Verstörende Inhaltslosigkeit
Die ÖVP Wien zeigt, wie wenig man in einem Wahlkampf aussagen kann
Wenn man nur einen Satz über Wien kennt, dann ist es vermutlich dieser: Wien ist anders. Jeder Österreicher, egal ob aus der Hauptstadt oder „Restösterreich“ kennt ihn. Nur ein Teil der Gesellschaft scheint ihn noch immer nicht verstanden zu haben: Die ÖVP.
Ich werde einfach nicht schlau aus ihr. Im letzten Wien-Wahlkampf war ihr Spitzenkandidat Manfred Juraczka, und er setzte auf Dauerbrenner-Themen wie den Erhalt des Gymnasiums, die Transsibirische Eisenbahn und Autos. Das offenbart, wie sich die ÖVP den durchschnittlichen Wiener vorstellt und wie viele echte Wiener sich dort engagieren. Denn für große Themen wie leistbaren Wohnraum, Sicherheit, Klimawandel, Gesundheit, den Zustand der öffentlichen Schulen oder 2015 auch das Thema Integration musste man zu anderen Parteien gehen.
Wenig überraschend bekam die Partei ihr historisch schlechtestes Ergebnis in der Bundeshauptstadt mit 9,24 %.
Viel überraschender ist, dass sie es trotz Sebastian Kurz nach wie vor nicht schafft, einen guten Wahlkampf zu liefern.
Die inhaltliche Leere des ÖVP-Wahlkampfs
Und das, obwohl sich die Partei seit der Machtübernahme durch Sebastian Kurz unglaublich professionalisiert hat. Keine Querschüsse mehr, professionelle Kommunikation und den richtigen Riecher für die Themenlage zeichnen die ÖVP im Bund aus. Warum fällt das dann alles weg, sobald Finanzminister Blümel sich in Wien auf den Wahlzettel schreiben lässt?
Dieses Jahr setzt die ÖVP weniger auf Autofahrer und Gymnasium, dafür aber auf eine vielleicht noch uninteressantere Forderung: Wien muss mehr wie Rest-Österreich werden. Das ist in etwa der Grundtenor, der sich durch den ganzen Wahlkampf zieht. Und es ist unglaublich, als politischer Beobachter mit anzusehen, wie wenig Gespür man für das Bundesland haben kann, in dem man zur Wahl antritt.
Während der Corona-Krise wird immer darauf hingewiesen, dass Wien so viel schlechter sei als andere Bundesländer. Das ist erstens nicht überraschend, da Wien die einzige Großstadt mit nennenswerten Öffis ist, und zweitens auch nicht zwingend richtig, weil andere Gemeinden mit wesentlich weniger Einwohnern relativ gesehen schlechtere Zahlen aufweisen. Innenminister Nehammer hat sogar eine eigene Pressekonferenz ausgerufen, nur um zu betonen, wie schlecht Wien mit Corona umgehe - das wurde aber weitgehend als Wahlkampf-Schmäh enttarnt.
Nicht nur bei Corona findet die ÖVP Wien schlecht: Generell betont die Partei immer wieder, dass Wien eben nicht so sei wie andere Bundesländer. “Die Salzburger machen das auch” hört sich in den meisten österreichischen Bundesländern nach einem Argument an - aber in Wien ist das eher ein Contra-Argument. “Was im Heiligen Land geht, muss auch in Wien gehen” begeistert Tiroler, aber keinen Wiener. Politik wie in Tirol - genau das, was man sich halt als Einwohner einer Millionenstadt wünscht, oder?
Und auch sonst beschränkt sich der Wahlkampf auf Plattitüden: “Gemeinsam. Für Österreich. Für Wien.” ist nur ein schrecklicher Plakatspruch, der genau nichts aussagt. Begriffe wie “Leistung für Wien” und “Integration für Wien” sind auch Worthülsen, in die man alles hineininterpretieren kann. Niemand ist gegen Leistung und Integration - aber was das konkret bedeutet, ist eh wurscht. Es geht um Sebastian Kurz-Sympathiepunkte, wen interessieren da schon Themen? (Wer in der ÖVP hatte eigentlich die Idee, dass einfach alles gut klingt, wenn ein Punkt hinter ein bis zwei Worten steht?)
Diese inhaltliche Visionslosigkeit spricht auch der virale Kommentar von Robert Menasse an, der in den letzten Tagen durch Social Media gegangen ist. Die ÖVP war historisch konsequent auf der falschen Seite der Wiener Stadtgeschichte: Dank ihr gäbe es keine Donauinsel, keine Begegnungszonen, keine U-Bahnen und vermutlich wäre Wien tendenziell einfach eine genau so provinzielle Kleinstadt wie andere schwarz geführte Länder. (Da muss ich wieder aufpassen, zu betonen: Das heißt nicht, dass die SPÖ alles richtig macht - aber historisch gesehen hat sie dann doch einige richtige Entscheidungen getroffen.)
Wenn sich die eigene Vision darauf beschränkt, dass Wien einfach so geführt gehört wie jeder andere Ort, den die ÖVP als ihren Besitz sieht, ist das einfallslos und entlarvend. Und momentan fällt mir auch unter den Vorzugsstimmen-Kandidaten niemand auf, der etwas hätte, was einer Vision gleich kommt. Alle sind gegen die SPÖ, alle sind gegen Wien, wie es läuft, aber eine alternative Vorstellung davon hat niemand. “Es muss mehr Leistung geben und wir sind für Veränderung” sagt sich leicht - aber wenn man sich dann noch auf den Vergleich mit anderen Bundesländern beruft, wird man eher nicht mit der Vision punkten.
Fazit
Das Wiener Selbstverständnis besteht darin, dass Wien eben anders ist. Wir sind eine Großstadt, aber die üblichen Probleme einer Großstadt sind hier eben nicht so schlimm wie anderswo. Die Wohnungen sind vergleichsweise günstig, wir haben keine Banlieues und es gibt auch Freizeitangebote für Menschen, die wenig haben. Auch als geborener Salzburger bin ich schon stolz darauf, wie gut Wien funktioniert.
Gernot Blümel und die ÖVP haben das nach wie vor nicht verstanden und führen einen visionslosen, inhaltlich fast verstörend schwachen Wahlkampf. Wer sich nicht mit Politik beschäftigt und Sebastian Kurz ganz nett findet, wessen Lieblingsfarbe türkis ist oder wer einfach dem Ludwig eins reinwürgen will, wird vermutlich die neue Volkspartei wählen. Aber für den Bürgermeisteranspruch ist das einfach zu wenig. Ich bin also gespannt, ob die ÖVP überhaupt auf ihre eigenen Umfragewerte kommt - und ob es wirklich ganz ohne inhaltlichen Anspruch geht.
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