Manche Geschichten wurden so oft erzählt, dass man nicht mehr weiß, aus welchem Winkel man sie beginnen soll. Schlauere Menschen haben sie erklärt, wortgewandtere Menschen haben sie beschrieben, man hat nichts Schlaues hinzuzufügen, und man möchte sie trotzdem erzählen.
Es folgt: So eine Geschichte.
Für mich gibt es zwei Arten von Geschichten. Jene, die mit Fakten arbeiten und jene, die Gefühle transportieren.
Normalerweise bin ich im Team Fakten. Ich weiß, dass die meisten Journalismus-Preise für Reportagen gewonnen werden - aber ich mag sie nicht. Richtig gute Reportagen lese ich nur sehr selten, und meistens interessiert mich das meiste darin nicht. Ich muss nicht wissen, wessen Hände zittern und wie es gerade zu dieser Situation im tragischen Einzelschicksal einer Person am anderen Ende der Welt gekommen ist. Sag mir einfach, was das Problem ist.
Aber ab und zu gibt es Texte, die nicht aus dem Team Fakten kommen und die mich wirklich mitreißen. Einer davon beschäftigt sich mit dem Klimawandel und den lähmenden Gefühlen, die man bekommt, wenn man daran denkt.
In ihrem Text All the right words on climate have already been said schreibt die Journalistin Sarah Miller über eine eigentlich belanglose Konversation, die sie als Journalistin eben mit jemandem hat, mit dem sie beruflich zu tun hat. Sie schreibt darüber, wie es ist, mit jemandem über die diesjährige Fire Season zu sprechen, als wäre es ein ganz normales Nachrichten-Ereignis. Fire Season - die Zeit des Jahres, in dem es in vielen Regionen in den USA zu brutalen Flächenbränden kommt, die unzählige Existenzen zerstören und Menschenleben kosten.
What I cared about was that it had been well over 90 degrees, on and off, for much of the month of June in Nevada City, Calif., where I live. I don’t know what the average June temperature in Nevada City is. It’s not 93 degrees. It’s not unheard of for it to get this hot in June, but it is not supposed to be this hot every single day. I realize I could cite some data to support this but I’m not going to look anything up because I don’t want to know the truth. I’m comfortable with “It’s bad.” Also, there’s a huge drought; also, fire season arrived early.
So I was just driving around thinking, “Ugh it’s hot. Ugh there’s a new fire starting near me at least every other day. Ugh, how is this my life, also this is just the beginning, I feel like I should be waking up from this nightmare at some point and yet I am not,” when the editor finally reached me.
Ich kenne dieses Gefühl. Es fühlt sich ähnlich an, wenn ich in meiner Arbeit mit Menschen zusammensitze, die sich hauptberuflich mit Kommunikation auseinandersetzen und darüber reden, was wir „mit dem Thema Nachhaltigkeit machen“.
Der Kontrast zwischen der wahrgenommenen Belanglosigkeit, die Umweltthemen für viele in Entscheidungspositionen haben und den Schlagzeilen, die jeden Tag auf uns einprasseln. 50 Grad in Kanada. Über 40 Grad in Sibirien. Wir möchten dieses Thema nicht aktiv kommunizieren.
Die Situation ist eigentlich ganz einfach erklärt. Die Menschheit stößt zu viel CO2 aus, darum wird es heiß. Wenn sie nicht sehr schnell damit aufhört, werden unzählige Menschen sterben. Es wird Dürren geben, Hungersnöte. Regionen, in denen Hunderttausende leben, gehen unter, Leute fliehen. Andere Gebiete werden unbewohnbar, Tropennächte werden zur Normalität, alte Menschen sterben an der Hitze. Ein neues Artensterben geht los, wir verlieren ganze Ökosysteme, die Pole schmelzen. Nur noch wenige Jahre, bis die Auswirkungen des Klimawandels irreversibel sind und wir uns nur noch zwischen zwei und drei Grad entscheiden können. Bis zum Ende des Jahrhunderts. Wenn auch noch Menschen leben wollen.
Und trotzdem fühlt sich die Realität so an, als könnte das einfach nicht wahr sein. Österreich wird 2040 klimaneutral. Der Plan gilt als überambitioniert und müsste trotzdem noch viel radikaler sein.
Weltweit werden neue Kohlekraftwerke gebaut. Das benutzen Bewohner der Wiener Innenstadt gerne als Ausrede, um ihre Strecke mit dem Benziner zurückzulegen statt mit einem Elektroauto oder öffentlichen Verkehrsmitteln. „Nur mit Elektro wird es nicht gehen“, sagen sie, weil sie das in den 80er-Jahren gehört haben, als es noch gestimmt hat. „Ohne wird es nicht gehen“, sagen sie, als wäre die Alternative nicht, einfach keinen Planeten mehr zu haben.
Hier kommt wieder Sarah Miller ins Spiel. Sie beschreibt die Hilflosigkeit, mit der man diesen Themen gegenübersteht. Was für sie die Journalistin war, die mit ihr über die Fire Season sprechen wollte, ist für mich der ältere Freund, der die Folgen des Klimawandels nicht mehr ausbaden muss. Wie erklärt man jemandem, der in einer fossilen Welt aufgewachsen ist, dass es langsam dringend wäre? Wie bringt man anderen bei, dass man sich selbst überlegt, ob man Kinder haben will, oder ob man es ihnen lieber ersparen will? Wie schafft man das … wenn schon längst alles gesagt ist?
What kind of awareness quotient are we looking for? What more about climate change does anyone need to know? What else is there to say?
Für dieses Gefühl habe ich seit Kurzem einen Namen. „That funny feeling“. Ein Zitat aus einem Song aus Bo Burnhams neuem Comedy-Special, das nur teilweise lustig, aber dafür ein künstlerisches Meisterwerk ist, das ich jedem von euch empfehlen würde. Dieses Gefühl, als würde man in einer Simulation leben und alles nur von außen beobachten, weil die Realität langsam zu absurd ist, um wahr zu sein.
Twenty-thousand years of this. Seven more to go.
Ihr merkt, dass auch dieser Text nichts mit Fakten zu tun hat. Auch ich könnte Studien zitieren, eine wissenschaftliche Abhandlung schreiben, usw. Haben intelligentere Menschen schon erklärt, haben wortgewandtere Menschen schon beschrieben. Wenn sogar International Energy Agency sagt, dass es sofort einen Stopp für neue fossile Brennstoffe braucht, ist wirklich alles gesagt.
Die Wissenschaft ist sich einig: Fossile müssen weg. Schnell. Wenn nicht, sind die Konsequenzen so schlimm, dass wir sie uns kaum vorstellen können. Und trotzdem machen wir weiter, als wäre nichts.
Es bleibt uns auch nicht viel übrig. Außer weiter so zu tun, als wäre alles okay. Den Tropensommer so zu leben, als wäre es nicht der kühlste, den man noch erleben dürfte. Und weiter Texte zu schreiben, die auch mal emotional sein dürfen - in der Hoffnung, dass man damit irgendjemanden mitnimmt.