Österreich hat keinen Krisenmodus
"Schauma moi, donn segma eh" bringt niemanden durch ernste Situationen
Wir haben uns eh schon darauf geeinigt, dass wir in einer Krisenzeit sind und unser Leben auf absehbare Zeit nicht besser wird, oder? Gut, das ist nämlich ein bisschen die Prämisse dieses Textes: Österreich befindet sich gerade in mehreren Krisen. Corona-Krise (verschlafen), Klima-Krise (baby steps) und jetzt auch Ukraine-Krise. (1.300km Luftlinie)
Andere Staaten reagieren auf diese Krise angebracht. Deutschland investiert nicht nur in die Bundeswehr, sondern auch in Erneuerbare. Diese nennt Finanzminister Lindner übrigens “Freiheitsenergien”, weil sie dabei helfen, vom russischen Regime unabhängig zu werden.
Und in Österreich? Wir machen das eigentlich wie immer. Wir schauen uns die Situation einfach mal an und schauen, was sich ergibt.
Als gelernter Österreicher weiß ich, dass ich eigentlich nichts erwarten darf. Aber es ist schwer, sich in diesen ersten Krisen, die ich in diesem Land als politisch engagierter Mensch erlebe - während der Finanzkrise war ich 14 - zu beobachten, wie schwer sich unsere Politik damit tut, offensichtlich richtige Entscheidungen zu treffen, wenn sie gerade wirklich dringend wären. Zum Beispiel:
Warum wird nicht schleunigst daran gearbeitet, auch schlecht angeschlossene Gebiete an das öffentliche Verkehrsnetz anzubinden?
Wieso wird nicht schnellstmöglich daran gearbeitet, die Verfahrensdauer für Projekte in den Bereichen Wind- und Wasserkraft zu verkürzen?
Was genau tut Österreich, um sich auf eine Zeit vorzubereiten, in der wir kein russisches Gas mehr beziehen können oder wollen?
Diese Fragen sollten an erster Stelle stehen. Trotzdem hört man dazu erstaunlich wenig Substanzielles. Österreichische Regierungspolitiker:innen geben sich da oft gerne als “Vermittler” und täuschen vor, internationalen Diskursen beizuwohnen, in denen sie in der Realität maximal eine Randnotiz sind.
Dabei folgt auch gerne der Verweis auf die Neutralität. Geframed wird sie gerne als eine “Vermittlerrolle” - so, als würde Vladimir Putin die Friedensverhandlungen jederzeit persönlich in einem EU-Staat abhalten, der ihn mit Sanktionen belegt, aber gleichzeitig eben sein Gas kauft, was sich ja ungefähr ausgleicht. De facto hindert uns unser falsches Verständnis der Neutralität daran, ein relevanter Faktor zu sein. Sie bedeutet nur, nicht militärisch einzugreifen. Verstanden wird sie aber oft als “Wir dürfen keine Meinung haben, sonst werden wir angegriffen und geschluckt”. Der letzte Punkt könnte stimmen, hat mit unserer Meinung zur Neutralität aber wenig zu tun.
Jedenfalls drückt sich die österreichische Politik um entschiedene Lösungen und scheint die internationalen Probleme einfach nicht so ernstzunehmen wie … ernstzunehmendere Regierungen. Warum das passiert, ist aber auch nicht schwer herzuleiten.
Österreichs Politik ist historisch mit Russland verbandelt. In ÖVP, SPÖ und FPÖ gibt es die “Putin-Versteher”, in der FPÖ sind sie vermutlich sogar in der Mehrheit und an den wichtigsten Stellen. Das Interesse der Sozialdemokratie an Russland ist wohl auch historisch begründet - der Weg der “Sozialistischen Partei” war lange von der Freundschaft zur sozialistischen Sowjetunion geprägt -, aber ist auch durch diverse Verstrickungen in österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaften alive and well. Und die ÖVP? Die dürfte hauptsächlich das Geld sehen: Russland ist nicht nur für die teil-staatliche OMV wichtig, sondern auch in Form von Immobilien- und Hotelbesitz, auch in schwarz dominierten Gegenden.
Ein ernsthaftes Bekenntnis zur Energiewende ist gerade von ÖVP auch ohne Russland nicht zu erwarten. Der Grund dafür dürfte eine Mischung aus dem Einfluss der Gas-Lobby und der traditionellen Verweigerungshaltung und Ignoranz sein. Umweltschutz wird in vielen Kreisen immer noch als Thema für “Ökos” gesehen, die einem “das Auto verbieten wollen”. (Friendly reminder: Darum geht es nicht. Es geht darum, dass dein Auto die Umwelt nicht kaputt machen soll, dass du eine Alternative in Form von Öffis hast und dass beides für dich leistbar werden muss.)
Die FPÖ muss sich vermutlich immer noch erst entscheiden, ob es die Klimakrise wirklich gibt oder ob das nicht auch wieder eine Bill-Gates-Lüge ist. Sie bedient das Lager der Verschwörungstheoretiker:innen und ist damit erste Anlaufstelle für alle, die den Klimawandel leugnen. Außerdem ist sie viel zu verbandelt mit Russland, um ernsthaft irgendetwas dagegen unternehmen zu wollen - bis vor Kurzem gab es einen aktiven “Freundschaftsvertrag” zwischen den Freiheitlichen und der Putin-Partei, blaue Politiker ließen sich mit der Moskauer Elite gerne blicken. Von ihr ist, wie in so vielen Bereichen, nichts Konstruktives zu erwarten.
Ein Grundproblem im Umgang mit Krisen in Österreich ist, dass unsere Mentalität nicht gerade förderlich ist. “Schauma mal, dann segmas eh” mag zwar gemütlich sein - aber wir können nicht abwarten, bis sich alle anderen europäischen Länder entschieden haben, das absolute Notwendige zu tun, bevor wir überhaupt in die Gänge kommen. Österreich ist ein Land des Kompromisses, des Proporzes und der langen Prozesse. Das ist demokratiepolitisch nicht schlecht, es bringt uns gut durch Friedenszeiten. Aber wenn Krise ist, muss das schneller gehen. Es fehlt uns leider an Politiker:innen, die das genauso sehen.
Kurz gefasst: Was ich mir erwarten würde, ist ein ernsthaftes Bekenntnis zur Energiewende mit schnellen Maßnahmen und Investitionen, um uns von der Abhängigkeit Russlands zu lösen. Wir müssen die Fehler der Vergangenheit aufarbeiten und uns von Putin abgrenzen. Was ich aber realistisch erwarte ist, dass weitergewurschtelt wird. Immer relativieren, immer abwarten, die Situation “ganz genau beobachten” und dann blöd schauen, wenn es wirklich brennt. Denn völlig egal, wie Putins Krieg weitergeht - die Klimakrise holt uns so oder so ein, wenn wir nicht schnell handeln.
Noch mehr Lesestoff
🌎 There is No Liberal World Order. Die Expertin für autoritäre Regime schreibt im ATLANTIC einen guten Artikel darüber, dass man Freiheit und Demokratie auch verteidigen muss. Einer ihrer Punkte springt mir in letzter Zeit besonders oft ins Auge: “Take Democracy Seriously.” (The Atlantic)
There is no natural liberal world order, and there are no rules without someone to enforce them. Unless democracies defend themselves together, the forces of autocracy will destroy them. I am using the word forces, in the plural, deliberately. Many American politicians would understandably prefer to focus on the long-term competition with China. But as long as Russia is ruled by Putin, then Russia is at war with us too. So are Belarus, North Korea, Venezuela, Iran, Nicaragua, Hungary, and potentially many others. We might not want to compete with them, or even care very much about them. But they care about us. They understand that the language of democracy, anti-corruption, and justice is dangerous to their form of autocratic power—and they know that that language originates in the democratic world, our world.
Ansonsten heute leider nicht viel Lesestoff, weil ich in letzter Zeit mit anderen Dingen beschäftigt war. Von einem kann ich euch bald erzählen, das andere sind Bücher. Aktuell lese ich Why Liberalism Works von Deirdre Nansen McCloskey, bisher kann ich es sehr empfehlen.