2013 sind die NEOS mit wenig Medienberichterstattung und geringen finanziellen Mitteln das erste Mal zu einer Wahl angetreten. Nur sieben Jahre später sind sie so weit, dass sie in zwei Landesregierungen vertreten sind. Nach Salzburg könnte künftig auch Wien pink regiert werden. Auch, wenn man immer darüber redet, wie langsam die NEOS wachsen - das ist schon eine beachtliche Geschichte.
Aber man weiß natürlich nicht, wie sie ausgeht. Die Grünen machen im Bund gerade vor, wie es ist, als kleine Partei von einer großen aufgerieben zu werden. Und auch als jemand, der die NEOS gewählt hat, mache ich mir Sorgen, dass sie sich gegen die SPÖ zu wenig durchsetzen können und danach abgestraft werden. Aber bis dahin ist noch Zeit. Reden wir kurz über Gewinner und Verlierer.
Schwarz-Grün vs. Rot-Pink
Einer der großen Gewinner ist natürlich die SPÖ. Ludwig hat mit den NEOS einen wahrscheinlich billigeren Partner gekriegt als die Grünen. Laut einigen Journalisten soll Ludwig nicht nur in Verkehrsfragen Probleme mit Hebein gehabt haben, und ihre nicht abgestimmten Forderungen im Wien-Wahlkampf haben die Stimmung nicht verbessert. Außerdem wird die SPÖ das ungeliebte Thema Schulen wohl outsourcen können. Soll heißen: Das nächste Mal, wenn man über die Probleme im Zusammenleben an Wiener Schulen redet, könnte nicht Michael Ludwig Schuld sein, sondern Christoph Wiederkehr.
Für die NEOS ist die Lage schon komplizierter. Einerseits darf sie mitregieren, was natürlich gut für sie ist. Andererseits ist sie eine kleine Partei mit nur einem Stadtrat, die mit dem Riesenthema Transparenz angetreten ist. Die SPÖ Wien ist nicht gerade für offene Parteikassen bekannt - und wenn sich die NEOS da nicht durchsetzen, droht ihnen ein ähnliches Dilemma wie den Grünen im Bund, die gerade Flüchtlingskinder in Moria frieren lassen.
Einen netten Nebeneffekt hat diese Koalition auch für die ÖVP. Diese kann jetzt einerseits darauf verweisen, dass sie mitregieren wollte, aber die SPÖ sich ja leider anders entschieden habe - was niemand im Vorfeld ernsthaft angezweifelt hätte. Und ihr Koalitionspartner im Bund ist den Sozialdemokraten nicht mehr zu Höflichkeit verpflichtet. Jetzt könnten die Grünen jede Kritik am Regierungskurs mit “aber die SPÖ” kontern - und damit die ÖVP-Strategie mitspielen. Sollte die rot-pinke Koalition etwas werden, gibt es dann zwei klar definierte Lager: ÖVP/Grüne vs. SPÖ/NEOS.
Hoffnung und Risiken
Davon könnte auch die FPÖ profitieren. Denn wenn sich die vier Parteien, die sich zumindest ungefähr um die Mitte bewegen - wenn man die Grünen nicht als Linksaußenpartei sieht (which I don’t) - die gesamte politische Debatte aufteilen, können die Freiheitlichen Fundamentalopposition spielen. Dort gibt es allerdings gerade einen ganz anderen Richtungsstreit - aber wenn sich Kickl durchsetzt, könnte er die nächsten Jahre großen Spaß daran haben, SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos als eine Art monolithischen Block der Nichtstuer darzustellen.
Und das ist nicht der einzige Nachteil, der dadurch droht. Die neue politische Landkarte sorgt nämlich auch dafür, dass das Duell “Wien vs. Bund”, das während der Corona-Krise wieder und wieder geführt wurde, noch härter gespielt werden kann - denn die Grünen stehen nicht mehr auf beiden Seiten. Solche Aktionen und gegenseitige Schuldzuweisungen helfen niemandem - streitende Politiker mag keiner, und die Bürger baden eher die Folgen dieser sinnlosen Konflikte aus. Und gerade in einer Pandemie, in der die Millionenstadt mit U-Bahnen naturgemäß härter getroffen wird als die ÖVP-dominierte Peripherie, könnten wir uns dieses Hickhack wirklich ersparen.
Ich versuche jedenfalls, diesem Experiment positiv entgegenzusehen. Obwohl ich skeptisch bin, wie viel Transparenz mit der SPÖ wirklich geht. Um die Begrünung des Naschmarkt-Parkplatzes tut es mir zwar trotzdem Leid - ja, ich bin auch Grätzel-Wähler -, aber an und für sich spricht für mich nichts dagegen, dass eine “sozialliberale” Koalition ziemlich geil sein könnte. Bleibt zu hoffen, dass die NEOS nicht zum Spielball der Parteipolitik im Bund werden und sich auch gegen den großen Regierungspartner durchsetzen können.
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