In meinem letzten Newsletter habe ich mich der #oevpkrise gewidmet, die durch die veröffentlichten Chatprotokolle aus dem ÖVP-Umfeld wieder in den Fokus rückt. Meine These ist, dass es zwar eine Krise gibt, aber dass die Volkspartei da schon wieder rauskommt. Am Wahltag interessiert sich keiner mehr für die österreichische Beteiligungsgesellschaft, die Eigentümerstruktur der Casinos Austria oder den Schwager der Büroleiterin des Kanzlers.
Eine Frage kam aber in Diskussionen zum letzten Update immer wieder auf. Ein Punkt, der immer wieder in Polit-Debatten vorkommt. Sinngemäß lautet er: “Die sind eh alle gleich.”
“Die anderen machen’s ja auch”
Man kennt diesen Reflex. Kaum geht in einer ÖVP-Regierung etwas schief, kommt im ersten Satz ein SPÖ-Politiker vor. Die Postenschacher der einen Seite werden schnell relativiert, indem man darauf hinweist, dass andere es auch machen. Und dass Sozialdemokraten in der Vergangenheit sich nicht damit zurückgehalten haben, ihren eigenen Einfluss mit parteiischen Besetzungen zu erweitern, steht wohl fest. Aus einem ähnlichen Kalkül wurden auch die aktuellen Chatprotokolle gezielt lanciert - mit einem Verweis auf den roten ÖGB-Chef Wolfgang Katzian.
Das Problem ist auch gar nicht, dass versucht wird, das umzudeuten. Da machen die Kommunikationsmenschen von Parteien einfach ihren Job. Das Problem ist, wenn die Öffentlichkeit am Ende Menschen als Hauptfiguren einer Korruptionsgeschichte sieht, die darin nur eine Nebenrolle spielen. Die ÖVP ist da übrigens nicht nur Täter, sondern auch Opfer: Die FPÖ arbeitet seit langem daran, Sebastian Kurz zu einer Art “Mittäter” der Ibiza-Affäre zu machen. (Wie gscheit das ist, wenn man währenddessen versucht, Ibiza zu verharmlosen? Ich weiß ja nicht.)
Am Ende ist es oft schwer, den Überblick zu behalten. Aber schwarze Postenbesetzungen in schwarzen Ministerien, die durch Chatprotokolle schwarzer Beamter mit schwarzen Politikern belegt werden, sind dann doch immer noch relativ leicht einzuordnen. Die Frage ist also für mich eher nicht, ob sie denn alle gleich sind. Sondern ob das ein Argument ist.
Und was, wenn alle es falsch machen?
Für mich ist es nämlich eher keines. Nur, weil sich alle Parteien falsch verhalten, heißt das nicht, dass ich dieses Verhalten als Staatsbürger nicht mehr beurteilen sollte. Der Verweis auf rote - oder im aktuellen Fall auch grüne - Besetzungs-Sünden ändert nichts daran, was aktuell diskutiert wird. Und ist im Fall der Roten auch, zumindest argumentierbar, weniger relevant: Wir müssen Christian Kern nicht mehr abwählen, wenn wir gegen Postenschacher sind.
Dazu kommt die Dimension des Problems. Die Grünen sind zwar auch nicht frei von den klassischen parteipolitischen Reflexen, die wir in Österreich kennen - aber sind sie im selben Ausmaß pro Postenschacher wie andere? Wie sieht es mit der SPÖ aus? Kann man das heute noch vergleichen, oder ist da eine Partei zumindest “sauberer” als die andere? (Es ist eine wirklich offene Frage. Ich weiß es nicht.) Und können wir noch kurz anmerken, dass es eine Parlamentspartei gibt, die noch nicht die Chance hatte, sich zu beweisen?
“Es ist halt einfach schwierig”
Vielleicht ist Österreich auch zu klein, um das Problem wirklich zu sehen. In einem Land mit 8 Millionen Einwohnern, wo gefühlt jeder jeden kennt, kann man schnell mal einen Gefallen einfordern. Wenn ich in die Politik gehe, werden ganz normale Treffen mit Freunden schnell shady, weil es dann ein problematisches Näheverhältnis von Journalisten mit einem Politiker gibt. Wie geht man damit um, wenn man sich schon ewig kennt und erst danach in Machtpositionen sitzt? Wo hört der zwischenmenschliche Gefallen auf und wo fängt staatliche Compliance an? Und hoffen wir nicht alle irgendwie, dass wir dann auch mal durch unsere Connections bevorzugt werden?
Ich weiß, wo ich in dieser Diskussion stehe. Ich bin gegen Postenschacher, auch wenn ich davon profitieren würde. Aber das sagt sich so einfach, denn gleichzeitig habe ich einem Freund jetzt einen Job gecheckt, indem ich einfach derjenige war, der den Lebenslauf mit Empfehlung abgeschickt hat. Nicht im staatlichen Bereich, aber trotzdem irgendwie Freunderlwirtschaft, oder?
Darum wirken wahrscheinlich auch die Ablenkungsversuche so gut. Wenn ich selbst in meinem Leben von Freunderlwirtschaft profitiere - oder zumindest in einer Position bin, in der sie mir mal helfen könnte -, und eh alle gleich sind … sollte ich mich nicht einfach damit abfinden, dass es so halt einfach läuft?
Fazit
Ich glaube nicht. Ich sehe ein, dass die Beurteilung von mutmaßlicher Korruption und die Abgrenzung von Postenschacher und Netzwerken schwierig ist. Aber ich bin nicht bereit, mich damit abzufinden, dass Österreich “einfach so ist”. Sollte die ÖVP jemals in die Opposition kommen, stehe ich auch nicht an, eine rot-grün-pinke Regierung zu kritisieren, wenn sie ihre Günstlinge in staatliche Führungspositionen schickt. Weil das einfach etwas anderes ist als im Privatbereich, und weil man sich doch trauen sollte, auch moralische Standards zu haben.
Wir sollten uns jedenfalls bemühen, in diesem Wirrwarr aus Nebelgranaten und “aber die anderen auch” zu verstehen, wer genau was genau falsch gemacht hat. Postenschacher ist sicher nicht das einzige Thema, das uns da zu beschäftigen hat - es ist angesichts des Impfversagens der Bundesregierung sogar sicher nicht das wichtigste -, aber wir sollten das in die Wahlentscheidung einbeziehen. Sonst glauben die am Ende wirklich noch, dass sie “alle so sein” dürfen. Wenn sie es nicht schon längst tun.
Und nebenbei: Wenn es jetzt wirklich vier Parteien gäbe, bei denen alle gleich wären - ich wüsste ja, was ich wähle. 😉
Damit einen schönen Start ins Osterwochenende!