Relikt, das schleunigst abgeschafft gehört.
🥸 Ich hab den Tagespresse-Typen interviewt. Ich verfolge Fritz Jergitsch und die Tagespresse, seit ich in der Schule war. Es ist für mich extrem spannend, dass ein Unternehmen in Österreich durch Humor so lange 1) überlebt und 2) die Qualität hält. Jetzt hat er ein „sinnloses Volksbegehren“ gestartet, das zeigen soll, wie sinnlos Volksbegehren sind. Darüber und über seine Rolle im politischen Österreich reden wir in der Materie.
🤖 Neues an der AI-Front. Microsoft will ChatGPT in Word, E-Mails und mehr verwenden. Das wäre huge, weil es Textverarbeitung für so viele Menschen, die jetzt noch nicht wahnsinnig tech-affin sind, fundamental verändern würde. Momentan interessieren künstliche Intelligenzen ein paar Nerds und Medienmenschen. Wenn es so schnell in die Programme kommt, die Millionen von Menschen verwenden, wird das Produkt sofort massentauglich – und die Entwicklung wird noch schneller gehen. Mehr zu AI habe ich hier geschrieben.