Wählerbeschimpfung won't save us
Oder: Können wir jetzt endlich ein neues Playbook haben, bitte?
Hi, it’s me, been a while! Ich melde mich heute mit einem obligatorischen „Was wir aus der US-Wahl lernen können“ Text, und wenn du in meiner Bubble bist, ist das wahrscheinlich der 100., der dich erreicht. Aber vielleicht bin ich ja durch meine quick & dirty takes ja doch erst der 99.
Und gleich vorweg: Ja, mir geht diese Phase auch auf die Nerven. Immer, wenn Rechte Wahlen gewinnen, ganz egal wo, geht es von vorne los. Menschen, die noch nie eine Wahl gewonnen haben, richten aus, dass man einfach einen ehrlichen Linksruck vollziehen müsste, auch wenn sämtliche Evidenz dagegenspricht. Merkwürdige Spalter, die ohnehin nie wählen gehen, richten aus, dass sie ja doch gewählt hätten, wenn die Kandidatin perfekt gewesen wäre, weil sie nicht einsehen, dass sie sich die Welt mit anderen teilen. Alles hundertmal gesehen.
Ihr merkt, ich werde zynisch. Aber nicht, weil dieser Prozess passiert. Sondern weil er so destruktiv passiert.
Es gibt nämlich diese Blase, die regelmäßig Wahlen verliert, aber nie Schuld sein will – und dann die immer gleichen Erklärungen auftaut, warum alle anderen Schuld sind.
Das depperte Wahlvolk. Die mediale Verschwörung. Die taktischen Wähler. Alles erklärt das unangenehme Wahlergebnis, nur nicht der eigene Kurs und die eigene Kommunikation. Und wenn ich „eigen“ sage, meine ich im Fall von Kamala Harris den Großteil der zivilisierten europäischen Bevölkerung. (Also im Wesentlichen alle außer Harald Vilimsky.)
Aber ich glaube schon, dass es wichtig ist, sich mit der Ursache von Wahlergebnissen auseinanderzusetzen. Und auch, wenn jetzt alle über die 50 Millionen Analysen angeblicher „Experten“ echauffieren – ich zähle mich übrigens auch nicht als Experte der US-Politik –, finde ich es doch einfach … interessant? Und sinnvoll?
Gerade als jemand, der selbst in der politischen Kommunikation arbeitet, halte ich es für alles andere als anmaßend oder lächerlich, jetzt nach den sachlichen Gründen zu suchen, warum ein okay-es Angebot wie Kamala Harris gegen ein extrem verrücktes Angebot wie Donald Trump verliert. Immerhin sitze ich da im selben Boot mit ihr: Ich glaube auch, die besten Lösungen zu haben, aber de facto sind die Populisten immer noch stärker, und meine These vom abgesagten Rechtsruck aus dem Jahr 2021 erweist sich mehr und mehr als der größte Schas, den ich je geschrieben habe.
Genau das wird in sozialen Medien aber oft insinuiert – man lacht über die, die jetzt eine Erklärung anbieten. Was gibt’s denn da groß zu untersuchen? Die Amerikaner sind einfach ein deppertes, rassistisches Scheißvolk, das einen verurteilten Straftäter lieber wählt als eine Frau – sie sind halt zu dumm, um das Richtige zu erkennen.
Bei aller Liebe für Publikumsbeschimpfung (euch ausgenommen), das greift mir zu kurz.
In einer Demokratie ist es einfach so, dass die Wähler immer recht haben. Und das heißt nicht, dass sie immer die richtige Entscheidung treffen.
Klingt wie ein Widerspruch? Ist es aber nicht. Das hat zwei Gründe.
Der erste Grund: Natürlich kann ein Volk eine Entscheidung treffen, die gegen eine Art „objektives“ Interesse ist. Ich bin vorsichtig mit diesem Begriff, aber es gibt ganz offensichtliche Beispiele dafür. Niemand will zum Beispiel schlechte Bildung – de facto wählen aber viele Menschen Parteien, die in der Bildungspolitik Stillstand oder Rückschritt wollen.
Das kann viele Ursachen haben. Vielleicht ist das Thema einfach nicht ganz oben auf der Agenda. Als glücklich kinderlosem Menschen könnte mir das Thema auch im Prinzip egal sein, es ist ja schon fast ein selbstloses Anliegen, mich bei einer Partei für eine Bildungsreform zu engagieren. Aber vielleicht hat man auch einen anderen Begriff davon, was „gute“ Bildungspolitik ist – für Republikaner ist es anscheinend „gut“, wenn man Bücher verbietet. Das führt uns zum zweiten Grund: Oft gibt es kein objektives „Richtig“ oder „Falsch“ in der Politik.
Ein Beispiel: Was ist uns wichtiger? Niedrige Steuern oder ein gut ausgebauter Sozialstaat? Wer sehr niedrige Steuern will – ich rede von 20 Prozent oder weniger –, der muss wohl einschränken, was der Staat mit seinem Geld bereitstellen kann. Wer einen sehr guten Sozialstaat will, muss draufzahlen. Das Argument für Szenario 1 wäre, dass sich durch niedrige Steuern jeder etwas aufbauen kann, dadurch braucht man keinen starken Staat. Szenario 2 wiederum kann man damit begründen, dass ein soziales Auffangnetz eine fairere Version ist: Wenn Menschen keine Armut und Obdachlosigkeit droht, hilft das auch dem, der den Staat nicht braucht.
Die Schwierigkeit ist nur: Beide Seiten haben recht. Wie groß ein Staat sein darf, wie viel er kosten darf, das ist im Endeffekt eine ideologische Frage, keine nach Fakten. Wo man eine „faire“ Steuerquote und eine „faire“ staatliche Leistung sieht, ist eine extrem individuelle und damit Gegenstand der politischen Debatte.
Hier liegt der Fehler, den meine heiß geliebte Polit-Bubble immer wieder macht: Sie schaut auf die Welt, wie sie ihrer Meinung nach sein sollte. „Ihrer Meinung nach“ being the key fact here. Die allermeisten Probleme sind aber nicht Schwarz-Weiß, sondern Gegenstand legitimer Auseinandersetzung. Und auch, wenn ich selbstverständlich „Pro Choice“ bin – wer glaubt, dass man durch eine Abtreibung einen Mord begeht, ist Teil der politischen Debatte. Ob es mir passt oder nicht.
Es gibt also selten ein „Richtig“ oder „Falsch“ in der Politik. Aber auch nicht nie.
Ein Gegenbeispiel zu dem, was ich selbst gerade geschrieben habe, ist das Klima-Thema. Die Welt wird heißer, völlig egal, ob wir das glauben. Wer für Politiker wie Herbert Kickl oder Donald Trump stimmt, trägt aktiv einen Teil dazu bei, dass die Welt wärmer wird, dass das nächste Hochwasser höher wird und dass die nächste Hitzewelle mehr Todesopfer fordert. Zugegeben, der Faktor einer Österreich-Wahl ist da wahrscheinlich bescheiden und im Promill-Bereich, aber es geht ums Prinzip: Den Klimawandel bekämpft man nicht, indem man Politiker wählt, die fossile Brennstoffe fördern wollen. Das ist eine Tatsache, eine der Ausnahmen, in der es ein „Richtig“ gibt.
Aber diese Themen sind eben genau das: Ausnahmen. Ein Großteil der Politik ist Meinungssache. Weswegen es auch Unsinn wäre, eine technokratische „Expertenregierung“ zu fordern – wenn es keine „objektiv gute Lösung“ gibt, brauchen wir keine Fachexperten, sondern gute Politiker. Der muss nämlich für seine Werte kämpfen, daraus Policy formulieren und sie populär machen.
Und genau da kommt die politische Kommunikation ins Spiel.
Denken wir wieder an unseren Wähler, der gute Bildung will, aber schlechte (oder „schlechte“) Bildung wählt. Vielleicht ist ihm das Thema sogar wichtig, und er teilt unsere Meinung, was „gute“ Bildung bedeutet. Oder aber: Er denkt einfach, dass die Rechten die bessere Bildungspolitik machen. Dann ist der Unterschied nicht inhaltlich, sondern kommunikativ.
Ein Klassiker dafür ist das Thema Wirtschaft. Schnell gefragt: Wer ist die Wirtschaftspartei? Je nach Geburtsjahr – wieder, keine Publikumsbeschimpfung! – wird man jetzt wohl schwanken zwischen NEOS … und ÖVP. Die Partei, die seit Jahrzehnten verlässlich Schulden macht, hat immer noch eine starke Themenzuschreibung. Und das ist nicht ihrer guten Politik geschuldet. Sondern ihrem guten Wahlkampf.
Denn im Wahlkampf, da haut die ÖVP raus. Nicht nur, weil sie auf ein unglaubliches Netzwerk an Ortsgruppen und Bünden zurückgreifen kann – und da meine ich nicht nur die offiziellen –, sondern auch, weil sie immer wieder einen neuen Hasen aus dem Hut zaubert. Wie erklärt eine Partei, die seit 37 Jahren in der Regierung ist, welche Reformen sie will? Man mag inhaltlich von ihnen halten, was man will: Kommunizieren können die Konsis wie kein zweiter.
Und in den USA, da ist Wirtschaft eben ein „Trump-Thema“. Und das, obwohl er Zölle in dreistelliger Höhe einführen will, die garantiert die amerikanische Bevölkerung zahlen wird. Weil es eben nicht um Policy geht, sondern um Zuschreibung. Da schlägt die anekdotische Evidenz jede Wirtschaftslehre: „Unter Trump war die Inflation niedriger, also wird er wohl der bessere Wirtschaftspolitiker sein.“
Wir fassen also zusammen:
In einer Demokratie hat der Wähler immer recht.
Das heißt nicht, dass er immer die faktisch beste Option trifft.
Weil es meist keine „faktisch beste Option“ gibt.
In der Praxis geht es darum oft um Kommunikation.
Und da trumpfen eben oft die „Falschen“ – wenn es die denn gibt.
Und was machen wir jetzt mit dieser großartigen Erkenntnis?
Man kann das alles furchtbar finden, das alte Narrativ der „Postdemokratie“ aus dem Hut zaubern und weiter darüber schimpfen, dass mutmaßlich dumme Menschen mutmaßlich falsche Entscheidungen treffen. Das ist sicher eine Möglichkeit, sich überlegen zu fühlen und abzuputzen, als hätte man mit den Entwicklungen in unserer Welt nichts zu tun.
Was übrigens Bullshit ist! Ja, man kann politische Kommunikation als unehrliche Form der Manipulation sehen, dann viel Spaß in der Bedeutungslosigkeit. Oder man kann ankommen in der Welt, wie sie ist. Wo Menschen sich keine fünf Minuten im Monat mit Politik auseinandersetzen, oberflächlich informiert sind, auf Basis des besten politischen und kommunikativen Angebots wählen und dann nicht genau wissen, wie die Konsequenzen einzuordnen sind. Diese Welt kann einem zu dumm sein, aber es ist die, in der wir leben. Und wir müssen einen Umgang damit finden, statt nur den Prozess zu kritisieren und uns furchtbar gscheit zu fühlen.
Oder aber, man geht auf die Suche nach den Ursachen und schaut, wie man es besser machen kann. Und das heißt auch, dass „wir“ – die vermeintlich Guten, die sich eh immer überlegen fühlen und die Wahrheit mit dem Löffel gefressen haben – endlich den Arsch hochkriegen müssen.
Wir müssen endlich einen Weg finden, raus aus dieser „Meta“ zu kommen, wo immer der gewinnt, der am einfachsten und lautesten kommuniziert. Das heißt auch, dass seriöse Politik für Fortschritt statt Rückschritt wieder populär gemacht werden muss. Dafür braucht es eine Orientierung an der breiten Masse der Gesellschaft, nicht an der lautesten depperten Splittergruppe, die eh nicht wählen geht. Die Extremisten machen das nicht – sie sagen, was sie wollen, sie sind gnadenlos ehrlich und bis zur Unkenntlichkeit entstellt authentisch, und dann gewinnen sie eine Wahl nach der anderen. Und Teile der Schickeria, die im Wahlkampf den Diskurs bestimmt und ein Momentum herbeiredet, fallen dann wieder und wieder aufs Maul, nur um aufzustehen und sich weiterhin wie die besseren Menschen zu fühlen. So wird das nix.
Wir brauchen eine Alternative dazu. Genau dafür bin ich wieder zurück in die Politik. Und an Tagen wie diesen – ich schreibe diese Zeilen am Abend nach dem Trump-Ergebnis – bin ich schon extrem froh, dass ich diese Form der Selbstwirksamkeit habe. Niemand kann alleine die Welt retten. Aber alleine die Tatsache, dass ich in der Arena bin und tue, was ich kann, nimmt mir dieses Gefühl der Ohnmächtigkeit, das ich davor jahrelang hatte. Und das ist mir hundertmal lieber, als die nächste Wählerbeschimpfung zu betreiben.
Ich hab mir jedenfalls schon Gedanken gemacht, was wir in Wien aus der US-Wahl lernen können – sowohl politisch als auch kommunikativ. Aber das ist was für den nächsten Newsletter.
Wir lesen uns!
Ja , es ist wie es ist , wenn man Wähler nicht zufrieden stellt, und eine Politik macht die gegen sie spricht, so werden sie den " Rattenfängern"
Folgen. In USA müssen sich reihenweise Menschen um eine warme MAHLZEIT anstellen, da ist viel schief gelaufen .
Die Demokraten müssen sich fragen ob sie alles richtig gemacht haben .Bildung nur für Menschen mit Geld ?
HUBERT NAGY