SPÖ: Eine Partei sucht die richtige Person zur richtigen Zeit
Eine ausführliche Erklärung, wie es bei den Sozialdemokraten weitergeht
Heute widmen wir uns mal wieder einem Running Gag der österreichischen Politik: Der immer währenden Personaldebatte der SPÖ. Gerade jetzt, wo rund um die Kärnten-Wahl alles möglich scheint, ist natürlich alles, was man dazu schreibt ein Hot Take. Aber ich habe eine These, die mir relativ unabhängig von den Entscheidungen der nächsten Tage schlüssig vorkommt. Also hear me out.
Davor noch kurz: Warum eigentlich immer die SPÖ?
Das letzte Mal, als ich über die Sozialdemokratie geschrieben habe, hat mich ein Leser gefragt, warum mir eigentlich so viel an der SPÖ liegt. Ich habe mir vorgenommen, das beim nächsten Text als Disclaimer auszuführen, also:
Mein Interesse an der Sozialdemokratie, oder gar ihrem Erfolg, ist nicht dadurch zu erklären, dass an mir eigentlich ein Sozi verloren gegangen ist. Aber in der momentanen innenpolitischen Situation braucht es mindestens eine der beiden Altparteien, also SPÖ oder ÖVP, um eine Regierung zu bilden, die ich gut finde. Die FPÖ als Partei des Rechtsextremismus und der Korruption scheidet kategorisch aus. Die beiden anderen hätten zumindest das Potential, „nicht scheiße“ zu sein - das ist eine gute Grundlage.
Mir kommt gar nicht vor, dass ich so oft über die SPÖ reden würde. Wenn dieser Newsletter parteipolitisch irgendwas ist, dann ein NEOS-Newsletter, der ungefähr in jeder zweiten Ausgabe erklärt, warum die ÖVP weg muss. Aber mir kommt vor, dass NEOS generell von vielen als „linksliberal“ (was immer genau das heißen soll) und deswegen SPÖ-naher gesehen wird. Das würde ich so nicht unterschreiben. Mir sind beide Parteien rein demokratiepolitisch ein Anliegen. Auch, wenn ich zugeben muss: Gun to the Head, einen der beiden Dinos muss ich wählen, wähle ich momentan mit massiven Bauchkrämpfen die SPÖ.
Warum wird dann über die Roten so viel anders geschrieben als über die Schwarzen? Mir kommt vor, dass es auch das Bewusstsein darüber ist, dass es anders gehen würde. Die ÖVP ist einfach schon zu lange an der Macht. Keine Partei würde nach so vielen Jahren nicht komplett abheben und ihr Gespür verlieren. Man kann es ihr fast nicht zum Vorwurf machen, und mit Opposition ist die Lösung relativ easy. Die SPÖ aber hat Leute, die noch inhaltlich an etwas glauben. Sie ist nur zerstritten, planlos und unmodern. Und das tut beim Zuschauen absurderweise noch viel mehr weh, weil so viel mehr drin wäre.
That being said: Gehen wir zur SPÖ-Krise.
Ich könnte mir jetzt nochmal die Arbeit antun und die Krise, in der sich die SPÖ seit dem Rücktritt von Christian Kern befindet, nochmal aufrollen. Aber de facto wird kaum jemand, der diesen Newsletter verfolgt, wirklich etwas Neues dadurch lernen.
Jedenfalls liegt in der Luft, dass diese Krise gleich wieder aufpoppt. Zuerst wurde das Gerücht, Rendi-Wagner stehe (mal wieder) kurz vor einer Ablöse, im KURIER lanciert, kurze Zeit später bekam Hans Peter Doskozil Aufmerksamkeit durch das erste PROFIL-Cover unter der neuen Chefredakteurin Anna Thalhammer. In dem er übrigens – wiederum mal wieder – nicht abstreitet, dass er eine Diskussion führen will, aber den Zeitpunkt kommentiert:
Peter Kaiser hat die Schwäche der SPÖ erfolgreich ausgesessen. Jetzt bin ich kein Experte, was die SPÖ Salzburg angeht, aber ich bin zumindest als Salzburger der Meinung, dass sie durch einen Personalwechsel jetzt genau gar nichts zu verlieren hätte. David Egger fällt für mich in die gleiche Kategorie wie der Spitzenkandidat der ÖVP Kärnten, dessen Namen ich immer vergesse, weil er politisch dermaßen keine Rolle spielt – er hat durch eine Führungsdebatte genau gar nichts zu verlieren.
Das schreibt übrigens auch Josef Votzi, dessen „Politik Backstage“-Kolumne im Trend mittlerweile zum Standard-Inventar meines Newsletters gehört. In seinem aktuellen Text zur roten Parteikrise schreibt er:
Das Argument, der nächste für die SPÖ heikle Wahlgang am 23. April in Salzburg, erfordere innerparteiliche Ruhe, wird von den aufständischen Burgenländern auf den Kopf gestellt. Der neue rote Landeschef und weitgehend noch unbekannte Salzburger SPÖ-Spitzenkandidat, David Egger, drohe mangels Rückenwind aus dem Bund von der FPÖ auf schmachvollen dritten Platz verwiesen zu werden. Mit der Perspektive auf einen Wechsel an der Spitze der Bundes-SPÖ bestehe vielmehr die Chance, demnächst auch auf Salzburger Landesebene das Ruder zugunsten der Roten herumzureißen.
Als Fazit schreibt Votzi, dass die Diskussion also eröffnet sei. Ich empfehle übrigens, den Artikel in ganzer Länge zu lesen, weil er meist mit seinen Prognosen richtig liegt und weil sich das, was ich in diesem Artikel schreibe, auch zum Teil durch seine Insider-Infos erklärt. Ich bin ja auch kein SPÖ-Insider, sondern interpretiere nur das, was ich von meinen SPÖlern und den Medien wahrnehme.
Kommen wir zu den komplizierten Fronten.
Die Frage, wer die SPÖ in Zukunft übernehmen wird, hängt zum Teil auch daran, wie diese Entscheidung getroffen wird. Kommt es zu einer „Kampfabstimmung“, wie im KURIER nahegelegt wurde? Das wäre wohl die bevorzugte Variante des Team Doskozil, der glaubt, dass er die Basis hinter sich hat. Und da kommen die sehr komplexen Feindschaften und Rivalitäten der SPÖ ins Spiel.
Rendi-Wagner vs. Doskozil: Dieses Match wird in der Öffentlichkeit ausgetragen und ist bekannt. Es geht darauf zurück, dass Christian Kern seine Nachfolgerin erst dann krönte, als Doskozil gerade die Nachfolge von Hans Niessl als burgenländischer Landeshauptmann angetreten hatte. Damit wurden schnell Tatsachen geschaffen – ein Stil, der heute noch schlecht in Erinnerung bleibt.
Christian Kern vs. Michael Ludwig: Kern dürfte für viele immer noch eine sympathische Figur sein, der man zutraut, nach dem gescheiterten Experiment Sebastian Kurz nochmal zu ziehen. Aber durch seinen verkorksten Abschied ist er beim wichtigsten Mann in der SPÖ, dem Wiener Bürgermeister, in Ungnade gefallen. Und gegen Ludwig Parteichef werden, dürfte schwierig sein.
Werner Faymanns Gegner spielen auch eine Rolle. Denn der eigentliche SPÖ-Konflikt dürfte zum Teil auch bis zum 1. Mai 2016 zurückgehen, als der damalige Bundeskanzler (völlig zurecht) ausgepfiffen wurde. Das Kern-Lager brachte sich in Stellung, gegen den Widerstand von Michael Häupl (der angeblich Gerhard Zeiler wollte) übernahm Kern die Spitze.
Kern war übrigens Experiment, das laut dem Bericht von Josef Votzi von Partei-Insidern als „gescheitert“ bezeichnet wird – ich würde aber nicht behaupten, dass 2017 die Schuld von Kern war. Sebastian Kurz hatte einen guten Wahlkampf mit einer noch besseren Mobilisierungsmaschinerie und, wie wir heute wissen, gefälschte Umfragen. Gleichzeitig hat Heinz-Christian Strache mit seinem jahrelang angebauten Momentum „nur“ Platz 3 geschafft. Dass die SPÖ nach den komplett verlorenen Faymann-Jahren ein Ergebnis erzielte, von dem sie heute nur träumen kann, ist für mich nicht „gescheitert“. Auch, wenn Kerns Rückkehr unrealistisch bleibt.
Das Match ist also eröffnet. Die Frage ist: Wer stellt sich der Machtprobe?
Mit diesen Hintergründen rund um die SPÖ-Rivalitäten gehen wir also rein theoretisch durch: Wer könnte, sollte, würde es denn werden?
Pamela Rendi-Wagner wäre bei einer neuen Abstimmung wohl die unwahrscheinlichste Wahl. Sie wird es de facto nur bleiben, wenn – wie schon bei den letzten kolportierten Ablösen – einfach niemand gefunden wird, auf den sich die Partei (ohne Kampfabstimmung) sonst einigen könnte.
Doris Bures ist auch unwahrscheinlich. Sie wurde zuletzt im KURIER als Übergangs-Spitze genannt, ihr werden aber eigentlich Ambitionen zur Bundespräsidentin nachgesagt. (Was ich absolut merkwürdig finde, aber wahrscheinlich verstehe ich den Appeal einfach nicht, weil ich nicht die Zielgruppe und wegen der Faymann-Zeit noch immer eingeschnappt bin.)
Christian Kern will angeblich, und, wenn man mich fragt, könnte es auch höchstwahrscheinlich. Der SPÖ-Wahlkampf 2017 war stark, der Plan A eine erstaunlich klare inhaltliche Ansage. Aber wenn Michael Ludwig wirklich so nachhaltig dagegen ist, wird er wohl auch nicht dürfen.
Alexander Wrabetz wurde zuletzt lustigerweise als Kandidat ins Spiel gebracht. Lustig, weil ich nicht verstehe, laut wessen Analyse ein ORF-Luxuspensionist in Zeiten der Inflation der Vote-Getter sein soll. Sogar wenn wir großzügig annehmen, dass er ein super Programm mit Wahlkampfmaschinerie und Unterstützung der gesamten Partei hätte: Nein, ich seh das einfach nicht. Dann sogar lieber noch Rendi-Wagner.
Gerhard Zeiler hat sich selbst rausgenommen, und nach 2016 dürfte sein Momentum auch komplett verloren sein. Sein Name wird nicht mal mehr kolportiert.
Michael Ludwig selbst wird laut mehreren Berichten von allen Seiten angefleht, sogar Vranitzky soll ihn schon bekniet haben. Auch der frühere steirische Landeshauptmann Franz Voves spricht sich in der KLEINEN ZEITUNG sogar öffentlich für ihn aus. Aber die Frage ist doch eher, warum man den Wiener Bürgermeister – Job potenziell bis zur Pension, große Machtfülle und Prestige – für den des „Vielleicht-Kanzlers“ aufgeben sollte, in dem man sich mit einer viel stärkeren ÖVP matchen muss. Das wäre karrieretechnischer Selbstmord, und auch für die SPÖ Wien wäre es kein gutes Szenario.
Bleibt für mich Hans Peter Doskozil. Der schon mehrmals klargestellt hat, dass 1) Rendi-Wagner es nicht kann, 2) es eine Diskussion braucht, 3) er eine klare Meinung dazu hat und 4) nicht der richtige Zeitpunkt ist.
Die Frage ist, ob jetzt nicht der Zeitpunkt wäre.
Eigentlich stellen sich für das „Team Doskozil“ nur zwei Fragen:
Wie stellt man sicher, dass nicht hinter den Kulissen ein Deal verhandelt wird, bei dem man nicht mitreden kann?
Das Szenario, das Doskozil am meisten fürchten muss, ist eine Verhinderung der Kampfabstimmung durch wen auch immer. Ob das Michael Ludwig, die Bundespartei oder wer auch immer initiiert, ist für uns momentan einfach nur Spekulationssache - aber es gibt wahrscheinlich genug „Dosko-Hater“, die das einfach machen könnten. Ob das für ihre Wahlchancen das beste ist, sei dahingestellt.
Wenn er jetzt übernimmt, überlebt das Momentum bis zur nächsten Wahl?
Diese Frage kann Doskozil selbst nicht beeinflussen. Denn für Neuwahlen braucht es entweder die ÖVP oder die Grünen. Erstere ist berechtigt nervös, aber weiß auch, dass sie momentan nur verlieren würde. Ihr Rezept hat sie noch nicht gefunden, auch, wenn die anstehende „Kanzlerrede“ ihr letzter Versuch werden könnte. Und Letztere glauben, dass es besser ist, ihre Anliegen gegen eine schwache Volkspartei umzusetzen – viel Glück beim Klimaschutz- und Informationsfreiheitsgesetz!
Wie würdet ihr diese Fragen beantworten? Ich für meinen Teil hab schon zu Beginn dieser Legislaturperiode gesagt, dass Rendi-Wagner es wohl bis kurz vor der nächsten Wahl bleibt. Denn das Momentum eines neuen Parteichefs zieht immer nur kurz – und hätte Kern Neuwahlen ausgerufen, es hätte wohl zum Sieg gereicht. Diesen Fehler will die SPÖ sicher nicht nochmal machen, dachte ich mir.
Gleichzeitig sieht man, dass sie in der aktuellen multiplen Krise, in der die Themenlage nicht besser für sie sein könnte, brutal verliert. Der emotionale Reflex, jetzt etwas zu ändern, Tatsachen zu schaffen, die Partei auf neue Beine zu stellen und endlich wieder ein Duell aufzurufen – diesmal sogar eher gegen Kickl als gegen Nehammer –, muss extrem verlockend sein.
Kommen wir also zu den Hot Takes.
Weil ja jede Voraussage in so einer komplexen Situation ohne vollständige Information ein Hot Take ist.
1. Bis Salzburg gewählt hat, passiert gar nichts.
Dass die SPÖ Salzburg verliert, liegt nicht nur am Bund - auch, wenn man sich in Salzburg etwas anderes einreden könnte. Das heißt, egal, wer die Partei im April führt: Das Ergebnis wird wenig berauschend. Wer auch immer sich in der Zwischenzeit in was auch immer für einem Prozess als Nachfolge positioniert, hat kein Interesse, diese Verluste zu realisieren und erstmal mit einem Platz 3 hinter der FPÖ zu landen. So viel politisches Gespür sollte wirklich jeder haben.
2. Früher oder später wird es Doskozil.
Momentan sehe ich in der SPÖ sonst niemanden, der genug Ambition und/oder Standing hätte, um die Partei zu übernehmen. Und wenn alle anderen aus jeweils eigenen Gründen ausfallen, muss man wohl sagen: Entweder wird es Doskozil, oder Rendi-Wagner sitzt bis zur nächsten Wahl weiterhin die Debatte aus.
So oder so glaube ich nicht, dass man eine Kampfabstimmung verhindern kann, und auch nicht, dass man das sollte. Wer so tut, als wäre Alexander Wrabetz ein besserer Kandidat, macht Politik (oder politische Kommunikation) an den Bürgern vorbei. Und ich glaube, dass diese Stimmung auch in der SPÖ-Basis wahrgenommen wird. Daher halte ich es für wahrscheinlich, dass es 1) zu diesem Szenario kommt und 2) er gewinnen würde. Mit der großen Unbekannten, wen die Gegenseite aus dem Hut zaubert.
Und zum Schluss gleich noch ein Disclaimer:
Beim Schreiben frage ich mich oft, ob es eigentlich gscheit ist, mein eigenes Kalkül offenzulegen. Immerhin arbeite ich doch bei einer Parlamentspartei, die in diesem ganzen Gewirr auch irgendwo mitspielt. Sollte ich nicht stattdessen einen Newsletter schreiben, warum man in Kärnten und Salzburg NEOS wählen soll?
Ich glaube erstens, dass das keiner lesen will, der diesen Newsletter ursprünglich für politische Rants abonniert hat.
Und zweitens sehe ich keinen Nachteil darin, mich zu deklarieren. Ich bin in keiner Position, um für „die Partei“ zu sprechen, und wenn ich schon sagen wollen würde, was „wir als NEOS“ denken, dann würde ich das auch entsprechend sagen. Ich glaube, die allermeisten, die das lesen, wissen eh, dass das meine komplett private Sicht auf die Dinge ist und würde nicht auf die Idee kommen, das als „NEOS-Inhalt“ zu lesen.
Darum nehme ich mir am Ende noch die Freiheit, mich in dieser Debatte einer anderen Partei auch noch zu deklarieren. Bis jetzt habe ich ja nur herausgearbeitet, warum ich Doskozil für das wahrscheinlichste halte. Ich würde aber noch hinzufügen, dass ich ihn auch für die beste Option halte, die die SPÖ hat.
Er ist wahltaktisch der einzig realistische Kandidat, der die Landbevölkerung anzieht und nach rechts blinken kann. Momentan mag das keine Rolle spielen, aber historisch hat die Sozialdemokratie viel an die FPÖ verloren. Aber auch, weil er sich bei ein paar Themen mutiger positioniert als andere: Zum Beispiel, wenn er sich mit der Ärztekammer anlegt, aber auch, wenn er sich für eine Koalition mit NEOS und Grünen ausspricht.
In diesem Fall stimmt also meine Analyse – ich bemühe mich beim Schreiben zumindest, das einigermaßen realistisch und objektiv zu betrachten – mit meiner Präferenz überein. Doskozil ist das beste realistische Angebot, das für die SPÖ strategisch Sinn macht. Sie sollte es annehmen.
Noch mehr Lesestoff
🏛️ Parteien sind keine öffentliche Infrastruktur. Der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik schreibt in seinem Beitrag für die WIENER ZEITUNG über einen bedenklichen Trend: Parteien werden immer mehr vom Staat abhängig, ihre Rolle, die Gesellschaft in den politischen Prozess einzubinden, schwindet aber immer weiter.