Ich bin einer dieser Politschädel, die “Wahlpartys” veranstalten. Also, nicht bei Nationalratswahlen. Da findet man mich auf der NEOS-Wahlparty. Aber an Wahlsonntagen lade ich gerne mal zu mir ein, um gemeinsam den Wahlabend zu verfolgen. Weil das eigentlich immer spannend ist.
Diesen Sonntag hab ich aber andere Pläne. Weil Bundespräsidentschaftswahlen einfach nur jedes zweite Mal spannend sind. Ich glaube und hoffe, dass Van der Bellen im ersten Wahlgang gewinnen wird.
Was dafür spricht? Österreich hat die Tradition, seine Amtsinhaber zu bestätigen. Man spricht nicht ohne Grund regelmäßig vom Kanzlerbonus, und es ist sogar eine Nachricht, wenn ein Kanzler diesen in Umfragen einbüßt. Bundespräsidenten werden in der Regel bestätigt, und gerade Van der Bellen hat seinen Job recht gut gemacht - vor allem angesichts dessen, dass er im Vergleich zu seinen Vorgängern relativ viel zu tun hatte.
Obwohl ich an einen Sieg im ersten Wahlgang glaube, gehe ich auch davon aus, dass es kein hoher wird. Ich rechne nicht mit einem besonders guten Ergebnis, sondern mit einer arschknappen Absoluten. In diesem Beitrag will ich drei Gründe anführen, wieso es für Alexander Van der Bellen erstaunlich eng werden könnte. Und ich glaube, den größten erkennt man sofort, wenn man sich nur kurz die Konkurrenz anschaut.
Zuerst also ein kurzer Überblick über die Kandidaten.
Walter Rosenkranz ist der Kandidat der FPÖ. Es wird also das gleiche Duell wie letztes Mal, aber in weniger spannend. Nicht nur, weil Rosenkranz das Charisma, die (verhältnismäßige) Jugend und das Momentum von Norbert Hofer 2016 fehlt, sondern auch, weil er einfach die safe option ist.
Die Freiheitlichen wollten eigentlich Tassilo Wallentin nominieren. Warum das gescheitert ist, darüber hört man viele Theorien. Angeblich war die Corona-Linie und die aggressive Wissenschaftsfeindlichkeit der FPÖ ausschlaggebend. Ohne ihn bleibt Rosenkranz - der Kandidat, der wenig Fehler macht, aber nicht der, der eine Wahl gewinnt.Dominik Wlazny ist besser bekannt als Marco Pogo, Chef der Bierpartei und damit natürlich ein Satire-Kandidat. Ich habe mir überlegt, ob ich einen eigenen Beitrag dazu schreibe, warum er trotz einiger guter Vorschläge kein ernsthafter Kandidat für mich ist, aber nehme das jetzt vorweg, weil es heute nicht darum gehen soll.
Wenn man ihn ernsthaft einordnen will, ist er der einzige Kandidat, der eher links der Mitte steht. Er scheint diesen Wahlkampf als eine Plattform für Agenda Setting zu sehen und spricht über Themen, die man grob als “soziale Gerechtigkeit” zusammenfassen könnte. Aber nebenbei geht es natürlich um den Aufbau eines Publikums für die Bierpartei bei der nächsten Nationalratswahl.Gerald Grosz ist ein politischer Kommentator, der durch das Fellner-Imperium oe24 massiv gepusht wird und vielen vor allem dadurch bekannt ist. Um es kurz zu fassen: Denk dir irgendeine Arschloch-Meinung aus und Gerald Grosz wird sie vertreten. Impfgegner, Putin-Versteher, früherer Abgeordneter für die FPÖ und das BZÖ. In letzterer Funktion wurde er vor allem durch das “Schokozuckerl”-Video von Kurt Razelli bekannt. Und ich glaube, das ist alles, was man über Gerald Grosz wissen muss.
Tassilo Wallentin ist eben nicht FPÖ-Kandidat, sondern tritt selbständig an. Die meisten kennen ihn durch seine jahrelange Arbeit für die Kronen Zeitung, die zum Kurs des Blatts passt: Populistisch, oft rechts der Mitte, aber selten rechtsradikal. Unter den rechten Kandidaten sicher nicht der unanständigste, aber trotzdem unangenehm, z. B. wegen seinen Weltuntergangs-Szenarien und seiner Skepsis zu den Russland-Sanktionen.
Michael Brunner ist Parteichef der Impfgegner-Partei MFG. Und damit dürfte man ihn eigentlich genug einordnen können. Er ist ein Verschwörungstheoretiker, der einen Verschwörungstheoretiker-Wahlkampf für seine Telegram-Bubble macht. Er verbreitet Mythen, dass die Corona-Maßnahmen allesamt verfassungs- und grundrechtswidrig wären, und denunziert alle Hinweise darauf, dass er die Wahl nicht gewinnen wird, als Lügen von Systemmedien. Na, mal schauen.
Heinrich Staudinger ist ein Schuhverkäufer aus dem Waldviertel, der für seinen Disput mit der Finanzmarktaufsicht bekannt ist. Auch hier merkt man durch die Kurzbeschreibung sehr schnell, wie seriös der Kandidat ist. Aber er sieht wenigstens selbst ein, dass er es nicht wird. Er sieht den Wahlkampf als Plattform für seine Themen, z. B. Re-Regionalisierung und die Ausbeutung der Umwelt. Soll sein, aber muss nicht.
#1: Das wird keine besonders würdevolle Wahl.
Und genau das ist das Problem für Van der Bellen. Er stellt sich unseriösen, großteils rechten Kandidaten in einer Wahlauseinandersetzung um ein Amt, in dem es um die würdevolle Führung des Amtes geht. Ein Bundespräsident braucht eine besonnene Art und muss vor allem einschätzen können, wann man sich zu welchem Thema zu Wort meldet.
Van der Bellens Gegner legen das aber großteils anders an: Gerald Grosz will als erste Amtshandlung die Regierung entlassen und durch eine Übergangsregierung ersetzen, die ihm passt. Mehrere Kandidaten wollen eine Volksabstimmung zu den Russland-Sanktionen - die sie gerne als “Frieren für die Ukraine? Ja/Nein” framen - und liebäugeln mit der schlechtestmöglichen Idee, die man im Jahr 2022 haben kann: Dem EU-Austritt.
Was also tun? Soll sich der amtierende Bundespräsident in eine TV-Diskussion setzen, um Michael Brunner zu erklären, dass Impfungen wirken und dass die Bill-Gates-Weltverschwörung nicht real ist? Dann leidet sein eigenes Ansehen alleine dadurch, was für ein Zirkus dieser Wahlkampf geworden ist. Darum entscheidet er sich dazu, nicht mit ihnen zu diskutieren - und sieht zu, wie ihm die Masse der rechten Kandidaten unterstellt, zu feige für eine Auseinandersetzung zu sein.
“Never argue with stupid people. They will drag you down to their level and beat you with experience.”
— Mark Twain
Van der Bellen hat also nur schlechte Optionen. Entweder er sieht zu, wie andere das Mikrofon nutzen, um sein Image zu beschädigen. Oder er steigt selbst in die Debatte ein, in der er kaum gewinnen kann, weil die anderen nicht auf einem des Amtes angemessenen Niveau diskutieren.
#2: Diese Masse an rechten Kandidaten könnte ein Problem für Van der Bellen werden.
Im Materie-Podcast habe ich zuletzt mit dem Politikwissenschaftler Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien über den Wahlkampf gesprochen. Und er stellt nicht nur fest, dass das Lager der Politikverdrossenen, der Verschwörungstheoretiker, der Rechten in der Gesellschaft größer wird. Sondern auch, dass die große Anzahl an Optionen für dieses Lager zum Problem werden könnte.
Denn wer unzufrieden ist, hat bei dieser Wahl alle Optionen. Das breite Spektrum an Kandidaten ermöglicht einen sehr genauen Fit für jede Präferenz rechts der Mitte:
Ich will einen rechten Kandidaten, ohne die FPÖ zu wählen.
Ich will, dass die Bundesregierung entlassen wird.
Ich will einen EU-Austritt.
Ich will raus aus den Russland-Sanktionen.
Ich will jemanden, der null Zuwanderung will.
Ich will einen Impfgegner im höchsten Amt der Republik.
Ich will einen unabhängigen Kandidaten.
Ich will Van der Bellen in die Stichwahl zwingen.
Dazu kommt noch, dass man den Charakter wählen kann. Wer z. B. rechts ist, aber die FPÖ nicht wählen will, kein Impfgegner ist (und daher die MFG nicht wählen kann) und Gerald Grosz zu lächerlich findet, kann vielleicht immer noch Tassilo Wallentin wählen. Früher wären viele dieser potenziellen Kombinationen im Nichtwähler-Lager gelandet. Heute könnte die Summe an Gründen, Van der Bellen nicht wählen zu wollen, ihn sehr leicht in eine Stichwahl zwingen.
Jetzt ist es natürlich nicht schlimm, wenn mehr Menschen wählen - eigentlich im Gegenteil. Das Problem ist, dass es genau einen anständigen Kandidaten gibt, der ungefähr in der Mitte steht (auch, wenn manche ihn als “links” wahrnehmen, was aber auch eine Projektion seiner grünen Vergangenheit sein könnte), während das Lager, das inhaltlich besonders gefährlich ist, eine riesige Mobilisierungskraft aufbauen könnte.
#3: Schon sein letztes Ergebnis war sehr knapp.
Erinnern wir uns zurück an die letzte Bundespräsidentschaftswahl. Sie war im Jahr 2016 - einem Jahr, in dem die Unzufriedenheit mit der rot-schwarzen Koalition einen Höhepunkt erreicht und die öffentliche Meinung sich klar zugunsten der FPÖ gedreht hat. Refugees Welcome war 2015, ein Jahr später war Sebastian Kurz mit seinem asylkritischen “Ich habe die Balkanroute geschlossen” schon Mainstream.
Das hat dafür gesorgt, dass SPÖ und ÖVP um den vierten und fünften Platz ritterten - nur Richard Lugner war noch schlechter.
Die Stichwahl wurde also zum Stellvertreterkrieg - ein Kandidat der Partei links der SPÖ, der Grünen, gegen einen Kandidaten rechts der ÖVP, der Freiheitlichen. Und in einem reinen Abwehrkampf gegen den rechten Kandidaten, noch dazu nach dem Brexit, gewann Van der Bellen relativ knapp mit 52 % der Stimmen.
Gegen einen Kandidaten wie Norbert Hofer, der zweifellos einen guten Wahlkampf geführt hat und die Themenlage klar auf seiner Seite hatte, war das beachtlich. Aber für einen Amtsinhaber in einer Zeit der multiplen Krisen ist das ein schlechter Ausgangswert. Wenn Van der Bellen in Umfragen also nur knapp keine Stichwahl braucht, sehen wir das als schlechtes Ergebnis - aber eigentlich ist es einfach der gleiche Wert, den er schon beim ersten Mal hatte.
Trotzdem mobilisiert das natürlich. Wer Van der Bellen in den Umfragen knapp über 50 % sieht, wird die Chance nutzen, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Und wer einen Wahlkampf gegen den Amtsinhaber macht, wird diese Umfragewerte als Schwäche framen. Auch, wenn sie eigentlich eine ganz normale absolute Mehrheit wären.
Fazit
Ich jedenfalls werde Van der Bellen wählen. Ich habe ihn auch 2016 für die beste Wahl gehalten. Er ist ein Kandidat, mit dem wir uns im Ausland nicht blamieren, der die Verfassung kennt, seine eigenen Aufgaben nicht überschätzt und einen Wertekompass vertritt, den ich teile - ein Liberaler, der zwar bei den Grünen war, aber diese doch eher in die Mitte geführt hat. Und auch, wenn er zur ÖVP ab und zu strenger hätte sein können, bin ich im Großen und Ganzen zufrieden.
Trotzdem glaube ich, dass sein Ergebnis nicht besonders stark sein wird. Damit es etwas spannender wird, habe ich aber dann doch noch etwas gemacht, was ich immer mache, um Dinge künstlich spannend zu halten: Ein bisschen Geld darauf gesetzt.
Insofern: Mehr denn je!
Noch mehr Lesestoff
🗺️ Ein sehr gutes Interview zum Thema Migration. In der NZZ spricht der Soziologe Ruud Koopmans über Lösungen im Migrations-Bereich, die für mich mehrheitsfähig klingen. Europa müsse legale Fluchtmöglichkeiten schaffen - unter klaren Bedingungen, die auch die Anreize in den Herkunftsländern abschaffen. Momentan sei es nämlich auch nicht im Interesse von Staaten wie Marokko oder Nigeria, Migration zu unterbinden. Dieses Zitat fasst seine Punkte gut zusammen:
Ich zähle aber darauf, dass es einen Kompromiss gibt zwischen Konservativen und Progressiven. Die Konservativen müssten anerkennen, dass die Migration nicht begrenzt, sondern umgesteuert wird. Die Progressiven, dass es eine gesteuerte und selektive Migration braucht. Beide müssen über ihren Schatten springen. Einig sind sich immerhin alle, dass das Asylsystem marode ist.
🇮🇹 Noch ein sehr gutes Interview zum Thema Italien. Georg Fitzi ist ein Experte der italienischen Innenpolitik und analysiert das Wahlergebnis von vorletzter Woche. Warum die Fratelli d’Italia trotz erster Ministerpräsidentin keine feministische Regierung leiten werden, wieso es in der Regierung für Giorgia Meloni schwierig werden könnte und weshalb die Linke sich eher nicht einen wird, lest ihr in der Republik.