Und ich würde es wieder tun!
Mein letzter Tag als Chefredakteur - und was ich dazu noch loswerden wollte
Big News everyone: Heute ist mein letzter Tag als Chefredakteur der Materie. (Falls meine Biographen 60 Jahre in der Zukunft diesen Text lesen und historische Erklärung brauchen – meine Follower wissen es ja schon –, das ist das Medium des NEOS Parlamentsklubs.)
Das ist aber nicht der klassische „Here’s what I do now“ Text. (Der kommt erst im Juli.) Das ist der Text, in dem ich noch etwas loswerden will, bevor etwas Neues losgeht. Weil eines muss ich gleich dazusagen: Ich wechsle auf eigenen Wunsch und free of drama, sondern im besten Einvernehmen mit einer coolen „Firma“, von der ich mir nicht mehr wünschen könnte. Was ich eigentlich noch immer gesagt habe, wenn ich Job wechsle. Geschadet hat’s mir bisher nie.
Die letzten Jahre im NEOS Parlamentsklub waren wild, aber für mich extrem lehrreich. Ich durfte mich in so ziemlich alle Politikfelder einlesen, ein Medienprojekt aufbauen und dabei größere Freiheit genießen als in jedem „echten“ Medium, in dem ich je gearbeitet habe. Kein einziges Mal wurde mir ein Beitrag „abgedreht“, manche wurden diskutiert, das Feedback war zu 95 % konstruktiv.
Umgekehrt musste in diesem Job zum ersten Mal ich schwierige Entscheidungen treffen, die andere betreffen. Führungskraft sein ist nicht immer easy, aber ich glaube, ich hab das netto ganz gut gemacht und gleichzeitig geschafft, dass ich nicht „als Chef“ auf einmal aufhöre, mit Leuten herumzuwitzeln, die nicht Führungskräfte sind, which is my biggest personality trait. Freundschaftlicher Umgang, bissl Edgyness und Offenheit gehören dazu, auch wenn man im Streitfall drüberfahren muss. Ich bin froh, dass das so gut aufgegangen ist und dass ich auch einige „Work Friends“ gewinnen konnte.
Jedenfalls, was ich sagen wollte:
Dieses Klubmedien-Ding war nie nur „mein Ding“.
Gerade am Anfang bin ich oft gefragt worden, ob ich das Konzept Parteimedium nur deshalb so schön rede, weil es jetzt mein Job ist. Aber nein, das ist wirklich nicht so - und auch jetzt, wo ich ohne Konsequenzen das Gegenteil sagen könnte, stehe ich dazu, dass ich es für total sinnvoll halte, dass Parteien ihre eigenen Medien aufbauen.
Ist das schön für den klassischen Journalismus? Nein. Aber ich bin ehrlich und zynisch genug, zu sagen: In einem kleinen Medienmarkt, der so strukturelle Probleme hat wie Österreich, können wir uns nicht darauf verlassen, dass er all seinen Funktionen nachkommt.
Bevor ich darauf eingehe, welche legitime Funktion Parteimedien erfüllen, ein kurzer Überblick über diese Probleme, um nicht zu unreflektiert gegen Legacy Media zu schießen.
In Österreich haben wir die Auswahl zwischen:
dem ORF, der zwar ein oft sehr cooles Angebot hat, aber verdammt viel Geld kostet und immer noch in wesentlichen Positionen von Parteien beeinflusst wird. Das ist ein Einfallstor für autoritäre Propaganda, und die aktuelle Bundesregierung hat die Chance nicht genutzt, diese Möglichkeit zu schließen. Darauf können wir uns nicht für immer verlassen.
dem Boulevard, der, wie wir spätestens aus den Schmid-Chats wissen, ein extrem problematisches Näheverhältnis zur Politik hat. Da werden sich ganz offen Posten ausgemacht, da wird der Ex-Digital-Chef der KRONE von Strache im Ibiza-Video gelobt, da fallen Drohungen in beide Richtungen: Von „Wir kürzen euch die Inserate, wenn“ zu „Wir können auch anders“, wenn ein Gesetz nicht kommt. Darauf können wir uns nicht verlassen.
den Qualitätsmedien, die das Problem haben, dass sie in einem 1) kleinen Markt, der 2) mit dem ORF und Gratis-Zeitungen ausreichend informiert zu sein glaubt 3) Geld machen müssen, ohne 4) die ausreichende Qualität und Quantität bieten zu können, die hohe Abo-Preise fordert. Was natürlich pauschal ist und für manche mehr zutrifft als auf andere: Ich roote für STANDARD, PRESSE und die KLEINE ZEITUNG, mehr und mehr auch für das PROFIL. Aber am Ende sind gerade die Medien, die es sich zu lesen lohnt, zu stark von Förderungen und Inseraten abhängig. Darauf können wir uns nicht immer verlassen.
Und ja, das ist jetzt (bis auf den ORF) sehr „zeitungs-lastig“, I know, es gibt Puls, es gibt Servus und es gibt Podcasts. Aber ich sehe nicht den Trend, dass wir uns bald alle durch qualitativ hochwertige Audioformate informieren, und ich sehe auch nicht, dass wir alle bald den „Superstreamer“ Joyn nutzen, der an und für sich beim ORF liegen sollte und bei nichts wirklich performt außer beim Abspielen von Werbung. Und auf Servus würde ich mich spätestens seit der Pandemie auch nicht mehr verlassen.
Aber was heißt eigentlich „Wir können uns darauf nicht verlassen?“
Wenn ich „Wir“ sage, meine ich schon immer noch „wir“ als Gesellschaft, als Demokratie. Ja, ich bin parteiisch, aber ich habe auch ein Interesse daran, dass es so etwas wie einen politischen Diskurs gibt (nicht immer ein realistisches Interesse in diesem Land) und dass wir die Möglichkeit haben, uns darüber zu informieren, was in der Welt passiert. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass sich der durchschnittliche Österreicher nicht viel mit Politik beschäftigt.
Aus der Innensicht einer Partei – und aus meiner Erfahrung in der Medienbranche würde ich ausweiten: „im polit-medialen Komplex“ – wirkt es oft so, als würde im Wahlkampf nichts anderes passieren außer Wahlkampf. Aber das ist nicht so: Die Welt dreht sich weiter, die Menschen haben ihre eigenen Probleme, manchen ist es einfach egal, dass eine Wahl ansteht. Dass sie stattfindet, das wissen sie nur, weil Plakate stehen und das in der Regel heißt, dass wieder „irgendwas gewählt wird“, vom Stufenbau der Rechtsordnung brauchen wir nicht mal ansatzweise zu reden. Ja, es wäre wichtig, dass das jeder weiß (did someone say Schulfach Leben in einer Demokratie?) – aber man muss die Menschen so nehmen, wie sie sind, nicht, wie sie sein sollten.
Das heißt auch: Es braucht ein Angebot, das diesen durchschnittlich desinteressierten Bürgern die Möglichkeit gibt, sich schnell einen Überblick zu verschaffen. Und ich behaupte, dass unser Mediensystem das momentan zu wenig zustande bringt. Nicht nur, weil wir uns aufgrund struktureller Probleme nicht sicher sein können, ob sie so bleiben, wie sie sind. Sondern auch, weil „zuhören, was Parteien wollen und prüfen, ob das mit der Wirklichkeit übereinstimmt“ viel zu sehr Nischenprogramm geworden ist.
In der letzten ZIB2 mit Beate Meinl-Reisinger etwa kritisierte meine Chefin die hohen Kosten durch Wahlzuckerl – und erntete den Konter „Die Regierung sagt, das wird es nicht geben“. Was mich aufregt. Nichts weißt darauf hin, dass die Bundesregierung dieses Versprechen einlösen wird. Wir sehen anhand von Klimabonus und Klimaticket, dass gerade vor der Wahl noch schnell mehr verteilt wurde, und die ÖVP hat noch vor jeder Wahl seit 2008 bei Wahlgeschenken mitgestimmt. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass diese Behauptung hält. Warum sie also proaktiv bringen, als wäre sie ein Fakt?
Und umgekehrt ist es oft so, dass man mit echten inhaltlichen Anliegen nicht durchkommt. Gerade NEOS als eine Partei, die stark policy-orientiert arbeitet und Lösungen vorschlägt, bekommt das deutlich ab. Unsere Vorschläge zur Teuerung sind gut, interessanter war da aber die Frage, ob und in welcher Funktion Sepp Schellhorn zurückkommt. (He did, by the way.) Und während Journalisten vor allem nach Koalitionsvarianten, Parteitaktik, „warum kommunizieren sie so“, „wie erklären Sie sich das Ergebnis“ und Politik-Politik fragen, kritisieren sie gleichzeitig selbst, dass es zu wenig um Inhalte geht. Neun Millionen Bundeskanzler – ein paar davon hätten eigentlich eine andere Aufgabe.
Da kommen jetzt die Parteimedien ins Spiel.
Dieses Problem gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Wir sehen es im Supermarkt: Es gibt hunderttausende Optionen, welchen Snack man im Regal kaufen kann – aber wer weiß schon, welcher „der richtige“ ist? Da spielt der individuelle Geschmack eine Rolle, da gibt es keine objektiv richtige Antwort. Um zu einer Antwort zu kommen, braucht es also auch Information von denen, die Snacks anbieten.
Und zack: Wir haben gerade die Werbung erfunden. Werbung und PR, um genau zu sein. Laien-Zusammenfassung aus meiner Agenturzeit:
„Werbung ist, selber zu sagen, wie toll man ist. PR ist, andere zeigen zu lassen, wie toll man ist.“
Ich finde das alles andere als anrüchig. Selbstverständlich sollte jeder Unternehmer die Chance haben, andere von seinen Produkten oder Leistungen zu überzeugen – solange er dabei nicht betrügt. Und wenn es um echte Probleme geht, wie eben um Betrug, dann haben wir ja den Journalismus, siehe VW-Abgasskandal.
Ähnlich halte ich es mit der Politik. Der Journalismus hat nicht zur Aufgabe, Parteien zu verkaufen, sondern ein Bild davon zu geben, was sie wirklich tun. Erzählen, was Parteien machen wollen, diese Aufgabe liegt immer noch bei ihnen selbst. Und ich fürchte, wir haben für diese Erkenntnis viel zu lange gebraucht.
Ihr kennt meine Theorie zur FPÖ, oder?
Gefühlt hab ich sie schon 100-mal aufgeschrieben: Ich glaube, dass die FPÖ nur durch ihr frühes Monopol auf Social Media und den Aufbau eigener Medien so stark werden konnte. Und sie bleibt ahead of the curve, was das angeht: Sie war nicht nur die erste Partei auf Facebook, sie hat jetzt auch noch Telegram erobert und mittlerweile sendet sie 24/7 irgendwelche Bierzelt-Reden von Herbert Kickl, um auf TikTok Follower zu farmen. Es ist deprimierend, aber wir müssen uns eingestehen: In Sachen Kommunikation ist die F einfach eine eigene Liga.
Und damit müssen die anderen Parteien eben umgehen lernen. Was auch heißt: Eigene Medien aufbauen. Nicht, um mit dem klassischen Journalismus zu konkurrieren – sondern um ganz andere Aufgaben zu erfüllen.
In der MATERIE etwa konnte man nie lesen „deshalb NEOS wählen“. Aber wir haben den thematischen Boden aufbereitet, den man als potenziell interessierter Mensch wissen sollte. Warum wir die Vereinigten Staaten von Europa brauchen, das wurde von einer Kandidatin erklärt, aber die EU-Armee lag dann eher bei mir. Wir haben uns interessante Gastbeiträge von externen Expertinnen und Experten geholt, über internationale Politik informiert und dabei den Kontext nicht ausgespart, dass wir uns gerade 2024 in einem Struggle zwischen Demokratien und Diktaturen befinden – und dass auch Österreich ein Teil dieses Kampfes ist.
Das alles ist kein „Wählt NEOS“, aber es erzählt eine liberale Geschichte in einem Land, in dem sonst niemand die liberale Geschichte erzählen will. Klickt nicht, hat keine Auflage, hat keine Tradition und keine Lobby. Aber sie ist es wert, erzählt zu werden. Und ich glaube, bis auf ein paar Fehler, die unabsichtlich waren und schnellstmöglich korrigiert wurden, haben wir nie etwas Falsches geschrieben – es ist eben eine Sicht der Dinge. Wie die Frage, welcher Snack der beste ist. Und mein Lieblingssnack ist einfach die liberale Demokratie.
Darum bin ich stolz darauf, was mit der MATERIE gelungen ist.
Und zwar wirklich nicht nur, weil da mein Name oben steht – das war wahrscheinlich sogar ein bisschen zu oft der Fall. Ich könnte noch einen ganz eigenen Artikel darüber nachliefern, wie es ist, als Parteimedium mit anderen zu kommunizieren, Expertise ins Haus zu holen und Gastbeiträge zu kriegen.
Nur eines will ich akut loswerden: 9 von 10 Männern sagen Ja und fragen erst dann nach Details, aber 9 von 10 Frauen fragen zuerst nach Details, sagen dann Nein und empfehlen andere Männer. Das war wirklich besonders deprimierend, weil ich mich eigentlich immer darum bemüht habe, zumindest ungefähr ausgeglichen zu sein. Das ist nicht gelungen.
Was dafür gelungen ist, will ich in einer kurzen Aufzählung zeigen:
Wir haben es geschafft, eine extrem starke Außenpolitik-Sektion aufzustellen. Von den logischen Themen wie der EU-Wahl und dem Ukraine-Krieg über die USA und Indien bis zu den Wahlen in Mexiko und Südafrika, der politischen Situation in Georgien, etc. etc.
Passend dazu haben wir viele Expertinnen und Experten, die zeigen, wie sich der oben angesprochene Struggle – Velina Tchakarova nennt ihn „Kalter Krieg 2.0“ – entwickelt, warum sich Österreich da nicht raushalten kann und welche Wege wir in Zukunft außenpolitisch gehen sollten.
Auch besonders stolz bin ich auf unseren Schwerpunkt zum Thema russischer Propaganda. Wir haben hier wirklich extrem viele lesenswerte Beiträge, aber besonders stolz bin ich auf meinen Podcast mit Anton Shekhovtsov. Zu dem hab ich nämlich mehrere Nachrichten von Leuten bekommen, die nicht nur meine Newsletter-Crowd sind und die gesagt haben, dass sie erst jetzt verstehen, was sie eigentlich auf Social Media sehen.
Wir haben es aber auch geschafft, klassische NEOS-Themen wie Bildung, die als „zu Ende erzählt“ gelten, neu zu erzählen und in Geschichten zu verpacken. Gerade im Bereich Wirtschaft – der mich zwar interessiert, aber sicher nicht mein stärkstes Politikfeld ist – hab ich mich auch persönlich inhaltlich stark weiterentwickelt und den ein oder anderen Artikel geschrieben, der ziemlich gut gealtert ist.
In etwas weniger als zwei Jahren haben wir über 800 Artikel und 47 Schwerpunkte (called „Materien“) veröffentlicht. Als Team von 2-3 Leuten finde ich das extrem beachtlich.
So, ich merke langsam selbst, dass die Selbstbeweihräucherung schon lange geht, darum mach ich hier mal Schluss und komme zu dem, was nicht gut geklappt hat:
Ich glaube, wir sind reichweitentechnisch noch viel zu weit von den FPÖ-Medien entfernt.
In unabhängigen Vergleichsrechnern wie SimilarWeb kommen wir in Striking Distance zu größeren Marken wie MOMENT (Arbeiterkammer) und KONTRAST (SPÖ), die ich für die Benchmark außerhalb des blauen Universums halte, die Grünen und die ÖVP finden im Vergleich zu uns kaum statt. Aber es muss das Ziel sein, eine Art UNZENSURIERT aufzubauen – nur mit liberalen und faktischen Inhalten statt rechten Fake News. Also wirklich nur auf die Reichweite bezogen.
Genau das wäre nämlich eigentlich wichtig: Dass die große Masse der Facebook-, Telegram- und auch TikTok-User regelmäßig Content bekommt, der nicht aus der rechten Ecke ist. Nicht, weil man alle Rechten damit überzeugen kann, weil die alle nur fehlinformiert sind: Es gibt genug, die wirklich überzeugt davon sind, dass wir eine rechte Diktatur brauchen, which is scary enough.
Aber bei vielen würde es sogar reichen, ihnen zu zeigen, dass es nicht nur die eine Interpretation der Dinge gibt, sondern viele Optionen. Dass die anderen nicht nur Schurken sind, sondern auch eine Erklärung für ihre Standpunkte haben. Sowohl auf MOMENT als auch in der MATERIE findet man Texte zur Vermögenssteuer – unsere sind zwar korrekter, weil wir die Rechnung dahinter anschauen, aber beide zeigen ein legitimes Anliegen einer Partei. Und das muss die Möglichkeit haben, zum Wähler zu kommen, auch wenn die Medienlandschaft orbánisiert oder strukturell korrumpiert wurde. Worauf wir uns vielleicht schon bald einstellen müssen.
Darum glaube ich, dass MATERIE ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir haben aus der liberalen Brille, aber trotzdem faktisch korrekt geschrieben, und auch, wenn Artikel wie „Wie liberal ist Paw Patrol“ niemanden zur Wahlentscheidung bringen, ist der Text doch einer von 1000 nötigen Anstupsern, um jemanden für die Sache zu begeistern. Ich glaube, das hat funktioniert. Und ich bin zuversichtlich, dass das so weitergeht und sogar noch besser wird.
Wie es jetzt für mich weitergeht, erfahrt ihr schon bald in diesem Newsletter im wirklich obligatorischen „Was ich jetzt mache“ Text. Aber erst an meinem ersten Tag. Aber so viel sei verraten: Ich bleibe dabei, Politik, Kommunikation und die liberale Sache zu verbinden. Und mein Arbeitsort ist auch nicht so weit weg. 😉
Stay tuned!