Letzte Woche bin ich wieder mal über eine Nachricht gestolpert, die mich an der Medienkompetenz mancher Journalisten und sonstiger seriöser Stimmen zweifeln ließ.
Es ging um Kritik an der deutschen Ampel-Koalition. Die ist zwar weder selten noch unberechtigt in letzter Zeit, aber es geht davon, woher sie kommt: Wladimir Putin hat den Deutschen ausgerichtet, dass ihre Politik nicht selbst denken kann, sondern fremdbestimmt werde. Ein klassisches verschwörungstheoretisches Stereotyp - massenhaft unkritisch verbreitet.
Dass linke und rechte Accounts diese Meldung zum Anlass nehmen, über die deutsche Regierungs-Performance zu reden, ist wenig überraschend. Aber dass einige Journalisten den Spin übernommen haben, das enttäuscht. Bleiben wir kurz bei den Fakten, was passiert ist, hier zitiert aus dem oben gezeigten SPIEGEL-Artikel:
Der russische Präsident Wladimir Putin hat offenbar mächtig gegen die deutsche Regierung ausgeteilt. Nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass sprach Putin vor jungen Wissenschaftlern davon, Deutschland müsse Anweisungen der eigenen Verbündeten schlucken und könne keine eigenen Entscheidungen treffen.
Dass unter die Entscheidungen, die Deutschland angeblich so fremdbestimmt trifft, auch starke Hilfe für die Ukraine und ein Ausstieg aus russischem Gas stehen, ist ein günstiger Kollateralschaden für Putin: Sollen die Deutschen nur diskutieren, ob das wirklich so g’scheit war. Die AfD, gegen die sogar unsere FPÖ manchmal noch gemäßigt wird, steht ja bereit – und die CDU, die nicht zufällig vor Kurzem ihre Farbe auf Türkis geändert hat, wahrscheinlich auch.
Diese Meldung ist gefundenes Fressen.
Einerseits für Fake-Profile, die in russischem Auftrag Desinformation an ihre acht Follower teilen und Journalisten einschüchtern – aber andererseits auch für Leute, die wirklich im Luxus der westlichen liberalen Demokratie ihre Meinungsfreiheit nutzen, um ein totalitäres System zu loben.
Denn die sehen Putins Äußerungen als seriös an, immerhin glauben sie ihm mehr als (leicht abgekürzt) jedem Menschen mit Ahnung. Wenn ein großes Reich wie Russland eine schlechte Meinung von Deutschland habe, dann sei das doch nur ein Beweis dafür, dass die Ampel-Regierung längst weg gehöre. Oder? Oder?!
Alleiniges Ziel der Meldung ist, die Trolle zu füttern.
Er weiß, dass ihm im Westen zurecht niemand mehr zuhört, der nicht aktiv gegen Demokratie, Freiheit und Menschenrechte arbeitet. Links- und rechtsextreme Parteien mögen ihn, in Österreich verstecken sie sich hinter einem Neutralitätsbegriff á la „Wenn ich Russland nicht sehe sieht es mich auch nicht“, aber dann ist auch schon Ende der Diskussion. Freundschaften gibt es keine zu verlieren, aber Feindschaften genug. Und die will Putin mit solchen Äußerungen ausnutzen.
Ich bin zwar auch der Meinung, dass es um den intellektuellen, rhetorischen und vor allem moralischen Standard in der Politik schon mal besser bestellt war – wobei das jetzt eher auf Österreich als auf Deutschland bezogen ist –, aber ich würde diese grundsätzliche Sorge nicht ganz ernst nehmen, wenn sie von Putin kommt. Denn Demokratien haben etwas, das Russland nicht hat: Einen Selbstkorrektur-Mechanismus.
Wenn die Deutschen nach vier Jahren von der Ampelkoalition genug haben, wird sie abgewählt und die Mehrheit ändert sich. Wenn die Russen nach 23 Jahren von Putin genug haben, werden sie es nie erfahren – denn die Wahlen werden manipuliert, Oppositionelle werden unterdrückt, zensiert, eingesperrt oder umgebracht. Das ist der kleine, aber feine Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen.
Jetzt weiß ich schon, dass das kaum Putin-Freunde überzeugen wird.
Aber ich glaube, wer Österreich für eine Diktatur hält, aber Russland für eine Demokratie, ist so weit von der Wirklichkeit entfernt, dass jeder Kontakt längst sinnlos geworden ist. Genauso gut könnten wir darüber reden, ob die Erde eine Scheibe ist, ob die Regierungen der Welt einen geheimen Plan zur Bevölkerungsreduktion verfolgen, ob Hillary Clinton das Blut von Kindern trinkt oder ob Chips in den Covid-Impfungen stecken. Alles Verschwörungstheorien, die in der Herbert-Kickl-Blase geteilt werden. Aber das ist nicht meine Bubble.
Mir ist nur wichtig, dass wir die Mechanismen dahinter verstehen, wenn wir über Nachrichtenmeldungen wie „Putin lästert“ reden.
Die Kritik an deutscher Politik kostet Russland nichts – solange Deutschland nicht aktiv in einen Krieg einsteigt, gibt es keine Möglichkeit, wie die Beziehungen zwischen den beiden Ländern noch schlechter werden könnten. Der russische Diktatur macht solche Aussagen nur, um Munition für seine Freunde in anderen Ländern zu liefern. Also in Deutschland: Um Sahra Wagenknecht, die Linke und vor allem die AfD zu stärken.
Und in Österreich ist das genauso. Auch hier werden wohl einige rechte Accounts, die ich auf X/Twitter seit Ewigkeiten stummgeschaltet habe, Putins Kritik als seriös darstellen. Wir sollten das aber nicht aufnehmen, um ernsthaft der Regierung die Kompetenz abzusprechen – da gibt es ungefähr 700 Millionen bessere Anlässe dafür. Sondern wir sollten darauf hinweisen, dass man nicht ernst zu nehmen ist, wenn man die Aussagen eines Diktators für bare Münze nimmt.
Wenn wir also das nächste Mal hören, dass die Diktaturen der Welt unsere langweiligen Demokratien nicht für voll nehmen, sollten wir festhalten:
Wir können das regelmäßig ändern, indem wir die Regierung abwählen – das ist eine zivilisatorischer Errungenschaft, die wir uns nicht nehmen lassen und die jede Belehrung aus autoritären Staaten lächerlich macht.
Selbst wenn es ein Problem gibt, wissen wir wahrscheinlich wegen ausreichender Transparenz davon, von der man in Staaten wie Russland oder China nur träumen kann. Dort würde man im wahrsten Sinne des Wortes lieber töten, als Fehler offenzulegen.
Viele der Dinge, die Putin und Freunde als „Probleme“ sehen, sind Fortschritte: Die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Trennung von Kirche und Staat, das selbstbestimmte Leben ohne staatlich verordnete Tradition. Dieser Weg ist nicht abgeschlossen, aber in demokratischen Gesellschaften darf man ihn wenigstens gehen.
Get the Fuck out of Ukraine.
Sonst übernehmen wir nur das Narrativ der Extremen, dass Russland ein seriöser Staat sei, dessen Präsident ein ernstzunehmender Politiker ist, von dem wir in Sachen Werte oder Performance etwas lernen können. Und anders als die Verschwörer-Bubble glaube ich, dass das Bullshit ist.
Wie immer gilt: Lasst euch nicht verarschen.
Noch mehr Lesestoff
🇷🇺 Towarisch Kickl on the Horizon. Österreich rühmt sich ja oft für seine internationalen Organisationen. Bei der OSZE kamen wir jetzt nicht zum Zug, weil uns bald die russland-freundlichste Regierungsvariante droht. Stattdessen wird es jetzt eben Malta. Auch bitter, gegen Malta zu verlieren.
👓 Ein Kissinger-Rückblick, den man lesen kann. Ich halte Kissinger nicht für einen guten Menschen, aber einen intelligenten Realpolitiker, aus dessen Büchern ich viel über internationale Politik gelernt habe. Zwischen „ein Diplomat, der die Welt verändert hat“ und „Kriegsverbrecher stirbt endlich“ war viel Platz bei vorproduzierten Kissinger-Nachrufstexten. Aber den hier fand ich einigermaßen sachlich.
🫰 Die politische Schutzgeldzahlung. Ich geb euch keinen Hinweis darauf, was in diesem Text steht, außer dass er von mir ist und dass das der Titel ist. Worum könnte es wohl gehen? Lest hier rein.