Schwarz-Blau: Denselben Schmäh nochmal, und los!
Es gibt keine offensichtlichere Lüge als das Nein der ÖVP zur FPÖ.
Schwarz-Blau liegt in der Luft.
Nicht nur in Umfragen, sondern auch auf der Weststrecke, wo von Salzburg bis Niederösterreich jetzt 3x die ÖVP mit der FPÖ regiert. Und obwohl deutlich sichtbar ist, dass die Volkspartei sich jedem anbiedert, der ihr die Macht möglichst billig erhält, geht sie nach wie vor mit dem Spin raus, dass sie doch eigentlich nichts mit den Freiheitlichen gemeinsam hätte. Ein durchschaubarer Spin – den es immer wieder zu widerlegen gilt.
Es begann in Niederösterreich.
Die FPÖ hat eine Zusammenarbeit mit Mikl-Leitner explizit ausgeschlossen, Mikl-Leitner wiederum eine mit Udo Landbauer. Ein smarter Move, weil sie den Freiheitlichen immer noch die Möglichkeit zur Spaltung lässt: „Wenn ihr regieren wollt, müsst ihr nur euren Chef austauschen.“
Genau das gleiche versuchte aber die FPÖ nach dem überraschenden Scheitern der Koalitionsgespräche mit der SPÖ. Überraschend wohl für beide Seiten: Die ÖVP hatte einfach damit gerechnet, die Absolute zu verlieren, und die SPÖ hatte nicht damit gerechnet, dass ihre roten Linien für die Volkspartei wirklich schlimmer sein würden als Schwarz-Blau. Josef Votzi schreibt dazu im TREND:
Mit dem Sager vom „Handabhacken“ lieferte Neo-SPÖ-Chef Sven Hergovich nicht nur den Schwarz-Rot-Skeptikern der ersten Stunde in der ÖVP ein schlagendes Argument für den Ausstieg. Schon Tage davor ging in ÖVP-Verhandlerkreisen die Erzählung um: Die junge SPÖ-Truppe um Sven Hergovich sei bis zuletzt überzeugt gewesen, dass FPÖ-Chef Kickl seinem NÖ-Statthalter Landbauer untersagt habe, der jahrelangen blauen Intimfeindin Johanna Mikl-Leitner die Mauer zu machen.
Als der VP-Co-Verhandlungsführer Jochen Danninger dann bei der SPÖ telefonisch das Aus der Verhandlungen avisierte, vernahm er bei diesem Telefonat im Hintergrund nur schallendes Gelächter. Verbunden mit der kecken Ansage: „Meldets euch dann halt, wenn’s wieder weitergeht.“ Nicht nur in der SPÖ hielt sich hartnäckig der Glaube: Die FPÖ werde Mikl-Leitner in Koalitionsgesprächen nur als willfährig vorführen, am Ende aber spektakulär fallen lassen.
Und so sah es auch lange Zeit aus. Die FPÖ drehte das Machtspiel um: Während Mikl-Leitner eigentlich darauf abgezielt hatte, den Freiheitlichen den Spitzenkandidat abzuschießen, sah es nach der Wahl eher danach aus, als müsste die ÖVP jemand neuen finden. (Der Name Jochen Danninger kursierte da z.B.)
Und trotzdem kam irgendwie das angeblich unwahrscheinlichste aller Szenarien raus: Dass die Parteien, die sich persönlich wie inhaltlich nicht ausstehen konnten, die sich gegenseitig explizit ausgeschlossen haben und das zu ihrem wesentlichen USP gemacht haben … all ihre Wahlversprechen brechen.
Interessant finde ich in dieser Geschichte übrigens die Rolle von Sven Hergovich, der die SPÖ Niederösterreich direkt nach der Wahl übernommen hat. Er hatte nämlich – anders als die Salzburger – schnell eine gute Antwort darauf und betonte, an was es genau mit der ÖVP gescheitert sei. Ich bin dabei zwar auch nicht mit allem einverstanden: Aber dass sich Mikl-Leitner lieber für eine (vermutlich rechtswidrige, aber definitiv depperte) Anbiederung an das Lager der Corona-Leugner entscheidet als für … Kinderbetreuung? Das sollte lange hängen bleiben.
Denselben Schmäh gab es in Salzburg nochmal.
Dort aber mit anderen Vorzeichen: Weil man Wilfried Haslauer, der ja immer um sein bürgerlich-intellektuelles Image bemüht war – und das man ihm auch einigermaßen abkauft, so fair muss man sein –, einfach nicht zugetraut hätte, mit der FPÖ zu koalieren. Das Narrativ: Er sei einer der „Anständigen“, der klassischen Schwarzen. Die ÖVP hatte sogar mal überlegt, ihn zum Präsidentschaftskandidaten zu machen. So einer würde doch nicht den niederen Drängen der Macht nachgeben. Es ginge ihm ja vor allem um seine „Legacy“. Und darum, nach seiner Polit-Karriere Chef der Salzburger Festspiele zu werden.
Well, falsch gedacht. In Salzburg wurde genau das gleiche Playbook durchgezogen wie in Niederösterreich, nur noch intellektuell beleidigender. Denn hier wurden nicht mal Koalitionsgespräche mit der SPÖ gestartet, die man dann mit fadenscheinigen Ausreden beenden konnte – die angebliche Alternative zu Schwarz-Blau war eine „Allianz für Salzburg“, also eine Dreierkoalition aus ÖVP, FPÖ und SPÖ.
Der Schmäh daran: Die ÖVP braucht nur eine der beiden Parteien für eine Koalition. Es wäre sich sowohl Schwarz-Rot als auch Schwarz-Blau ausgegangen. Warum also sollte einer der beiden Juniorpartner die Macht mit einem unnötigen Zweitpartner teilen? Der Druck lag vor allem bei der SPÖ: Sie bräuchte unbedingt ein Erfolgserlebnis, will aber auch mitten in der Mitgliederbefragung keinen Präzedenzfall für eine „Rot-Blau-Debatte“ geben.
Und das wussten auch alle Beteiligten. Also taten die Freiheitlichen so, als würden sie diese Fantasie realistisch finden und akzeptieren – wissend, dass Haslauer bei erster Gelegenheit so tut, als wäre es mit den Roten leider, leider nicht möglich gewesen. Dabei muss man aber immer festhalten: Es. hätte. die. Blauen. nicht. gebraucht.
In Niederösterreich wie in Salzburg darf man davon ausgehen, dass wir nach Strich und Faden verarscht wurden. Jeder wusste, dass Schwarz-Blau wahrscheinlich eine Mehrheit hat, und dass die ÖVP diese Option jederzeit in Betracht ziehen würde. Sie weiß aus Erfahrung, dass es die FPÖ billig gibt: Mit ein bisschen Anti-Ausländer und neulich auch Anti-Corona-Symbolpolitik ohne reale Konsequenz regiert es sich leicht. Dann schaut der Machterhalt eben grausig aus – Hauptsache Machterhalt.
Und jetzt sind wir in der dritten Runde.
Als wäre das alles nicht schon genug der intellektuellen Beleidigung, geht genau der gleiche Spin jetzt weiter. Karoline Edtstadler, die sich für kein widersprüchliches Interview zu schade ist, reitet aus, um so zu tun, als würde die ÖVP eine Koalition mit der FPÖ im Bund ausschließen.
Das ist übrigens die gleiche Karoline Edtstadler, die Staatssekretärin in einer schwarz-blauen Regierung war. Im Innenministerium. Unter Innenminister Kickl.
Nach zwei Landtagswahlen, die trotz aller Ablehnung zwischen Schwarz und Blau zu Schwarz-Blau geführt haben, stellt sich eine frühere schwarz-blaue Ministerin, eine schwarze Staatssekretärin unter Herbert Kickl, also hin und tut so, als hätte die Schwarz nichts mit Blau am Hut. Alles klar?
Das ist eine Beleidigung für unsere Intelligenz.
Ich habe es in diesem Newsletter schon öfter gesagt, und ich werde es immer wieder betonen: Die ÖVP interessiert sich für nichts anderes als den Machterhalt. Wer 36 Jahre an der Macht ist, hat jegliche inhaltliche Vision verloren und wird alles tun, was es braucht, um das eigene System am Laufen zu halten. Wir dürfen also erwarten, dass sie sich in jede mögliche Koalition presst – jedes rhetorische Problem mit der FPÖ ist eine strategische Ansage, die wir getrost ignorieren können.
Dazu kommt, dass wir in den letzten Jahren klar beobachten konnten, dass SPÖ und ÖVP kein Interesse aneinander haben. Schon in den letzten Jahren der rot-schwarzen Koalition zeichnete sich ab, dass sich die beiden nur noch bekriegen, ja demütigen wollen, und das geht auch mit veränderter Machtdynamik unverändert weiter. Beide haben keine inhaltlichen Ansagen, erst recht aber keine, auf die sie sich einigen könnten – eine Neuauflage wäre eine, an der beide Seiten kein Interesse haben. Und damit unterscheidet sie aus ÖVP-Sicht eigentlich nichts mehr von der schwarz-blauen Variante. Außer, dass es mit der FPÖ wahrscheinlich persönlich besser läuft.
Und ja, das ist vielleicht für Stammleser dieses Newsletter nicht überraschend. Aber dieser Fakt gehört immer wieder erzählt. Denn die ÖVP hat gerade für sich das Learning gezogen, dass man die immer gleiche Lüge komplett ungeniert immer weiter erzählen kann – die eigenen Wähler, die zu überwiegendem Teil gegen Schwarz-Blau sind, werden es schon fressen. Weil sie immer alles fressen.
Darum sollten wir dranbleiben. Und laut widersprechen, wenn so getan wird, als hätten FPÖ und ÖVP auch nur irgendein Problem miteinander. Nicht nur durch Umfragen, sondern auch auf allen anderen Ebenen ist Schwarz-Blau die wahrscheinlichste Koalitionsvariante nach der nächsten Wahl – und alles, was wir wahrnehmen können, weist uns ganz deutlich darauf hin. Dieser Spin darf sich nächstes Jahr nicht durchsetzen. Ansonsten haben wir einen Kanzler Kickl.
Wie immer gilt: Lasst euch nicht verarschen.
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🗳️ Das Problem mit den ÖH-Wahlen. Das ist von mir! Für die MATERIE hab ich aufgeschrieben, was an den ÖH-Wahlen so deprimierend ist: Ein Mix aus niedriger Wahlbeteiligung, allgemeiner Wurschtigkeit, Studenten-Lifestyle-Wahlkampf und sinnlosen identitätspolitischen Diskussionen sorgt dafür, dass die Interessensvertretung der Studierenden so irrelevant ist. (Heute und morgen habt ihr übrigens noch Zeit, JUNOS zu wählen.)
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Kurzer Non-Humble-Brag.
Ich weiß, „In eigener Sache“ nervt, aber da es ungefähr 10 von euch gibt, die nicht auf Social Media sind und mir wirklich nur durch diesen Newsletter, muss ich’s auch auf diesem Kanal nochmal betonen: Ich freu mich sehr, auch mal einen dieser vielen Medienauszeichnungen zu haben und bei den „30 unter 30“ in der Kategorie PR in ÖSTERREICHS JOURNALIST:IN dabei zu sein. 🥳